Eine Verteidigung europäischer Republik aus dem Geist Kants

flaig_coverEin radikal anti(post)modernistischer Text gerät dem Althistoriker Egon Flaig zur Generalabrechnung mit dem akademischen und journalistischen “Zeitgeist”. Dabei gibt er, wohl ohne es zu wollen, zwei Kriterien für eine oder mehrere (kollektive) europäische Identitäten an: den aufklärerischen  Universalismus der kritischen Vernunft Kants sowie einen in die Jetztzeit transponierten “Republikanismus” der griechischen Polis. Bemerkungen zu einer Neuerscheinung.

Der säkuläre Universalismus, den Flaig vertritt, hätte prinzipiell das Zeug, in den geschichtsvergessenen Singsang unserer Brüsseler Multikulti-Ideologen einzufallen – siehe z. B.  hier und hier.

Doch im Gegensatz zu den überbezahlten Protektionskindern auf ihren Kommissarsstühlen verfügt Flaig über solides Wissen um Geschichte und Kultur des Alten Kontinents.

Er weiß, dass seine politische Vernunft, eine Nachempfindung der Begriffe Kants, auf historische Verankerung angewiesen ist. 

“Denn allein aus einem kulturellen Gedächtnis heraus, das sich der Aufklärung verpflichtet weiß, gewinnen wir die Orientierung für politisches Handeln im Geiste eines emanzipatorischen Universalismus.”

Das klingt ein bisschen wie jenes relativstische und antiuniversalistische Wortgewaber, das unsere geisteswissenschaftlichen Fakultäten umwölkt – ist aber das genaue Gegenteil davon.

Konturlose Bedeutungsschwaden und schlampiges Denken, legt Flaig dar, produzieren seine Feinde wie z.B. der “faschistoide Antikolonialismus”, die “eineiigen Zwillinge Multikulturalismus und Ethnopluralismus”  oder die  gedächtnispolitische “Therapie durch die Lüge”.

Der Katholizismus, das Judentum und das imperiale Rom, die immer wieder einmal als Bestimmungsstücke Europas angeführt werden, haben es Flaig nicht besonders angetan.

Allenfalls das republikanische Rom hat ihm ein wenig Staatstheoretisches geborgt.

Aber es ist nicht der Senat des republikanischen Zeitalters, der für das Heute als Orientierung taugt, sondern das partizipatorische politische System in den griechischen Stadtstaaten im fünften Jahrhunderts vor; es sind Sokrates, Plato und Aristoteles; Pythagoras, Archimedes und Euklid.

Es geht Flaig um allgemeingültige Erkenntnis und eine anthroponome, nicht von den Göttern (Gott) geregelte Gestaltung der politischen Sphäre.

Dazu passt auch, dass der Mann eine Weltgeschichte der Sklaverei geschrieben hat.

Obwohl er darauf hinweist, dass die Abschaffung der Sklaverei das Todesurteil für einen Teil der britischen Wirtschaft war, hegt er keinen Zweifel, dass alles andere als die notfalls erzwungene Abschaffung der Sklaverei uneuropäisch gewesen wäre – wie etwa die muslimisch dominierte Sklaverei im Indischen Ozean.

Von allen Kulturen der Weltgeschichte hat lediglich die westeuropäische einen Diskurs hervorgebracht, der die Sklaverei grundsätzlich entlegitimiert; und nur in ihrem Einzugsbereich kam es zu einem stetigen Kampf für die Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei. Diese Diskussionen mit ihren ergreifenden Texten gehören zu den maßgeblichen Quellen für die Entstehung der Menschenrechte.”

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Dass gerade der aus dem historischen Kontext gerissene, einseitige menschenrechtliche Universalismus gegen die europäischen Völker benutzt wird, macht Flaig an seinem Maßstab für vernünftiges politisches Handeln nicht irre.

Das über die europäischen Bürgerschaften kommende Schicksal war zwar nicht unvermeidlich, ist faktisch aber seit langem besiegelt.

Denn die politische Vernunft benötigt um agieren zu können Öffentlichkeit und Urteilskraft – Urteilskraft, die nicht nur vielen Bürgern, sondern auch Wissenschaftern und Verfassungsrichtern abgeht.

Um von gewissen mitteleuropäischen Politicos gar nicht zu reden, die den in der “Flüchtlingskrise” stattfindenden Kollaps der Staatlichkeit zu verantworten haben.

Der kapitalistische Internationalismus hat den proletarischen nicht nur überlebt, sondern auch überholt. Doch die antinationalen Parolen richten sich mindestens ebensosehr gegen die Staatlichkeit, vor allem aber gegen die Autonomie des politischen Raumes. Sie verfemen jeden Appell an die Volkssouveränität als Populismus, sie entlegitimieren die Parlamente, und sie zielen auf eine Weltordnung, die jeder Legitimation durch zivische Partizipation enthoben ist (…)”

Egon Flaig, Die Niederlage der Politischen Vernunft. Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen, 2017, 24,80 Euro

Unabhängiger Journalist

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