“Market action makes commentary” hat einmal ein kluger Kopf gesagt und damit gemeint, dass die Preisbewegung wirtschaftlicher Güter im Kommentariat Erklärungen auslöst, die zwar Rationalisierungen, selbst aber nicht rational sind. Sie müssen nicht einmal plausibel sein. Und wenn am nächsten Tag die gleiche Erklärung herhalten muss, um die gegenteilige Entwicklung zu begründen, ist’s auch recht (passiert ständig). Dabei muss es nicht einmal ein Markt sein, der den Kommentar auslöst.
Ein gutes Beispiel liefert dieser Handelsblatt-Artikel, in dem ein 1,2-.prozentiger Rückgang des Goldpreises in Dollar allen Ernstes mit Erwartungen einer Lösung der Griechenlandkrise in Zusmmenhang gebracht wird, an einem Tag, an dem der Euro untertags geringfügig schwankte und auf Schlusskurs-Basis leicht an Boden verlor.
Es ist freilich nicht sicher, dass dieser Artikel auch wirklich ernst gemeint ist. Der letzte Satz des folgenden Absatzes deutet eher auf Satire hin: der Verfasser wollte die Bloomis oder ähnlich gestrickte Finanzjournalisten persiflieren.
Abgesehen davon, dass die letzte Behauptung im engeren Sinn falsch ist – der Unzenpreis bewegte sich z.B. am 5. Juni zwischen 1.162 und 1.177 Dollar – scheint es so zu sein, dass dieser Mensch noch nie einen Goldpreischart der vergangenen zwei Jahre zu Gesicht bekommen hat. Wäre ihm ein solcher geläufig, müsste er sich fragen, warum der Goldpreis seit Mitte 2013, besonders augenfällig seit Oktokber 2014, eine perfekt horizontale Linie bei 1.200 Dollar hinlegt.
Es ist ihm auch nicht bewusst, dass jeden Tag allein an der Londoner LBMA OTC 900 Tonnen Gold gecleart werden – denn sonst müsste er sich fragen, wie das gehen kann, wo es doch höchstens 180.000 Tonnen physisches Gold oberhalb der Erdoberfläche gibt, also deutlich weniger als einen LBMA-Jahresumsatz (in Doppelzählung, zugegeben).Und er müsste sich fragen, was es bedeuten kann, dass weniger als ein Prozent dieses Clearingprozesses mit physischen Goldlieferungen erfolgt (der Rest von 99 Prozent wird mit unallocated gold abgerechnet).
Vielleicht würde er dann vielleicht Zweifel an seiner These bekommen, dass die Anleger Gold verkauft hätten, weswegen der Dollarpreis unter Druck geraten sei. Aber derlei Zweifel könnten die Arbeitsfähigkeit des Schreiberlings beeinträchtigen und das strebt er sicher nicht an…
Selbst einen ahnungslosen Nicht-Experten müsste freilich der Gedanke anwandeln, dass ein sich über Jahre hinwegziehender Horizontalchart für einen Marktpreis nicht unbedingt charakteristisch ist, und dass “Märkte” wie dieser vielleicht wie Rindviecher sind, die am Nasenring durch die Gegend geführt werden. Aber das ist natürlich ein irregeleiteter Gedanke, denn es gibt bekanntlich niemanden, der stärker ist als die Märkte – auch wenn diese gar nicht sind, was sie vorgeben zu sein.
Aber nichts währt ewig, wie es so schön heißt, und irgendwann kommt der Punkt, an dem der Goldpreis unter 1.180 und sogar 1.150 Dollar sinkt. Der Journalist wird dann erneut schreiben, dass das Risikobewusstsein gesunken sei und die Anleger verkauft hätten und er wird wieder nicht bemerken, dass auch er am Nasenring herumgeführt wurde. Aber dann dauert’s wenigstens nicht mehr so lang bis er das selbst einsehen kann.
Nachbemerkung, 24.6., 6.00 Uhr: Seit Mitte 2013 sind die Mengen, die täglich an der LBMA gecleart werden, deutlich gefallen – auf zuletzt 16,9 Millionen Unzen. Das ist bemerkenswert, macht für das hier präsentierte Argmuent aber keinen Unterschied. Statt über 200.000 Tonnen sind es halt nur mehr 132.000 Tonnen, die über das LBMA-Clearingsystem jährlich ausgeglichen werden. Müsste ein Prozent davon physisch geliefert werden, wäre das ein flow von 1.320 Tonnen, einem Drittel der weltweiten Jahresproduktion (inklusive Recycling).
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