Der als Verschwörungstheoretiker geltende US-Autor William Engdahl hat ein Buch vorgelegt, das in breiten Pinselstrichen die vergangenen 30 Jahre des parteiübergreifenden imperialen Polit-Kartells in den USA malt, bzw. genauer: die Geschichte von dessen Außenpolitik. Engdahls Erzählung über die fake NGO democracy der “einzig verbliebenen Supermacht” zieht sich von der Iran-Contra-Affäre in den 1980ern bis zur Präsidentschaft Trumps.
Der Haupttitel ist eine ziemlich bildungsbürgerliche Anspielung auf die Ideologie der US-Siedler des 19. Jahrhunderts, die ihre Westwanderung als weltgeschichtliche Mission auffassten. Engdahl meint in seinem Buch natürlich nicht den amerikanischen Westen, sondern unsere heutige Welt des Dollar-Imperiums.
Auch dass von kognitiver Dissonanz gesprochen wird, ist ein wenig erklärungsbedürftig. Gemeint ist im Untertitel aber etwas Altbekanntes: Der Imperialismus im Namen von Demokratie und Menschenrechten.
Engdahls Story beginnt in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, in einer Zeit, in der die CIA nach dem Iran Contra-Skandal wieder einmal “untertauchen musste”.
Iran-Contra wird bis heute ausschließlich dem außenpolitisch eher uninteressierten Ronald Reagan zugeschrieben, während sein Vize, der spätere Präsident George Herbert Walker Bush nach Meinung dieses Bloggers nicht die angemessene Aufmerksamkeit bekommt.
Es war nicht Reagan, sondern Bush, der frühere CIA-Direktor, der über die entscheidenden Kontakte in jene geheimdienstliche Welt verfügte, die den verbotenen Deal abwickelte.
Das CIA-old boys network des G.H.W. Bush war es auch, das während der Präsidentschaft des alten Bush die erste Phase der Ausplünderung der ehemaligen Sowjetunion organisierte, was Engdahl im Kapitel “The Rape of Russia:The CIA’s Yeltsin Coup d’État” schildert.
Dabei ist es gleichgültig, ob der Autor in jedem Detail recht hat, beispielsweise dort, wo er einen legendären japanischen Raubgoldschatz aus dem Zweiten Weltkrieg (“Yamashita gold”) mit der Finanzierung des Beutezugs in Russland in Zusammenhang bringt
- was in Zeiten des fractional reserve banking ziemlich unnötig ist.
Der entscheidende Punkt ist hier die wohl kriminelle Kollaboration zwischen US-Außenpolitik/”CIA”, korrupten KGB-Offizieren und einer “jungen Garde russischer Oligarchen” (die ursprünglichen, vier handverlesenen CIA-Oligarchen sind heute alle im britischen oder amerikanischen Exil – bis auf einen einzigen, der nicht mehr lebt - “tot aufgefunden”).
Slick Willy
Das zeitgenössische manifest destiny blieb jedoch nicht auf die republikanische Rechte beschränkt.
Einigermaßen überraschend gewann Bill Clinton die Präsidentschaftswahlen von 1992 und setzte fort, was Bush der Ältere begonnen hatte.
Auch außenpolitisch, beispielsweise den Rape of Russia.
Klarerweise brachte Slick Willy seine eigenen Leute mit – siehe das Kapitel “Soros and the Harvard Boys Join Yeltsin and the KGB”.
Clinton erwarb übrigens auch “Verdienste” um die Zerschlagung Jugoslawiens und den darauf folgenden Sturz bzw. die Abwahl Slobodan Miloševics im neu entstandenen Serbien.
Dort wurde in Zusammenarbeit zwischen lokalen Aktivisten und CIA-amerikanischen Firmen jenes Instrumentarium entwickelt, das in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten zum Markenzeichen der Washingtoner regime change-Versuche wurde – “Otpor! – Fake Democracy in Serbia”.
Dann war wieder die Rechte an der Reihe.
Clinton durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren (und musste, davon abgesehen, ein letztlich erfolgloses Amtsenthebungsverfahren über sich ergehen lassen).
George Bush der Jüngere gewann mit richterlicher Nachhilfe die Wahlen 2000 gegen Al Gore – was vor allem die eingefleischten Lefties in den Medien erbitterte, die auch nach acht Jahren Bill Clinton nicht akzeptieren wollten, dass das Dollar-Imperium ein bipartisan project war und dass ihr demokratischer Kandidat Al mit von der Partie war:
Rechts, links, legal, illegal – scheißegal.
Ab sofort wurde wieder nach Art der Neocons gespielt – und was für Reagan Präsidenten-Daddy Herbert Walker gewesen war, wurde für Baby Bush Dick Cheney.
Sieben Monate nach der Amtseinführung krachten ein paar einsame Selbstmordattentäter ins World Trade Center, und es kümmerte (wenigstens in der neuen Administration) kein Schwein, dass das G’schichterl, das man dazu der Öffentlichkeit auftischte, hinten und vorne nicht stimmig war (beginnend damit, dass ein Wolkenkratzer zuviel einstürzte).
“Basta”, sagten George, Dick und Don damals,
jetzt führen wir erst mal Krieg in Afghanistan, wo sich unser unsterbliches Asset Osama aufhält.”
Keine zwei Jahre später begannen sie einen zweiten Krieg gegen “Saddam Hussein”, der – wohl zum eigenen Leidwesen - praktisch nichts mit al Qaida zu tun gehabt hatte und der auch über kein Giftgas verfügte (wie in Washington eilig nachgeschoben wurde, als sich herausstellte, dass keine Kontakte zwischen dem irakischen Baath-Faschisten und dem islamistischen Afghanistan-Veteranen aus Saudiarabien bestanden hatten).
Vier Jahre später enthüllte übrigens ein pensionierter Spitzenmilitär das ehrgeizige Vorhaben der Neocons, binnen fünf Jahren in sieben mittelöstlichen Staaten einen Regimewechsel durchzuführen (mit militärischen Mitteln).
I just got this memo from the Secretary of Defense’s office. It says we’re going to attack and destroy the governments in seven countries in five years. We’re going to start with Iraq, and then we’re going to move to Syria, Lebanon, Libya, Somalia, Sudan and Iran.”
Da hatte sich Donald Rumsfeld zeitlich wohl ein wenig übernommen – ganz abgesehen davon, dass der Regimewechsel im Irak die paradoxe Folge hatte, dass sich eine der auszuwechselnden regionalen Regierungen als größter Gewinner des US-amerikanischen Kriegs entpuppte (Iran).
Aber noch war nichts verloren.
Die angepeilten fünf Jahre entpuppten sich zwar als zeitlich nicht haltbar, ebensowenig wie die Reihenfolge der zu stürzenden Regime
- aber allein ausschlaggebend war: das US-Imperium konnte sich noch ein paar Jährchen Zeit lassen, weil es ja nicht nur einen einzigen, sozusagen alleinseligmachenden Weg gab.
Es gab auch einen linken Pfad, der zum selben Ziel führte.
Regimewechsel nach demokratischem Rezept II
Nach acht Jahren Baby Bush waren wieder die Demokraten an der Reihe.
Enter Barack Hussein Obama, der 2008 zum ersten Mal Präsident wurde und der seine innerparteiliche Rivalin Hillary Clinton sogleich zur Außenministerin machte (machen musste).
Barack & Hillary setzten fort, was George, Dick & Don auf ihren Schreibtischen hinterlassen hatten.
Sie versuchten, einen eigenen regime change-Cocktail aus gefakt-demokratischem Aktivismus und militärischer Gewalt zu brauen (der freilich ganz ähnlich schmeckte wie der alte konservative).
Wirklich neu waren nur Facebook & Co.
Die sozialen Medien gaben der Regimewechsel-Variante des sogenannten Arabischen Frühlings einen modischen Anstrich, für den sich auch ansonsten apolitische Nerds begeistern konnten.
Das zweite Element der Strategie war weniger geeignet, öffentliche Sympathien hervorzurufen:
Die US-Demokraten waren bereit, das Geld, die Waffen und den Fanatismus ihrer sunnitisch-islamistischen Bundesgenossen im Nahen Osten einzusetzen – beispielsweise in Libyen und Syrien.
Es war ein Modell, das in Libyen einen Erfolg und einen Misserfolg in Syrien zeitigte.
Im Wesentlichehn ging es darum, die (mehr oder minder) alten laizistisch ausgerichteten Diktatoren der beiden Länder mit Hilfe von autokratischen Regimen der arabischen Halbinsel zu stürzen (was letztere ab einem bestimmten Punkt nicht mehr mitmacten wollten, weil sie das unbestimmte Gefühl entwickelten, sie seien dazu bestimmt, als nächste an den Richtblock zu treten – siehe Saudiarabien-Ägypten).
Der Theorie nach sollte es freilich funktionieren – und das war auch real der Fall, solange es um einen Bundesgenossen des schiitischen Erzfeindes ging wie in Syrien (“Pech” nur, dass die Russen in diese Suppe spuckten).
Interessant und sachkundig beschreibt Engdahl in “Arab Spring, Gold Dinars and Energy Wars”, wie ein Jahr nach Obamas Amtsantritt ein geheimes Komitee eine Presidential Study Directive (PSD-11) entwickelte, die die Sunni-islamistische Moslembruderschaft zu einem “viable movement” erklärte
- und zur “bizarren Schlussfolgerung” gelangte, dass das Wirken der Brüder “zu Reform und Stabilität” führen würde.
Inzwischen war das US-Imperium in Osteuropa den Resten der 1989 niedergerungenen Sowjetunion immer stärker auf den Pelz gerückt.
Es war eine Entwicklung, die schon nach der deutschen Wiedervereinigung zu Beginn der 1990er-Jahre eingesetzt hatte und die sich in drei großen Schritten vollzog:
- Der erste Schritt war die NATO-Erweiterung der 1990er-Jahre, in der sich vormals kommmunistische osteuropäische Staaten dem transatlantischen Bündnis anschlossen, gefolgt von deren EU-Beitritt 2004 bzw. 2007. Das traf auf noch keine allzugroße Gegenwehr des russischen Bären, der achselzuckend zur Kenntnis nahm, dass es sich um quasi autonome Entscheidungen früherer Satelliten handelte, gegen die man nicht viel unternehmen konnte. Der potenzielle Feind war auch noch Hunderte Kilometer entfernt und zwischen ihm und Russland lag sozusagen noch ein Art neutrales Glaçis, das auch im Westen respektiert wurde.
- Das änderte sich, zweitens, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, als von der CIA unterstützte Farbrevolutionen in Georgien und der Ukraine stattfanden – wobei letztere noch nicht “nachhaltig” war und das “demokratisch” in die Regierung gehievte georgische Regime 2008 militärisch eins auf den Deckel bekam. Engdahl schildert die Vorgänge in seinem 9. Kapitel: “Banging on Moscow’s Door: Georgia and Ukraine Color Revolutions Shake Russia”.
- Der dritte Schritt erfolgte 2013/2014, als es den regierenden Obama-Demokraten (und Neocons im Außenministerium) gelang, einen bis zur Stunde andauernden regime change in Kiew durchzusetzen und die EU dafür voll in die Pflicht zu nehmen. Der “große Preis” dieser zweiten ukrainischen Farbrevolution war die Halbinsel Krim, die in Sewastopol den einzigen Warmwasserhafen Russlands beherbergt – eine Militäreinrichtung, die für die russische Strategie im östlichen Mittelmeer von entscheidender Bedeutung ist. Die ethnisch mehrheitlich russische Krim-Bevölkerung spaltete sich nach dem Umschwung in Kiew – wohl auf Betreiben Moskaus – von der Ukraine ab und schloss sich Russland an. Der Vorgang wird in der EU bis heute auf demagogische Weise mit dem Grenz-Revisionismus Hitlers in der Zwischenkriegszeit verglichen – was erstens ein schiefer Vergleich ist und zweitens auf Kosten der Sicherheit der Mitteleuropäer geht.
Gegenrede zu Trump
Unter der Zwischenüberschrift “Trump and New Oil Wars” geht Engdahl im letzten Kapitel davon aus, dass der 45. US-Präsident die soeben geschilderte Außenpolitik der vergangenen 30 Jahre cum grano salis fortführen wird.
Es mag einige Anzeichen für einen solchen Kurs geben – dieser Blogger ist sich in dieser Hinsicht allerdings nicht so sicher.
Nicht umsonst ist Trump bei bereits erfolgten und zukünftigen Begräbnissen von Leuten wie John McCain und G.H.W. Bush unerwünscht.
Es gibt zahlreiche noch “härtere Hinweise” auf einen präsidentiellen Traditionsbruch, etwa den handelspolitischen Antiglobalismus Trumps, die tendenzielle Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Macht in “fremden Erdteilen” und seine Vorsicht gegenüber Russland – was böswillig als Folge der angeblichen Verschwörung mit Moskau ausgelegt wird.
Und die Trump zugeschriebene Bereitschaft zu neuen Ölkriegen schlägt sich auch mit der Tatsache, dass die USA heute allgemein energie- und beim Erdöl weitgehend importunabhängig sind, siehe z.B. hier.
Es sieht ferner nicht so aus, als wolle DJT das monetäre Modell Petrodollar um jeden Preis am Leben erhalten.
Seltsamerweise will der Autor von A Century of War auch nicht sehen, welch geostrategische kopernikanische Wende eine amerikanische Unabhängigkeit von Erdöl aus dem Golf zeitigen muss.
Es ist jedenfalls ziemlich offensichtlich, dass Trump nicht gedenkt, künftig etwa für die Ölversorgung von Japan, Südostasien oder Europa auf die Barrikaden zu steigen.
Vielleicht ist das der tiefere Grund für die große Animosität, die ihm aus dem Alten Kontinent entgegenschlägt.
F. William Engdahl, Manifest Destiny. Democracy as Cognitive Dissonance. 2018, erhältlich etwa hier.
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