Der in Paris lebende Texaner Michael Webber hat eine Geschichte der Energie abgeliefert, die beispielhaft zeigt, was Kognitive Dissonanz bedeutet. Einereits geleitet Webber seine Leser durch die “fossile Energie-Revolution” seit 1800, die eine Verachtfachung der Bevölkerung ermöglicht hat, andererseits setzt er stillschweigend voraus, dass die anstehende Rückabwicklung in Namen der Entkarbonisierung keine negativen Folgen zeitigen würde, sofern a) “klimaschädliche Energieträger” richtig kanalisiert und b) höherer Effizienz zum Durchbruch verholfen werde(n).
Richtige Kanalisierung bedeutet für Webber bevorzugte Beteilung der Armen des Globalen Südens, wo noch Milliarden auf die transformative Kraft von Kohle, Öl & Gas warteten.
There’s no such thing as other people’s kids. All the world’s kids are everyone’s responsibility. Either we care about them or we don’t. Making sure they will have access to energy in a habitable environment is our most pressing obligation.”
Davor schildert der Autor in sechs Kapiteln den engen Zusammenhang zwischen dem, was “moderne/neue Energien“ genannt wird und der durch diese jäh verbreiterten Überlebensbasis bzw. erhöhten Lebensqualität
Diese Abschnitte nennen sich
- Wasser, wo u.a. die energetischen Voraussetzungen von Bereitstellung und Behandlung von Trink-und Abwasser thematisiert werden, dem “größten zivilisatorischen Fortschritt der vergangenen 150 Jahre”.
- Nahrungsmittel. Hier wird z.B.auf die künstliche Bewässerung über elektrische Pumpen eingegangen – etwas, das über Jahrtausende nur mit (tierischer) Muskelkraft bewerkstelligt wurde. Relevant sind hier natürlich auch (Stickstoff-)Düngung (“Haber-Bosch”) sowie die Mechanisierung der Landwirtschaft, was die Flächenerträge explodieren ließ – aber auch das Haltbarmachen z.B. mittels Kühlung,
- Webbers dritter Abschnitt diskutiert das Transportwesen, wo erläutert wird, dass Menschen und Waren bisher mit Muskelkraft bewegt wurden, und dass dies von Dampfmaschine (Kohle) und internen Verbrennungsmotoren (Benzin & Diesel) beendet worden sei.
- Das vierte Kapitel heißt “Wealth”. Es widmet sich dem gesellschaftlichen Wohlstand – beginnend bei der Beleuchtumg innen und außen, über eine verallgemeinerte Schulbildung bis hin zum Öffentlichen Gesundheitswesen, dem “ultimativen Ausdruck des Wohlergehens”. Erst die “neuen Energien” und die ihnen zuzuordnenden Erfindungen hätten ferner die Entlastung der Frauen von den Mühen der Hausarbeit sowie Demokratisierung und Globalisierung ermöglicht.
- Das Kapitel “Cities” widmet sich der Urbanisierung – sowohl jener Europas im 19. Jahrhundert als auch der heutigen in der sogenannten Dritten Welt. Nur die massive Steigerung der agrarischen Produktivität – Kapitel 2 – habe das nachhaltige Wachstum städtischer Agglomerationen ermöglicht. In den bis dato ungekannten Menschen-Zusammenballungen sind die negativen trade offs des an sich gedeihlichen neuen Energie-Regimes am augenfälligsten – von der offen zur Schau getragenen Armut bis zur extremen Umweltverschmutzung.
- “Security”, Kapitel 6, beschäftigt sich primär mit der Kriegführung des 20. Jahrhunderts und der damit einhergehenden Massenvernichtung, von der erstmals “industriellen” Kriegführung 1914 – 1918 über den Bombenkrieg auch gegen Zivilisten bis zu Hiroshima. Energie bzw. der Entzug dieser wurde im vergangenen Jahrhundert auf vielfältige Weise zum Mittel von Machtausübung und Kriegführung.
Webber lässt keinen Zweifel daran, dass der vor 200 Jahren über die Menschen hereinbrechende energetische Segen auch eine andere, dunkle Seite hat. gewissermaßen das Preisschild des Fortschritts (aber auch, dass diese Kosten über technische Lösungen und Verhaltensänderungen verringert werden können);
und dass so auch die künftige Energiekrise bewältigt werden kann – eine Kalamität, die er, wie allgemein üblich, zur “Klimakrise” erklärt.
Technologie & das Ende konzentrierter Treibstoffe
Der Chief Technology Officer eines internationalen Energiedienstleisters mag da seine Meriten haben – dieser Job hat ihm wohl die Übersicht darüber verschafft, was in Sachen Optimierung & Effizienzsteigerung im Bereich des Möglichen liegt
- von Künstlicher Intelligenz über “cutting edge” Sensor-, Mess und Regeltechnnik bis zu Internet- und Handygestützten Mobilitätsdienstleistungen für Bewohner verdichteter Siedlungsräume (der Autor scheint freilich auch an einem Hang zu hyperoptimistischen Utopien/Techtopien zu leiden – z.B. “batteriebetriebener Traktor”).
Technisch und beim Konsumentenverhalten mag in einer echten Mangelsituation wirklich “viel gehen” (meint dieser Blogger)
- ob derlei allerdings ausreicht um das phasing out konzentrierter fuels zu kompensieren, darf bezweifelt werden.
Der gewaltige demographische Druck auf die natürlichen Ressourcen – zuerst auf die Energieträger – ist nämlich allzu real; ein Druck, der sich seit 200 Jahren aufbaut und der sich eines Tages entladen muss
- spätestens sobald die säkuläre Energie-Bonanza vorbei ist hoffentlich abgemildert durch neues Wissen und daraus entstehende Produktivitätsgewinne.
Webber, ein ausgebildeter Naturwissenschafter, müsste sich über die realen Mechanismen eigentlich im Klaren sein.
Allein kraft seiner Ausbildung müsste der Autor erkannt haben, dass “seine” modernen Energien entweder direkte Abkömmlinge fossiler Energieträger sind oder dessen Derivate, die Kohle & Co. zur Voraussetzung haben (z.B. Elektrizität via Wasserkraft).
Webber sieht, dass die Energie-Revolution, die das Thema seines Buches ist, dort wo sie stattfand, letztlich gedeihlich war – weswegen sie auch für die “Dritte Welt” einzufordern sei.
Ein Knappheits-Szenario freilich will er keines bemerken – ebensowenig wie adverse Effekte, die sich aus einem klimatisch begründeten Powerdown für die sg. Industrieländer ergeben würden.
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