Der französische Energiehistoriker Jean-Baptiste Fressoz, der die Welt heute in einer “beispiellosen Situation” sieht – freilich wg. Klima und Umweltverschmutzung -, hat ein Buch vorgelegt, das die weit verbreitete “Transitions-Ideologie” des Mainstreams einer historischen Kritik unterzieht. Laut Fressoz gab es bisher keinen energetischen “clean sweep” in dem Sinn, dass ein (Energie-)Rohstoff einen früher verwendeten obsolet gemacht bzw. ersetzt hätte. Das werde wohl auch bei einer umfassenden Elektrifizierung mithilfe “erneuerbarer Energien” so bleiben.
Diese Häresie gegenüber einigen Regierungsamtlichen und manchen Grün-Aktivisten wird durch die weitgehende Akzeptenz wenigstens zweier heutiger, angeblich wissenschaftlich abgesicherter Konsenswahrheiten “verdaulich gemacht”: dass, erstens, die vom Menschen verursachte Anreicherung der Atmosphäre mit CO2 die Erderwärmung bestimme und zweitens, dass Malthus und dessen moderne Nachfahren unentschuldbar falsch gelegen seien.
Auf der Haben-Seite des bereits im vergangenen Jahr erschienen Buchs stehen “Faktoide” und Einsichten, die selbst “Geschichts-Fexen” wie diesem Blogger unbekannt waren bzw. verschlossen geblieben sind.
Ausgangspunkt von Fressozs Text ist Joseph Schumpeters “Theorem von der schöpferischen Zerstörung”, das 50 Jahre später auch und speziell bei Energiewende-Ökonomen (den “Schumpeters du climat”) auf fruchtbaren Boden gefallen sei.
Der Autor steigt in sein Kapitel über die Beleuchtung (“À la lueur d’une bougie”) mit der Nobelpreisverleihung 2018 ein, deren Dankesrede exemplarisch dieses Fressozs Meinung nach verkehrte Paradigma aufzeigt:
Le message de la discipline économique au reste du monde était sans ambiguïté: c’est par l’innovation, par la ‘destruction créatrice’, chère à Joseph Schumpeter, qu’on combattra efficacement le réchauffement climatique.”
In der Energiegeschichte gebe es aber kein Beispiel dafür, das zeige, dass alte Energieformen und -materialien ganz ersetzt worden seien – im Gegenteil:
“alte” Elemente ermöglichten oft erst Erfolg & Hegemonialstellung “neuer Energien”, wie beispielsweise das massenweise eingesetzte, in England importierte “Bauholz” zum Abstützen der Stollen im Kohlebergbau (bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts). Ähnlich die damals eingesetzten Grubenlichter, die organisch erzeugtes Fett verbrannten
(die einzige Ausnahme ist angeblich Schafwolle, die freilich auch nicht ganz ersetzt wurde).
Holz wuchs mit Kohle & Petrochemie mit
Es habe ohne hölzerne “pit props” und “archaische Beleuchtung” im 19. Jahrhundert aber gar keine “moderne Energie durch Kohle” geben können. Die dunklen, nach Holz riechenden Stollen des 19. Jahrhunderts seien die “wahren unterirdischen Wälder” (siehe auch Sieferles Buch 1982, auch hier und hier).
Infolgedessen sei Skepsis gegenüber gängigen Periodisierungen wie “Kohle-Zeitalter” etc. angebracht (“phasisme materiél”) und auch die Exajoule-Zählungen anderer Energiehistoriker seien letztlich falsch, weil es sich um Bruttobetrachtungen handle, in denen der Beitrag (meist) “alter” Energieformen bzw. Materialien nicht erfasst werde (für Fressoz sind die Historien der Energieträger sowie der Materialflüsse eng verknüpft).
Oft erzeugten “neue Energien” mit ihren neuen Möglichkeiten nämlich erst die zusätzliche Nachfrage nach “historisch Obsoletem” wie sehr plausibel im Kapitel über die “Wurzeln des Wachstums” ausgeführt wird:
Der oft als Öl-Zeitalter titulierte Zeitraum ab den 1940ern habe absolut zu einem großen Mehrbedarf an Holz geführt, dies freilich nicht in “reiner Form”, sondern als “Zutat” bzw. Rohstoff für neue Baustoffe (Sperrholz, Holzfaser), in der Karton- bzw. Verpackungsindustrie oder im Transportwesen (Paletten)
- alles ohne “Konsumgesellschaft” und Treibstoffe für interne Verbrennungsmotoren undenkbar (in dieses Kapitel gehört übrigens auch die Ablauge/Schwarzlauge in der Zellstoff verarbeitenden Industrie, die bis in die 1970er in die Flüsse geleitet worden war – insofern eine Addition von Komplexität, als das Beispiel auch die Themen Umweltschutz und staatliche Vorschriften mit einbezieht).
Viel von Fressozs Beweisführung basiert auf dem Beispiel Holz, der Autor verweist aber z.B. auch darauf, dass es ohne das Kohle-/Koksprodukt Stahl keinen Öl-Boom im Mittleren Osten gegeben haben würde (wobei er sich immerhin nicht zu schade ist, die “Sekundärliteratur” anderer Autoren zu übernehmen und “korrekt zu zitieren”, siehe z.B. hier)
Interessante und “unerwartete/kontraintuitive” Lektüre findet sich auch in den Kapiteln 10 bis 12, in denen u.a.
- die Wurzeln der heutigen wissenschaftlich-ideologischen Klimawachelei unter den Schnelle Brüter-Fans der 1950er gefunden werden (den “malthusiens atomiques”) oder
- wo die “Kindheit” der heute üblichen Elektrifizierungsmanie geschildert wird – nämlich unter diversen “Techno-Experten” in- und außerhalb der Industrie (“carte technologique”).
Stärken und Schwächen
Dessen ungeachtet ist der Gesamttext als eine kaltblütig kalkulierte Mythenstürmerei einzuordnen, die Periodisierungskritikern und energiehistorischen Spezialisten mancherlei bringen mag
- was dieser Blogger aber nicht zu beurteilen wagt (dazu ist er zu wenig firm im Feld der “Energiegeschichte”).
Dass Fressozs “Energiewende wird nicht stattfinden” nicht nur an diversen politischen Bäumen rüttelt, sondern auch einen (“allgemeineren”) Erkenntnisgewinn bringt, darf freilich bezweifelt werden.
Der folgende, auch in Wiki Commons zu findende Chart von “Our World in Data” bleibt nämlich im Wesentlichen unberührt.
Die exponentielle Kurve nach oben, die nach Meinung dieses Bloggers eine kausale Beziehung zu “Weltbevölkerung”, “Globalisierung”, “Entwicklung” etc. hat,
zeigt nämlich nicht, dass z.B. das 19. Jahrhundert das “Jahrhundert der Kohle” gewesen ist (was man als “westlicher Historiker der Industrialisierung”, “Smitho- oder Marxologe” etc. vielleicht tatsächlich glaubte), sondern
- dass die Primärenergie Kohle so richtig erst im 20. Jahrhundert “Karriere gemacht hat”- speziell in der Volksrepublik -, als das Fördermaximum etwa in England bereits überschritten war und
- dass auf “charbon” noch der Brennwert von Erdöl und Erdgas “gestapelt” wurde, ebenfalls im 20. Jahrhundert.
“Kohle”, “Öl” und “Gas” sind hier weniger als Epochenbezeichnungen zu verstehen, sondern eher als eine Art von Leit- oder hegemonialen Energieträgern,
als zunehmend erschlossene, neue Primärenergien die historisch beispiellos viel “Netto-Energie” an die fördernden bzw. verarbeitenden Gesellschaften abgeben konnten.
Bei “Holz”, das ja auch eine Form von “dichter Energie” ist, war das nicht der Fall. Seine flache Grafik-Linie könnte bei Bedarf Tausende Jahre in die Vergangenheit verlängert werden
(und würde dabei wohl stark mit der flachen Grafik-Linie der Weltbevölkerung korrelieren, weil es sich in diesem Fall eben um mehr als eine Korrelation handelt).
Dass Öl oder Gas (Pipeline-Röhren) ohne aus Kohle entstandene Produkte unmöglich gewesen wären (Stahl), ist zweifellos eine Erkenntnis (aber eben auch eine “Banalität”),
ebenso wie der (korrekte) Einwand, dass die Brennenergie der (Material-)Produkte früherer Energie-Stadien den “neuen” – und nicht den “alten” Brennstoffen zugeschlagen wird
(dieser Blogger hat nur den Verdacht, dass dies – würde es sehr wohl geschehen – kaum etwas an der Kurve ändern würde, nichts Sichtbares jedenfalls).
Also: “Symbiotisches” oder “additives Wachstum” ja
- und der Inhalt des Buchs musste “einmal gesagt werden”, was Fressoz hiermit getan hat.
Aber das heißt noch lange nicht, dass damit die “Exzeptionalität” alternativ erklärt würde, die die vergangenen 200 Jahre in der Menschheitsgeschichte charakterisiert.
Fresssoz weiß das sicherlich, hatte vielleicht aber
- ein Hühnchen mit Kollegen zu rupfen, oder hat
- einen “Henkel” für die Bewerbung seines neuen Buchs gesucht.
Fressoz ist zweifellos auch bewusst,
- dass Thomas Malthus berühmter Essay, in dem er falsche Vorhersagen machte und wofür er seit 200 Jahren von Krethi & Plethi verdammt wird, am Vorabend der beginnenden Nutzung von Kohle erschienen ist und der Reverend damals die massenhafte Verwendung von “fossilen Energien” nicht ahnen konnte,
- dass die Verbrennung von Kohle – und damit deren angeblich klimaschädliche CO2-Emissionen – zum überwiegenden Teil ein Phänomen des 20. Jahrhunderts und der sg. Entwicklungsländer ist, dass dies von diversen heuchlerischen Klimaschützern aber nicht gebührend “gewürdigt wird” (ja, die “Dritte Welt” soll auch in den Genuss von Strom aus dichter Energie kommen – der angeblich mit den Emissionen geschädigten Atmosphäre ist es aber völlig egal, ob das CO2 aus Bangladesch oder aus Berlin kommt – diverse Gretas und Louisas zerreißen sich trotzdem nur den Mund über Berlin).
- Wahrscheinlich weiß Fressoz, der das Thema seit Jahr und Tag studiert, auch, dass der energetische Aufwand um an Öl bei Shale oder im Meer zu kommen, ungleich höher ist als bei konventioneller “vertikaler Bohrung an Land”; möglicherweise sind ihm sogar dessen potenzielle “malthusianische Folgen” bewusst – er macht diesbezüglich aber nicht nur keinen Mucks, sondern “framt” die Warner auch entsprechend, ganz im Stil des Mainstreams, gegen den in anderen Teilsapekten angerannt wird.
Wer durch diese Rezension “auf den Geschmack gekommen ist”, Englisch versteht und eine Stunde erübrigen kann,
könnte auch das hier eingebundene YT-Interview Fressozs mit Nate Hagens nachhören:
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