Neid-Debatte wird rot – Die Karriere eines Kampfbegriffs

Managergehälter, Vermögenssteuer und Leistungseinschränkungen für Selbstständige – der Begriff Neid-Debatte zählte lange zum Arsenal der “Rechten”, die sich damit gegen Steuererhöhungen und ständige Staatseingriffe wehrte. Seit sich die Sozialdemokraten darauf spezialisiert haben, Neubürger in spe zu pampern, gibt es den Kampfbegriff in rosarot. Als Neidgenossen kritisiert werden Proleten, die sich vom Staat zurückgesetzt fühlen (implizit) sowie Konservative, Rechtspopulisten und Nazis (explizit).

Der Frontverlauf in der Frage ist, zugegeben, unübersichtlich und wirkt manchmal unlogisch. Oft ist es nur eine Frage der Ressortverteilung. Finanzminister haben eine natürliche Tendenz, schon deswegen Anti-Sozialneid zu sein, weil sie sonst auch mit der anderen, der inländischen Hand “Geschenke” austeilen müssten (die eigentlichen Schenker sind freilich schon immer andere gewesen).

In solchem Kuddelmuddel hat sich die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely die NEOS für eine Aussage vorgenommen, in der diese davon sprachen, dass Asylanten die bundesländerweise unterschiedliche Mindestsicherung quasi zum Sozialkohle-Shopping verwenden könnten.

NEOS-Mandatar Sepp Schellhorn hatte für eine Flüchtlingsfamilie mit vier Kindern ein arbeitsloses Einkommen von 36.000 Euro errechnet.

Das ging natürlich gar nicht. Neid-Debatte, schrie die Wehsely, die Mindestsicherung beträgt nur 25.600 Euro.

Am Ende stellte sich heraus, dass zur Mindestsicherung in dieser Höhe noch 11.000 Euro aus anderen Töpfen kommen, an “Transferleistungen” – so als ob diese niemand, oder sie selbst und Werner Beinhart aus ihrer Privatkasse bezahlen würden (das zusätzliche Einkommen dürfte hauptsächlich aus dem “Kindergeld” entstehen - aus dem Familienlastenausgleichsfonds, 84 Prozent Dienstgeberbeiträge).

Unverfrorene Frau Wehsely

Als I-Tüpfelchen wirft die Wehsely dem Schellhorn schließlich vor, dieser wolle “schleichend die Sozialstandards für Österreicher senken”.

Die Wehsely-Chuzpe besteht nicht darin, dass Schellhorn so ein Anliegen nicht zuzutrauen wäre. Ihre Unverfrorenheit erschließt sich daraus, dass es gerade Wien ist, dem die Kosten für die Mindestsicherung davongaloppieren und dass das Folge des Zustroms von Asylberechtigten und subsidiär Schutzbrechtigten ist. 

Die Stadträtin ist jene Politikerin, die am 28. Oktober 2015 einen Wiener Gemeinderatsausschuss über eine weitere Ausgabenüberschreitung informiert hat und die das damit begründet, dass die Zahl der Asylanten binnen 12 Monaten um 8.200 gestiegen sei, weswegen sie 25 Millionen Euro mehr brauche, siehe hier, hier und hier.

Wenn also jemand über das Ausmaß Bescheid wissen müsste, in dem neue Asylberechtigte Sozialleistungen in Anspruch nehmen, dann ist es diese Frau. Die Wehsely hat aber ganz offensichtlich keinerlei Interesse an einer nüchternen Aufklärung der Fakten.

Durchschnittseinkommen mit Sozialkohle

Ein Faktum in diesem Zusammenhang ist übrigens, dass das genannte Jahreseinkommen für die Flüchtlingsfamilie ziemlich genau dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen einer österreichischen Familie entspricht (Medianwert). Laut “EU-SILC 2014″ betrug das im Jahr 2014 34.638 Euro netto, siehe hier.

Die österreichische SILC-Familie hat im Schnitt zwar viel weniger Kinder als die sechsköpfige Flüchtlingsfamilie, muss dieses Einkommen zum weitaus überwiegenden Teil aber aus Arbeit erwirtschaften.

Das ist der nachvollziehbare, durch und durch rationale Kern einer solchen “Neid-Debatte”.

sc_haushaltseinkommen

Unabhängiger Journalist

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