Philipp II war keineswegs jener Kreditnehmer aus der Hölle, als den ihn seine Nachwelt darzustellen pflegt, sagt eine 2014 erschienene Studie. Er sei ein finanziell verantwortungsbewusster Monarch gewesen, der im Rahmen seiner fiskalischen Möglichkeiten geborgt habe. Den Absturz Spaniens hätten seine Nachfolger zu verantworten, denen es nicht gelungen sei, einen modernen Steuerstaat aufzuziehen.
Vor zwei Wochen nannte ich Philipp II hier als Beispiel eines Fürsten, der sich finanziell skrupellos verhalten und der trotz tiefer Taschen einen Bankrott nach dem anderen hingelegt habe. Ein paar Tage später stolperte ich über Lending to the Borrower from Hell von Mauricio Drelichman und Hans-Joachim Voth und es war, als hätte der vor 400 Jahren verblichene König mir seine PR-Agentur auf den Hals geschickt, die noch bis zum Jahr 2600 mit der Pflege seines Images betraut ist.
Klarerweise war das nur ein Zufall. Die in der 2014 erschienen Analyse genannten Fakten verdienen es dennoch, zusammengefasst werden.
Die Studienautoren, Wirtschaftshistoriker, haben sich naturgemäß “etwas” mehr Mühe gemacht als die gewissenhafteste Agentur das je könnte. Sie haben Verträge hunderter kurzfristiger Anleihen (asientos) durchgelesen und transkribiert sowie die Fiskalpositionen der spanischen Krone in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts rekonstruiert. Schließlich unterwarfen sie die Daten einer computergestützten Analyse wie sie z.B. der heutige IWF vor einer Kreditvergabe verwendet – und siehe da ! Der gute, alte Philipp ist nicht mehr wiederzuerkennen.
Es ist zwar nach wie vor zutreffend, dass die spanische Krone viel Kredit aufgenommen hat und gleich vier Mal ihren Rückzahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist – aber das waren angeblich nur Liquiditätsengpässe, die von den Kreditgebern schon in die Renditen einkalkuliert worden waren.
Die Banker, sagen Drelichman und Voth, waren damals noch wesentlich flexibler und eigentlich so etwas wie Assekuranzen, Versicherer gegen die Wechselfälle des Daseins als König und Feldherr. Deshalb habe es auch nie lange gedauert, bis Philipp nach einem Staatsbankrott wieder frischen Kredit bekam.
Dass Felipe nie einen längeren Zeitraum vom Kapitalmarkt abgeschnitten war, ist unbestreitbar. Und wahrscheinlich ist es auch richtig, dass die genannten events entschuldbar waren, dass entsprechende haircuts moderat ausfielen und der Monarch als im Prinzip kreditwürdig galt.
Für die genuesischen Banker war die Finanzierung des Habsburgers jedenfalls ein gutes Geschäft – trotz seiner vier Staatspleiten. Die asientos brachten ihnen normalerweise mehr als zehn Prozent pro Jahr und die langfristigen juros immerhin sieben. Heute würde man das Spanien Philipps II zweifellos als klaren Fall für den ESM betrachten.
Die Zinsen waren hoch, obwohl Philipp Nutznießer eines einmaligen Glücksfalls war. Als Inhaber des Bergregals auf Silber konnte er die Produktion ganz Neuspaniens für sich beanspruchen, die erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts so richtig anlief – und Silber fungierte damals als Geld.
Wenigstens einmal im Jahr landete in Sevilla die Silberflotte und dieses Edelmetall bot eine vorzügliche Grundlage dem König Geld zu borgen. Es gehörte dem Fürsten und dieser musste in diesem Fall weder Hoheitsrechte verkaufen/verpfänden noch eine Ständeversammlung um höhere Steuern bitten.
Gemäß modernem Verständnis, sagen Drelichman und Voth, war die spanische Krone nie insolvent, ihre Schulden waren langfristig sustainable, das heißt: Sie standen in einem tragbaren Verhältnis zur zu erwartenden Einnahmesituation. Im Regelfall habe die Krone laufend Primärüberschüsse “erwirschaftet”.
Philipps oft verschrieenes, unverantwortliches finanzielles Handeln sei Teil einer schwarzen Legende, die ihm seine protestantischen Gegner umgehängt hätten.
Was hat nun den spektakulären Absturz verursacht, den Spanien im Verlauf von nur hundert Jahren hat hinnehmen müssen ? (Dieser ist definitiv keine Legende.)
Zwei Dinge, sagen die Autoren des Höllischen Kreditnehmers:
- Zuerst einmal, dass Kastilien & Aragon (bzw. ihre Bestandteile) so heterogen waren, dass es den spanischen Habsburgern nicht gelang, die mittelalterlichen Freiheiten zu beseitigen und einen modernen, “effizienten” Steuerstaat aufzuziehen (wie in Frankreich sowie – in Zusammenarbeit mit dem Parlament – in England.)
- Und zweitens – damit zusammenhängend -, wegen des Fluchs des lateinamerikanischen Silbers. Hier heben Drelichman und Voth weniger auf die sogenannte Holländische Krankheit oder die inflationären Folgen des einströmenden Silbers ab. Sie sagen: Weil die Nachfolger Philipps reichlich neuspanisches Silber zur der Hand hatten, glaubten sie, keinen Kompromiss mit den Ständen notwendig zu haben; keinen Kompromiss, der ihnen die Vereinheitlichung des nationalen Steuerwesens ermöglicht hätte - dessen Preis aber eine Machtteilung mit dem “Parlament”/den Ständen gewesen wäre.
Wenn die Schilderung Drelichmans und Voths zutreffend ist, wurde so ein absolutistisches Regime gerettet, das kein Absolutismus im neuzeitlichen Sinn war.
Die Kurve des wirtschaftlichen Absturzes Spaniens war jedenfalls steil. Ende des 17. Jahrhunderts starben die dortigen Habsburger aus und nach 14 Jahren Krieg bestiegen Bourbonen den spanischen Thron. Dort sitzen sie noch heute.
Foto: Dominicus Custos [Public domain], Wikomedia Commons
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