Während “liberale Linke” über den russischen Präsidenten herfallen, weil sie ihn als Führer einer konservativen Internationale und Feind universalistischer Werte begreifen, wiegeln diverse “Rechtspopulisten” ab – eine paradoxe Verkehrung der Fronten des historischen Kalten Kriegs. Besagte Diskussion findet nicht nur im halbseidenen Milieu der Mainstream-Journaille statt, sondern auch in der Academia. Drei aktuelle Bücher, quergelesen. NB zu T. Röpers deutschsprachiger Neuerscheinung.
Das Geschehen kann popularisierend als Boxkampf begriffen werden.
In der einen Ecke sitzt der emeritierte Russland-Experte Stephen F. Cohen, ein Entspannungs- und Abrüstungsbefürworter des vergangenen Jahrtausends . ein Mann von makellos progressivistischem Stammbaum (im Zeitalter des <Hyper>Feminismus darf man’s erwähnen: seine Frau ist Herausgeberin von The Nation).
Cohen hat Ende 2018 “War with Russia?” vorgelegt, ein Buch, das zu 85 Prozent aus seit 2014 geschriebenen Artikeln besteht.
Der Autor nimmt Russland und dessen Präsidenten gegen die seiner Ansicht nach unfairen Bezichtigungen des heute grassierenden Neo-McCarthyismus in Schutz, legt sich dabei mit früheren Glaubensgenossen an – und springt auch schon mal deren Gottseibeiuns bei, dem bösen Donald.
Im “frisch” für das Buch geschriebenen Prolog erläutert Cohen, wer oder was das viel diskutierte Gespenst Putin seiner Ansicht nach nicht ist:
- kein Demokratiefeind, der bestehende “freiheitliche Verhältnisse” in Autoritarismus verwandelt habe;
- Wladimir Putin sei weder Zar noch ein sonstiger Autokrat, sondern Erster Mann in einem politischen System, das demokratische und autoritäre Eigenschaften aufweise;
- kein Stalin-Nostalgiker sowie
- kein “KGB-Gangster”, was die teuflischste Anschuldigung sei (“most sinister allegation”).
- Auch sei Putin weder prinzipiell antiwestlich noch außenpolitisch speziell aggressiv (“Im Vergleich mit wem eigentlich?”)
Die US-Demokraten von Hillary Clinton “abwärts” dämonisierten heute, im noch gefährlicheren neuen Kalten Krieg Russland – was die Umkehrung des Originals von vor 50 Jahren sei.
Die zur Lügen(Lücken)Presse gewordenen gegenwärtigen Mainstream-Medien seien einseitig wie ihre Vorgänger das nicht gewesen seien.
Esteemed publications and writers now routinely degrade themselves by competing to denigrate ‘the flabbily muscled form’ of the ‘small gray ghoul named Vladimir Putin’.”
Das ist die eine Ring-Ecke.
In der anderen sitzt Keir Giles, der Autor des vor ein paar Wochen erschienenen Moscow Rules.
Der ist Brite, Fellow des Chatham House – aber dieser Blogger weiß rein gar nichts über seinen “weltanschaulichen Pedigree”.
Giles sitzt dort, wo er sitzt, weil sein Text aktuell ist und das gut zusammenfasst, was bei den neuen Kalten Kriegern Konsens ist.
Doch zuerst der auffälligste Unterschied:
Giles verzichtet auf ein spezielles Putin-Bashing, weil Russland gewissermaßen “schon immer so war”. Die Russen “kehren zum Typus zurück”, sagt er.
Ihr heutiges bösartiges Verhalten (“malignant behaviour”, “systematic embrace of falsehood and deception”) sei historisch nur konsistent. Die Russen hätten andere Werte, verstünden nur die Sprache der (defensiven) Gewalt und seien keine Partner des Westens.
Das stecke hinter den schon immer gescheiterten Neuanfängen in den Beziehungen zu Russland (“resets”) - worüber sich der Westen ehrlich Rechenschaft geben solle.
Anfangen müsse er damit, den Ruskis die Beteiligung an multilateralen Institutionen mit universalistischen westlichen Werten zu versagen und am Ende müssten militärische Stärke, Containment, Abschreckung und Konfrontation stehen.
Failure to deter Moscow invites consequences that are far more costly and far more damaging.”
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Vor ein paar Tagen erschien Putin’s World der Georgetown-Professorin Angela Stent, einer Expertin aus der “demokratoiden” Außenpolitik-Elite der Staaten (Brookings Institution, einst Beraterin von Bill Clinton).
Putin’s World ist ein Stück solider Gelehrsamkeit, das, vom Kalten Krieg 1.0 bis in die Gegenwart, die Beziehungen Russlands zum Westen rekapituliert.
Die Hauptaussage ähnelt der von Giles. Putin’s World ist eine Fortsetzung ihres schon vor fünf Jahren erschienenen Limits of Partnership, das auf dem Umschlag Barack Obama und Putin zeigt.
Die Möglichkeiten einer Partnerschaft mit Russland seien begrenzt. meinte sie schon damals. Auch Stent glaubt, dass ein sich ständig wiederholender Zyklus von resets ein fruchtloses Unterfangen sei.
Hier, in diesem bei YT abrufbaren Interview mit CBS, fasst Stent ihre Hauptergebnisse zusammen – z.B., dass es auch einen russischen Exzeptionalismus gebe – aber einen nicht-universalistischen, der sich – anders als der amerikanische – nicht dafür eigne, anderen das eigene Modell aufzuzwingen.
Trotz oft zutreffener und manchmal überraschender Erkenntnisse ist die Stent ein Paradebeispiel für Blauäugigkeit und Doppelmoral von Washingtons außenpolitischem Establishment.
Es scheint ihr nicht in den Sinn zu kommen, die Handlungen der Russen beispielsweise am Agieren des eigenen Staats zu messen – beispielsweise indem sie die nur bedingt erfolgreichen Versuche der Russen sich in die US-Präsidentenwahlen 2016 einzumischen, mit dem ungleich effizienteren langjährigen election meddling der USA anderswo vergleicht – siehe etwa hier.
Auch ist Stent – wie vielen anderen - nicht bewusst, dass die medial so gehypten Anklagen gegen Trump-Mitarbeiter Nebensächlichkeiten betreffen – und kriminelle/verwerfliche Praktiken, die den Präsidenten selbst nicht involvieren oder die gar den Eindruck von Entschuldbarkeit entstehen lassen (Flynn, Manafort, Michael Cohen).
So gesehen könnte mit der bevorstehenden Veröffentlichung des Mueller-Reports eine Überraschung auf Leute zukommen, die unkritisch dem Medien-Narrativ gefolgt sind, Trump sei praktisch schon der collusion überführt…
Stephen F. Cohen, War with Russia: From Putin and Ukraine to Trump and Russiagate. 2018
Keir Giles, Moscow Rules: What Drives Russia to Confront the West (Chatham House Insights). 2019
Angela Stent, Putin’s World: Russia Against the West and with the Rest. 2019
Nachbemerkung, 3.3.2019, 09.15 Uhr: Thomas Röper hat zum Thema ein (“nicht-akademisches”, trotzdem kenntnis- und materialreiches) Buch in deutscher Sprache vorgelegt. Es heißt “Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?”, siehe hier. Hagen Grell führt hier ein Interview mit dem Autor.
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