Reparationen: Der Schlussstrich, den die Deutschen nötig hätten

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“Großes-politisches-Wendemanöver-mit maximalem-Wendekreis-damit-es-ja-niemand-mitbekommt”

Was ist moralisch dran, den Deutschen von heute die aufgezinste Schadsumme für einen Krieg umzuhängen, den ihre Urgroßväter geführt haben? Was ist nobel dran, im Namen anderer Milliardenverpflichtungen zu übernehmen, für deren Begleichung keine gesetzliche Notwendigkeit besteht? Der deutsche Bundespastor ist jedenfalls gerade dabei, eine neue Entschädigungsrunde in Gang zu setzen. Der Schlusstrich, den die Deutschen wirklich benötigten, ist der unter Gauck, Merkel, Gabriel & Co., oder genauer: unter deren Politik.

Das ist unerbetener Zuruf von außen. Die Sache geht mich als Österreicher eigentlich nichts an. Ich kann mich nur nicht zurückhalten, weil das Schauspiel so erbärmlich ist.

Der deutsche Bundespräsient hält es in Sachen Griechenland – siehe hier – für angebracht, dass „ein geschichtsbewusstes Land wie unseres auslotet, welche Möglichkeiten von Wiedergutmachung es geben könnte“. Gauck hat damit ein Politspielchen eröffnet, das die deutschen Nachbarn mittlerweile zur Genüge kennen sollten. Es wurde in den vergangenen Jahren – gerade in Bezug auf Griechenland – Dutzende Male aufgeführt. Es nennt sich: Großes politisches-Wendemanöver-mit maximalem-Wendekreis-damit-es-ja-niemand-mitbekommt.

Die Deutschen hatten und haben noch immer die juristisch wohl gut fundierte Rechtsposition, dass mit dem  Zwei-plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990 alle weiteren Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg obsolet geworden sind. Sie und die anderen Unterzeichner haben nie ein Hehl draus gemacht, dass die Abmachung anstelle eines Friedensvertrages getroffen wurde und dass sie bezüglich Reparationsforderungen die genannte Wirkung entfalten würde. Auch Griechenland hat das zur Kenntnis genommen und 2 + 4 nicht widersprochen – nicht formell und (soweit bekannt) auch nicht informell. Bis jetzt, 25 Jahre danach.

Das ist völkerrechtlich gesehen eine ziemlich eindeutige Angelegenheit, die man verkürzt so ausdrücken könnte: Athen hat akzeptiert, dass es keinen Rechtsanspruch auf (weitere) Reparationen hat. So wie alle anderen Stillhalter von damals, die von der Vereinbarung (potenziell) betroffen waren. Das ist meines Wissens nirgendwo wirklich strittig (vielleicht mit Ausnahme Griechenlands).

Gauck behauptet jetzt auch nicht, dass die heutigen Deutschen Reparationen leisten sollten, weil sie rechtlich gezwungen, sondern weil sie moralisch dazu verpflichtet wären. Ihre Urgroßväter hätten “im Zweiten Weltkrieg eine Spur der Verwüstung durch Europa gelegt.”

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Nun, das haben sie wirklich. Die politisch-moralische Rechnung speziell des Balkankriegs ist allerdings viel, viel komplizierter als die schuldstolze deutsche Politik und ihre ahnungslosen Gehilfen in den Medien das wahrhaben wollen (das beginnt schon beim Faktum, dass die Deutschen nur deswegen in Griechenland einmarschiert sind, weil ihre Verbündeten, die Mussolini-Italiener, dabei waren, “ihren Krieg” gegen Griechenland zu verlieren. Die Nazis hatten zu diesem Zeitpunkt im Osten – wie sie meinten -  Wichtigeres zu tun und waren eigentlich nicht heiß drauf, serbische und griechische Partisanen zu bekämpfen).

Aber wie auch immer die Umstände waren – die Deutschen sind am Balkan und in Griechenland einmarschiert und sie haben dort gehaust wie die Barbaren, gut organisierte Barbaren. Das wäre nun tatsächlich ein Fall für Reparationen gewesen, mehr als in so manch anderem Fall. Ob die so hoch anzusetzen sind wie die sieben Milliarden US-Dollar, die 1946 einmal im Gespräch waren, weiß ich nicht.

So wie es aussieht wurden den Griechen tatsächlich keine besonders hohen Entschädigungen gezahlt, zumindest nicht übersichtlich und in einem Stück.

1960 hat die BRD im Rahmen eines bilateralen Vertrags Entschädigungen in Höhe von 115 Millionen DM hergegeben, aber das war bei einem griechischen Bruttoinlandsprodukt von damals umgerechnet 4,4 Mrd. US-Dollar weniger als ein Prozent des BIP eines Jahres. Im Rahmen anderer Kriegsfolgeleistungen ist sicherlich noch einiges dazugekommen, aber das hat man angeblich nicht zusammengezählt und das soll sich seriös nicht berechnen lassen.

Bei einer Anfragebeantwortung im Jahr 2000 hat die deutsche Regierung schon einmal festgestellt, dass Angaben “über den Wert deutscher Reparationsleistungen nach dem Zweiten Weltkrieg (…) in der gewünschten Form nicht möglich (sind), da dem Bund entsprechendes Zahlenmaterial darüber nicht vorliegt.” (Würde mich freilich wundern, so wie ich die Deutschen glaube zu kennen.)

Aber wie gesagt: Viel haben die Deutschen scheinbar nicht aufgewendet. Wirklich viel wäre beispielsweise ein Betrag gewesen, wie ihn die EU seit 2010 für “Griechenland” springen hat lassen – 177 Prozent des griechischen BIP, wie der frühere Kommissionschef Barroso 2012 selbst ausgerechnet hat.

Barroso

Hohe Summen haben die Nachkriegsdeutschen dagegen den vier Siegermächten von 1945 und vor allem den Gläubigern der untergegangenen Weimarer Republik gezahlt. Die BRD hat 1952 zwar einen Rabatt auf die aufgezinste, theoretisch aufgelaufene Schuldsumme erhalten – die Zahlungen waren trotzdem sehr hoch.

(Das Londoner Schuldenabkommen war jedenfalls auch die implizite Anerkennung eines historischen Faktums, das gewisse Leute bis heute nicht wahrnehmen wollen: dass nämlich die angebliche deutsche Alleinschuld für den Ersten Weltkrieg und die enormen Reparationen, die man Weimar unter diesem Titel aufgebürdet hat, ein gerüttelt’ Maß zum Aufstieg Hitlers beigetragen haben).

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Die Griechen haben wohl nichts von den den Alliierten gezahlten Reparationen gesehen und sind, wie gesagt, von den Deutschen auch nicht großartig entschädigt worden. Sie haben “nur” – wie die Deutschen selbst – von den Rahmenbedingungen der europäischen Nachkriegsordnung profitiert.

Trotzdem wäre es 70 Jahre nach dem Unrecht an der Zeit, wirklich einen politisch-moralischen Schlusstrich zu ziehen. Weil die heutigen Deutschen nicht ihre Urgroßväter sind. Weil kein Rechtsanspruch auf eine Entschädigung besteht. Und weil keine Regierung der Welt für von ihren Vorgängern begangenes historisches Unrecht bezahlt. Das tut nur Berlin, und das scheinbar mit Gusto. Diese komischen Leute haben offenbar vergessen, dass sie eigentlich die Interessen eines Staats(bürger)volks wahren sollten.

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Wer auf den Wunsch nach Gerechtigkeit in der Geschichte wenigstens in diesem einen Fall nicht verzichten kann, sollte sich Folgendes vor Augen halten: Die deutschen Kredite und Garantien für “Griechenland” – 60 Milliarden Euro – sind faktisch futsch. Das gilt sowohl für den Fall, dass Griechenland im Euro bleibt als auch dafür, dass es aus der Gemeinschaftswährung aussteigt. In diesem Fall kämen noch die Kosten hinzu, die über das EZB-System/die Bundesbank für Deutschland bzw.dessen Bürger entstehen würden (“Target 2″). Diese Summe würde schnell einmal 100 Milliarden Euro erreichen.

Die heutigen Griechen hätten zwar nichts davon gehabt, aber die heutigen Deutschen wären bestraft worden. Ist das ein Deal ?

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In Wahrheit haben die EU-Staaten mit ihren 240 Milliarden-Zahlungen/Garantien an “Griechenland” ihr Finanzsystem und die verkorkste Euro-Konstruktion gerettet. Vorübergehend, auf ein paar Jahre.

Die deutschen Politiker wiederum glauben sich mit einem neuen Trick retten zu können: “Wir geben die 60/100 Milliarden einfach als deutsche Altschulden aus, die wir zwar nicht bezahlen müssten, die wir aber trotzdem bezahlen. Denn wir sind geschichtsbewusst und ehrenhaft. Unserem Michel ist nichts lieber als geschichtsbewusst und ehrenhaft zu sein.”

Materiell ist es egal, denn es läuft so und so auf dasselbe hinaus. Die verborgten Mittel sind weg. Ganz wie ich hier geschrieben habe: “Bankrott heißt Bankrott und einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen.”

 Die Unterschiede sind nur folgende:

  • Die deutschen Politicos, die eigentlich vor ein ordentliches Gericht gestellt gehörten, können mit der Largesse auf Kosten ihres Volks einen auf dicke Hose machen und
  • zweitens ist 70 Jahre nach dem Ende des Kriegs eine neue Entschädigungsrunde eröffnet – eine, die eigentlich gar nicht so abwegig ist (wenn man davon absieht, dass das Ganze zwei, drei Generationen zuzrückliegt).

Gemeint sind jene zehn westlichen und sieben osteuropäischen Länder mit denen die BRD andere bilaterale Entschädigungsabkommen geschlossen hat. Ohne dass ich es im Detail wüsste – aber diese Verträge waren wohl ähnlich dotiert wie das 1960 geschlossene Abkommen mit Athen.

Politisch-moralisch gesehen haben die meisten dieser 17 Länder wohl keine schlechteren claims gegen die heutigen Deutschen als Griechenland. Und wenn Hellas einen kräftigen Nachschlag bekommt, warum haben die restlichen 17 nicht auch Anrecht auf einen solchen? Ob Berlin aus Verpflichtung oder aus Geschichtsbewusstsein zahlt, ist jedenfalls ziemlich gleichgültig.

Foto: Freud derivative work: Hic et nunc/Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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