Schabhüttl und die Konvention

Schabhüttl_red
Buchcover, eigenes Bild

Franz Schabhüttl, langjähriger Leiter des bei weitem größten österreichischen Flüchtlingslagers, rechnet in einem bei seiner Pensionierung erscheinenen Buch nicht nur mit der hiesigen Lemuria von Michael Landau bis Christian Konrad ab. Er ergeht sich, sozusagen im Vorbeigehen, in Anekdoten, die unmissverständlich klar machen: Die jüngste “Flüchtlingswelle” hat das rechtliche Fundament des Asylwesens der Zweiten Republik ausgehöhlt – so stark, dass das Abkommen von Genf mittlerweile wohl unrettbar verloren ist.

Der Hauptgrund dafür ist, dass der 1951 entstandene internationale Vertrag von

  • den angeblichen Flüchtlingen, aber auch
  • der hiesigen Mitleidsindustrie massiv missbraucht wird.

Missbraucht, um auf der einen Seite Einlass in ein besseres Leben zu finden (was menschlich verständlich ist) – andererseits aber auch, um das Wohl (Überleben) der eigenen Organisation zu sichern.

Nirgendwo wird das deutlicher als in den Passagen von “Brennpunkt Traiskirchen”, in denen der frischgebackene Misanthrop und FPÖ-Sympathisant erzählt, dass sich geschätzte vier Fünftel der Asylwerber ihrer Dokumente entledigen um auf diese Weise

  • ihre Chancen im Anerkennungsverfahren zu verbessern
  • bzw. um ihre Abschiebung bei Nichtanerkennung zu verhindern.

Der zentrale Punkt dabei ist, dass in den Verfahren, die u.a. auf Basis dieser völkerrechtlich verbindlichen Übereinkunft geführt werden, die Beweislast beim aufnehmenden Staat liegt.

Ein Flüchtling, der ohne Papiere behauptet, minderjährig zu sein, der ist in einem Rechtsstaat so lange minderjährig, bis ihm rechtskräftig das Gegenteil bewiesen wurde.” (103)

Das Minderjährig-Sein ist deswegen so begehrt, weil rechtskräftig Minderjährige quasi automatisch einen Schutzstatus zugebilligt bekommen.

Sollten falsche Minderjährige auf Basis von medizinischen Gutachten nicht als jugendlich akzeptiert werden, helfen fehlende Papiere immerhin noch dagegen abgeschoben (“deportiert”) zu werden.

Sollte es nämlich einen Verdacht geben, aus welchem Land ein(e) Abzuschiebende(r) stammt,.nützt das der hiesigen Behörde im Regelfall nichts – weil ihr Gegenüber im mutmaßlichen (behaupteten) Ursprungsland erklärt, die fragliche Person nicht zu kennen.

Der Trend zur Verjüngung der Flüchtlinge, vulgo “systematischer Altersbetrug”, hat im Sicherheitsapparat eine Menge authentische und auch erfundene Erzählungen und grimmige Witze entstehen lassen, von denen Schabhüttl zwei (offenbar nicht aktuelle) erzählt.

Zum Beispiel, wie er einen angeblich jugendlichen Kirgisen mit Glatze und starker Körperbehaarung befragt, wie dessen reifes Aussehen zu erklären sei, und zur Antwort erhält:

‘In meiner Heimat altern die Männer schneller.’ Ich fühlte mich verbal entwaffnet (…) Erst später, im Lauf seines Asylverfahrens, tauchte ein als echt eingestuftes Personaldokument über besagte Person auf. Der 17-jährige war in Wahrheit 51 (…)

Wegen diesem Phänomen macht seit Jahren ein Scherz bei uns die Runde: Wie lange wird es wohl dauern, bis wir aus der Kinderstation die Mitteilung bekommen, dass der erste unbegleitete, minderjährige Flüchtling wegen eines altersbedingten Prostataleidens in Behandlung ist?” (103)

Seit 2010 versucht man, Altersfeststellungen mit medizinisch-wissenschaftlichen Methoden durchzuführen, indem z.B. die Handwurzel und die Zähne geröntgt werden und das Schlüsselbein einer Computer-Tomographie unterzogen wird.

Insgesamt sind es vier Gutachten, die alle zur Diagnose volljährig kommen müssen, damit die “Asylrichter” der Altersangabe des Ansuchenden nicht folgen.

Solch “rechtsstaatliches Vorgehen” ist übrigens auch ganz im wirtschaftlichen Sinne der lokalen Asylindustrie, die für den minderjährigen Antragsteller bis zu 95 statt 21 Euro Tagsatz erhält.

***

Der brave Beamte Schabhüttl hat zwar seine Zweifel, ob die Flüchtlingskonvention noch zeitgemäß sei, in letzter Konsequenz glaubt er aber daran, dass Rechtsbsis und das gegenwärtige institutionelle setup ausreichen müssten, um dem Ansturm der Migranten standzuhalten.

Schließlich, sagt Schabhüttl, habe die Asylbehörde erster Instanz (die “seinem” Ministerium angegliedert ist) im vergangenen Jahr ja mehr als 10.000 Anträge als unbegründet abgewiesen.

Schon richtig. Aber 30.000 hat das BFA bewilligt, zu vier Fünftel mit der Begründung Genfer Konvention, siehe z.B. hier.

Die Genfer Konvention von 1951 und ihr Nachfolger aus den Sechzigerjahren waren Übereinkommen, um Vertriebenen des Zweiten Weltkriegs bzw. politisch Verfolgten des damaligen Ostblocks Schutz vor religiöser und politischer Verfolgung zu gewähren.

Sie werden in der heutigen Rechtspraxis aber dazu benutzt – letztlich an den jeweiligen Regierungen vorbei -, eine – “objektivierte”, scheinbar unabhängige Einwanderungsagenda zu verfolgen.

Nachdem keinerlei Anstalten getroffen werden, das Abkommen den aktuellen Gegebenheiten anzupassen und dabei die seinem Hauptzweck nicht entsprechende Immigration abzustellen, wird den verpflichteten Staaten nicht viel anderes übrig bleiben, als aus der Konvention auszutreten – sagt nicht Schabhüttl, sondern dieser Blogger.

Franz Schabhüttl, Andreas Wetz, Brennpunkt Traiskirchen. Protokoll aus dem Inneren des Asylsystems. Wien 2017, 21,90 Euro.

Unabhängiger Journalist

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