Die Journaille, die anscheinend noch in Vor OPEC-Zeiten (oder gar in jenen von “Standard Oil”) lebt, berichtet über sprudelnde Gewinne, die börsenotierte westliche “Energiekonzerne” im 2. Quartal 2022 gemacht hätten – und tatsächlich: das im Juni beendete Vierteljahr brachte diesen Firmen satte Zuwächse bei Umsatz und Gewinn, was als Unterfall von “mit vollen Hosen ist leicht stinken” zu werten ist. Wie auch das jüngst veröffentlichte Quartalsergebnis von BP ausweist, hat dieser “Supermajor” zuletzt 87,5 Dollar pro Barrel Öl-Äquivalent erlöst, was einer Preissteigerung von 67 Prozent gegenüber dem 2. Quartal 2021 entspricht. Blöderweise ist BP – wie auch seine “Kollegen” von ExxonMobile bis Shell – für den heutigen sg. Ölmarkt kaum mehr relevant.
Wie der Quartalsveröffentlichung von BP auf Seite 10 zu entnehmen ist, produziert das Unternehmen 935.000 Barrel Öl pro Tag (genauer: “all liquids”),
was nicht einmal ein Prozent des weltweiten Tageskonsums von 2021 darstellt (97 Millionen b/d, BP Statistical Review 2022, S. 19).
Zusammen mit anderen mehr oder weniger privaten Spießgesellen aus westlichen Gefilden decken diese Lieblingsfeinde unserer inkompetenten Medien etwa zehn bis 20 Prozent des weltweiten Verbrauchs ab.
Der Rest wird von sogenannten NOCs produziert, denen ein norwegischer Professor ein kürzlich erschienenes Buch gewidmet hat.
Nichts Genaues weiß man nicht,
aber Noreng schreibt (unter Berufung auf andere), dass Staatskonzerne von Saudi Aramco bis Rosneft 80 bis 90 Prozent der weltweiten Reserven und einen ähnlichen Anteil des Welthandels auf sich vereinigen.
So irrelevant sie heute sein mögen – einen wesentlichen Vorteil haben unsere westlichen “Energiekonzerne” freilich: Sie müssen von wegen börsenotiert regelmäßig Bericht erstatten und können daher nur bedingt lügen
(weil ihnen sonst Aufsichtsbehörden und Anleger auf’s Dach steigen).
Die marktdominierenden Staatskonzerne dagegen brauchen nicht einmal zu lügen und dürfen wie schon seit Jahrzehnten munter informationsmauern, weil
- Genaueres sowieso niemanden was angeht
- und die Konkurrenz bekanntlich nie schläft.
Um dieses Handicap wenigstens ein bisschen auszugleichen, beschäftigen die gesetzlich zur
“Transparenz” verpflichteten Energiekonzerne Dutzende Kommunikations- und Buchhaltungsexperten, die sich Tag für Tag an Darstellungsfragen abarbeiten
- vereinfacht ausgedrückt also mit dem Problem,
wie man ungeachtet erschwerender Bedingungen Öffentlichkeit und Investoren trotzdem hinter’s Licht führen kann.
Bei länger dienenden Analysten gelingt das nicht mehr so gut, aber die werden ja, wenn sie zu frech werden, von den Eigeninteressen der sie beschäftigenden Finanzinstitutionen in Schach gehalten, die ja auch künftig beraten, Papierl platzieren etc. möchten.
Bei den meisten Journos ist die Aufgabe des PR-Teams deswegen leichter, weil die schreibende Zunft idR keinen blassen Tau hat, worüber sie sich verbreitert.
Trotzdem ist für das jeweilige PR-Team immer besondere Sorgfalt in Darstellungsfragen angesagt, wobei in Zusammenarbeit mit Investor Relations und CFO meist ein ganzer Instrumentenkoffer zum Einsatz kommt (manche würden “Trickkiste” dazu sagen).
Es ist hier nicht der Platz, diese Instrumentenkoffer zu würdigen oder gar aktuellen Anwendungen nachzuspüren
- aber dieser Blogger hegt schon den Verdacht, dass zu den aktuell veröffentlichten Quartalsgewinnen von BP & Co noch wenigstens ein zweites Element dazu kommt (neben den Preissteigerungen), beispielsweise
- über Einmaleffekte
- oder beim CAPEX.
Freilich ist das im gegenwärtigen Stadium bloß ein längerer Erfahrung entspringendes vages Gefühl
und vielleicht täusche ich mich ja auch.
Faktum ist, dass man bei ungewissem Ausgang ev. ein paar Mannwochen für Recherche & Reflexion aufwänden müsste, was definitiv über mein Zeitbudget hinaus geht.
Aber vielleicht ist mir ja einmal fad und ich setze mich hin und versuche z.B. rauszufinden, was das CAPEX pro Barrel vor zehn Jahren und heute war, etc.
Um noch ein paar “Takte” zum durchaus aufschlussreichen Buch von Noreng zu sagen:
Der Professor hat ein ganzes Berufsleben lang NOCs von Statoil/Equinor bis Sonatrach und von Pemex bis Petronas beobachtet und man kann daher aus seinem Text eine Menge über das delikate Verhältnis von Bürokraten/Ressourçeneigentümern und (teil)staatlichen Ölgesellschaften lernen.
Leider hinterfragt N. die “Scams” rund um (reale, tatsächlich förderbare) Reserven und (reale) Förderung nicht. Aber die werden ihm seine Auskunftspersonen in den NOCs kaum auf die Nase gebunden haben.
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