Mehr als anderswo gilt für die am Donnerstag abgehaltenen Wahlen in Großbritannnien: Nichts ist so wie es aussieht. Auf den ersten Blick sieht der amtierende konservative Premier David Cameron wie ein “Erdrutsch-Sieger” aus. Das zentrale Geheimnis seines Erfolgs ist allerdings nicht er selbst, sondern die (potenziell) abtrünnige Schottische Nationalpartei (SNP). Im Nacken hat Cameron nun den Atem der EU-skeptischen UKIP, die zwar nur einen Abgeordneten, aber ein Drittel der Stimmen der Tories bekommen hat.
Das Ausmaß, in dem das in Großbritannien geltende Mehrheitswahlrecht die Wahrnehmung des Wahlresultats beeinflusst, ist jedenfalls atemberaubend. Labour wirkt zwar wie am Boden zerstört, liegt letztlich aber “nur” vier Prozentpunkte oder 1,4 Millionen Stimmen hinter den Tories (von 26 Millionen gültigen).
Die Liberaldemokraten, der bisherige Koalitionspartner der Tories, wurden nach allen Regeln der Kunst zertrümmert, auch stimmenmäßig. Nach sechs Millionen im Jahr 2010 stimmten nur mehr zwei Millionen für sie. Das macht Cameron vielleicht gar nichts aus, weil die Konservativen nun offenbar über eine absolute Mehrheit der Sitze verfügen (zur Stunde ist das noch nicht ganz sicher). Faktisch ist mit der Wahl aber der für Cameron bequemste Koalitionspartner zerstört worden.
Der Jolly Joker des Wahltags waren die schottischen Nationalisten. Sie haben den Liberaldemokraten und Labour (fast?) alle bisherigen Sitze im Norden der Insel abgejagt. Die Schottische Nationalpartei (SNP) gewann offenbar alle 56 Sitze in Schottland (bisher sechs).
Das hat nicht nur Nick Clegg, den Führer der Liberaldemokraten, sondern auch Labour-Führer Ed Milliband ins Verderben gestürzt. Ein guter Teil der Verluste der Sozialdemokraten kam jedenfalls aus Schottland. Das scheint insofern paradox, als die SNP eher links ist und deren Chefin auf einen Sieg der Linken gehofft hatte.
Ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum in Schottland scheint nun wahrscheinlich. Mehr zur Situation in Schottland in diesem Eintrag.
Der große Sieger-Verlierer in Britannien selbst ist aber die UKIP, die offenbar nur mehr einen Sitz im House of Commons haben wird (statt bisher zwei). Nicht einmal Parteiführer Nigel Farage dürfte “seinen” Wahlbezirk gewonnen haben – insgesamt haben aber 3,4 Millionen oder 12 Prozent für die rechtspopulistische Partei gestimmt. Cameron wird sich anstrengen müssen, ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft zu verhindern bzw. ein solches zu gewinnen.
Wenn das Wort von einem Pyrrhussieg etwas bedeutet, dann hier.
Hier sind die Endresultate.
Nachbemerkung, 8.5.2015, 9.10 Uhr : Die Tories scheinen nun doch keine absolute Mehrheit zustandegebracht zu haben und werden eine Minderheitsregierung bilden oder sich um einen Koalitionspartner bemühen müssen. Kommt zum ersten Mal in der Geschichte eine “GroKo” ?
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