USA: Die Macht der Thematisierung

Die neuen Bewohner des Weißen Hauses scheinen sich Illusionen über die Bereitschaft der medialen Platzhirsche gemacht zu haben zum business as usual zurückzukehren. Trump hat offenbar geglaubt, ihm stünde nach dem Amtsantritt auch ein wenig treuherzige Kooperation zu, sozusagen als präsidentielles Anrecht. Dieser Kinderglaube ist seit Samstag erschüttert. Hier das “Interview”, das ein NBC-Journalist am Sonntag mit einer Trump-Beraterin führte. NB zur crowd size bei der Angelobung. NB II zum gl Thema.

Ein Abhören dieses Interview-Versuchs erübrigt sich, weil er sich in zwei Sätzen zusammenfassen lässt: Der Frager bemüht sich während der ganzen Zeit, das Gespräch auf jene offiziöse Lüge zu lenken, mit der der neue Pressesprecher Trumps am Samstag seinen Einstand gab.

Kellyanne Conway versucht am Monothema des NBC-Journalisten vorbeizukommen – indem sie immer wieder darauf hinweist, dass es viele Dinge von wesentlich größerer Tragweite gäbe, zum Beispiel die “Blockade” von Trumps neuem CIA-Chef Pompeo im Senat.

Natürlich hat sie “objektiv” recht damit, nicht aber in der Systemlogik der Interaktion zwischen Medien und interviewter Partei. Conway begeht den gleichen Fehler wie die Petry hier, indem sie glaubt, angemessenere Inhalte “vorschlagen” zu können.

Nach der Systemlogik haben die Medien freie Hand in der Auswahl und Gewichtung der transportierten Inhalte, weil sie gemäß dieser Logik ja

  • die Experten für Nachrichtenwert sind und
  • weil sie per definitionem die Rolle eines außenstehenden Korrektivs innehaben (die sie freilich nur selektiv wahrehmen).

Diese Rollenverteilung hatte und hat grundsätzlich großen Wert.

Es ist nur “natürlich”, wenn von einer Öffentlichkeit “Kontrollierte” der Kontrolle ausweichen, Thema wechseln oder vernebeln wollen. Von daher ist es extrem sinnvoll, dem Fragesteller die Macht der Gesprächslenkung sowie der Thematisierung vorzubehalten.

Dieses Prärogativ kann aber, wie alles, missbraucht werden – wie bei NBCs Meet The Press zu besichtigen.

Das Insistieren auf eine Antwort auf die ursprüngliche Frage ( = der Versuch ein Geständnis zu erzwingen) hat 13 Minuten air time vernichtet, die auch im Sinn des eigentlichen Medienauftrags besser hätte verwendet werden können.

Chuck Todd wollte offensichtlich Solidarität mit den Kollegen von CNN demonstrieren und sein Befremden über den samstägigen Auftritt Sean Spicers kund tun, der eine ziemlich irrelevante Medien-Feststellung mit der Verkündung einer “offiziellen Wahrheit” aus der Welt schaffen wollte.

Seither trommeln die etablierten Medien, was sie schon immer getrommelt haben, diesmal aber mit einem echten Beweiserl: Trump lügt und lässt lügen.

Und weil Bewertung und Thematisierung rollenkonform in der Hand der Berichterstatter liegen, übte NBC-Todd nur ein professionelles Recht aus, um durch Insistieren zu einem Geständnis der Beraterin zu kommen.

Ein “nützliches” Nebenprodukt war, dass sich die Conway zu einer verhüllten, aber dechiffrierbaren Drohung hinreißen ließ´- indem sie nämlich sagte, Trump und sein Team würden die Beziehungen zur Presse neu überdenken.

Das war ungefähr so rat- und hilflos wie Spicers Ankündigung vom Samstag: Ihr schreibt immer, man müsse Trump zur Verantwortung ziehen, aber das gilt auch umgekehrt: Wir werden euch auch zur Verantwortung ziehen.

Das kann aus Regierungsmund tatsächlich als schwere Drohung aufgefasst werden, vor allem wenn man mit einer Situation rechnet, in der verfassungsmäßige und institutionelle Grundrechte auf Informationsfreiheit abgeschafft werden.

Bis es so weit ist, würde ich bei solchen Drohungen aber eher an ausbleibende PK-Einladungen, nicht ausgestellte Akkreditierungen oder verschwindende Leaks denken, die die Hackordnung unter den Mainstream-Medien bisher wesentlich bestimmt haben.

Die Trump-kritischen liberalen Medien-Dinos werden sich daran gewöhnen müssen, bei der Fütterung nicht mehr in der ersten Reihe zu stehen. Dass andere zuerst berichten, wird gang und gäbe werden.

Nachbemerkung, 23.1.2017, 11.00 Uhr: Richtig, die crowd size bei der Angelobung Trumps ist für mich eine irrelevante Frage.

Wenn man sie aber mit der Obama-Angelobung vergleicht, hätte man z.B. dazu sagen müssen, dass in Washington DC 91 Prozent Hillary Clinton gewählt haben oder dass die Trumpsche Wählerbasis während der Angelobungsfeier ein paar hundert Kilometer weiter westlich ihrer Werktagsbeschäftigung nachgegangen ist. Das wäre nur fair gewesen.

NB II, 23.1.2017, 16.00 Uhr: Wenn die vom Washington Monument geschossenen AP-Fotos, die man hier sieht, authentisch, unbearbeitet und jeweils zur gleichen Tageszeit gemacht sind, besteht kein Zweifel, dass die Angelobung des ersten schwarzen Präsidenten 2009 viel mehr Besucher angezogen hat.

Jenseits der 7. Straße stehen beim aktuellen Bild ja nur mehr wenige Menschen. Das kann man von Bildern, die vom Kapitol aus geschossen worden sind, gar nicht erkennen.

Aber, wie gesagt: Washington ist mehrheitlich “schwarz” und hat zu 91 Prozent nicht Trump gewählt. Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen (und auf der anderen Seite das Ergebnis eines so dummen Vergleichs “dementieren”).

Unabhängiger Journalist

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