Marc Friedrich hat seinen (gefühlt) zehnten Bestseller über unser hoffnungslos verkorkstes Wirtschafts-und Finanzsystem veröffentlicht, dabei auf das Marketing-Männchen in seinem Ohr gehört und sich dafür entschieden, den Text positiver aufzumachen – statt dem “größtem Raubzug” oder dem “größten Crash” verheißt der Titel diesmal die größte Chance aller Zeiten. Seine Analyse liegt nach Meinung dieses Bloggers so falsch NICHT, aber es ist halt ein Problem, wenn man jedes Jahr einen frischen Henkel für das neueste Buch benötigt.
Der Mann, der im bürgerlichen Beruf Vermögensberater ist, wird spätestens seit 2012 immer wieder als Crash-Prophet tituliert, jenem Jahr, in dem er mit seinem langjährigen Kompagnon Matthias Weik den Größten Raubzug veröffentlichte.
Nun entsteht in unserer schnelllebigen Zeit mit ihrem starken Wunsch nach sofortiger Gratifikation auch für doomsayers eine “massive Herausforderung”
- wenn es nämlich entgegen ihren Ankündigungen seit neun Jahren NICHT mehr “ernsthaft geknallt hat”, worauf Kritiker zuallererst mit dem Finger zeigen.
Wie sollen gemeine Crash-Propheten auf eine solch dümmliche Kurzfrist-Perspektive anworten?
Sollen sie vielleicht versetzen: “Abwarten – Rom hat auch 150 Jahre bis zum Untergang gebraucht” ?
Das ist zwar eine fundierte Antwort, verfängt bei jüngeren Menschen aber nicht. Die wollen Äkschn hier und jetzt sehen.
Diesbezüglich hat es Friedrich, ein Mittvierziger, bei älteren Semestern meines Schlags leichter.
Wir müssen – wie viele Junge – nicht erst überzeugt werden, dass unser Geldsystem NICHT “nachhhaltig” ist,
aber ihr – unser – Geduldsfaden ist im Lauf der Jahre deutlich dehnbarer geworden.
Über “Asset Inflation”, “Cantillon-Effekt” oder die höchst selektiv konstruierte “Verbraucherpreisinflation” braucht man mit Friedrich anscheinend nicht groß zu diskutieren,
und auch nicht über
- die langfristig verderbliche Rolle der Zentralbanken,
- die sg. finanzielle Repression
- oder die von Regierungskriminellen verdeckt betriebene “scheibchenweise Abschaffung des Bargelds”, des bisher & auf absehbare Zeit wohl einzigen anonymen Zahlungsmittels.
Mögliche Divergenzen scheinen hier höchstens am Rand oder bei nebensächlichen Begriffen aufzutauchen.
Auch über der Frage, ob Aktien derzeit eine gute Kauf-Idee darstellen (idR nein), wird man sich nicht wirklich in die Haare geraten,
ebensowenig wie über die Beurteilung(skriterien) von Anleihen und Immobilien einerseits sowie Rohstoffen (“Uran”) und Edelmetallen andererseits – alles Dinge, die “analog knapp” sind.
Schwieriger wird’s für diesen Blogger schon beim “Thema Energie”,
wo auch bei Friedrich der Eindruck entsteht, dass Strom nicht groß von den “restlichen Energien” unterschieden wird, obwohl dieser nur ca. ein Viertel der dem System zur Verfügung stehenden Gesamtmenge ausmacht.
Das ist ein allseits beliebter blinder Fleck auch in der Mainstream-Journaille und Steve St. Angelo würde wohl spotten, dass auch der 46-jährige Marc noch an die Energie-Zahnfee glaubt.
Geld, Wertspeicher oder Zeitverschwendung?
Noch problematischer wird’s bei Bitcoin (“größte Revolution alle Zeiten”) und anderen Kryptos (“für die Risikofreudigeren”).
Friedrich ist ein Bitcoin-Freund
- und das wahrscheinlich NICHT deswegen, weil er Leute, die jünger als 50 sind, für besser geeignet hält, Blockchain-Technologie zu verstehen & “handeln”.
Kryptos mögen – wie auch er beteuert – knapp sein (“mathematisch”),
scarcity reicht als Eigenschaft für money aber bei weitem nicht aus, wie schon die alten Warengeld-Theoretiker vor 150 Jahren wussten.
Auch bei den drei klassischen Geldfunktionen hapert’s.
Zum Beispiel “means of exchange”:
Wenigstens bisher sind die Anzeichen für eine erfolgreiche Tauschmittelfunktion von Bitcoins überschaubar (Porno & Pizza für ein paar Hundert Millionen Dollar zählen nicht).
Und dass mittels elektronischem Zeichengeld anonyme Transaktionen möglich sind, ist eher als Gerücht, bestenfalls als theoretische Erwägung einzustufen,
die noch nicht einmal heute, unter relativ gutartigen Bedingungen, praktisch funktioniert
(“Spezialisten” von Notenbanken und Finanzpolizei sind jedenfalls in der Lage, wenigstens die Wallets weitgehend zuzuordnen – wer weiß, was die noch alles können).
Aber es müssen ja nicht gleich alle drei Funktionen auf einmal sein (man ist ja nicht dogematisch).
Wenn wenigstens der store of value funktionierte!
Zugegeben: Jüngst mag es vorgekommen sein, dass findige & systemkundige Köpfe, die um 3.000 USD (oder noch billiger) BTC eingekauft, bei 70.000 wieder eingecasht haben (“in Fiat”)
- für Otto & Grete Normalverbraucher ist das aber kaum repräsentativ.
Eine Mom & Paps-Ausgabe von denen soll seit Monaten damit beschäftigt sein Behörden & Banken davon zu überzeugen, dass das zu konvertierende Sümmchen NICHT aus Drogen-, Waffen- oder Menschenhandel stammt.
Wie Online-Anonymität von “echten cryptocurrencies” ( ≠ CBDCs) pro futuro funktionieren wird, steht naturgemäß in den Sternen
- diese hätte aber ein stabiles & berechenbares Netzwerk “regionaler Gewaltmonopolisten” zur Voraussetzung,
die bereit sind, financial privacy wieder zuzulassen und “beim Einwählvorgang ihrer ‘Steuersubjekte’ nicht hinzugucken”. Das ist prinzipiell möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich.
Vortheoretisches Motiv-Cluster
Wie dieser Blogger rechnet auch Friedrich mit einem baldigen Systembruch, aus teilweise unterschiedlichen Gründen.
Die einen Gründe unseres Autors gehen auf unterschiedliche Zyklen-Modelle von Hayek bis Kondratjew zurück und darüber kann und muss “im Einzelfall diskutiert werden”.
Das andere Motiv-Cluster, das im 4. Kapitel der Größten Chance besprochen wird, ist allgemeinerer, eher vortheoretischer Natur
und es ist schlicht nicht möglich, diesen bis an seinen Entstehungsort zurückzuverfolgen.
Es könnte irgendein dem New Age zuzuordnendes Glaubenssystem sein, das hierzulande weit verbreitete, unbestimmt wabernde Techno-Fandom oder das dringende Gefühl des Kleinen Mannes (und der Kleinen Frau) von der Straße (“sagt ein jeder”).
Der populus meint jedenfalls auch, dass es nicht weitergehen könne wie bisher und dass daher alles anders werden müsse.
Dieses Gefühl betrifft die Arbeitswelt ebenso wie die Künstliche Intelligenz, die Politik, das Geld- & Finanzsystem, die Umwelt und überhaupts.
Nun mag sich diese Überzeugung über lange Zeit herausgebildet haben und teilweise irrational zustande gekommen sein – ein höchstens langsam veränderliches Faktum für Politiker und einige Buchautoren ist sie allemal.
Ob es eine geeignete Grundlage für ein persuasives Projekt in Buchform ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.
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