Warum Europa nicht auf LNG aus den USA setzen kann 2

Vor ca. zwei Monaten wurde hier erläutert, warum auf mittlere Sicht die Hoffnung auf Erdgas aus den Vereinigten Staaten begraben werden muss. Im folgenden Text wird die chronologische Reihenfolge sozusagen umgedreht. Der neue Eintrag soll zeigen, dass der oft gehypte US-amerikanische Beitrag zur Linderung der von den Staaten womöglich selbst betriebenen bzw. mit beförderten europäischen Gaskrise wenigstens bisher minimal ausgefallen ist.  Ein Lehr(?)Stück über Größenordungen.

Um den kurzfristigen Anteil zu ermessen, den (US-amerikanisches) Flüssiggas zur Abschwächung des Ausfalls der Lieferungen von russischem Pipeline-Gas hatte,

wären zuallererst einigermaßen verlässliche aktuelle Zahlen für das Gesamtjahr 2022 vonnöten.

Diese Zahlen sind derzeit aber (noch) nicht verfügbar, nicht einmal im angloamerikanischen Maßsystem (“cubic feet”). Für das Gesamtjahr 2022 – inklusive einer quasi-offiziellen Umrechnung auf “metrische” Milliarden Kubikmeter – müsste man vlt. überhaupt auf den Juni 2023 warten,

in dem die neue BP Statistical Review erwartet wird (sofern man diese nicht gleich Knall auf Fall einstellt).

Von der amtlichen U.S. Energy Information Administration (EIA) liegen jedoch einigermaßen “belastbare” i.e. überprüfbare Monatszahlen inklusive November 2022 vor

(aus Gründen der “nationalen Sicherheit” etc. nicht erfasste Zahlen sind ohnedies eine black box, über die sich nur spekulieren lässt).

Die EIA-Zahlen sind, ehrlich formuliert, eine Übung in “Transparenz und Accountability” eines Staatswesens, die man sich für anderswo auch wünschen würde.

Abgesehen davon sind – außerhalb spezialisierter “Bezahldienste für die Industrie” – nur Jahresdaten für 2021 vorhanden, die in der zugrunde liegenden Hauptfrage nicht weiter helfen.

Um diesem Problem auszuweichen und trotzdem relativ aktuell zu bleiben, hat dieser Blogger die neun Monate von 03/22 bis inklusive 11/22 an der Vergleichsperiode des Jahres 2021 gemessen (jeweils in Kubikfuß) und dem entnommen, dass

  • die LNG-Exporte der USA 2022 weniger als 10% gewachsen sind,
  • dass sich jedoch das Muster der Ausfuhren geändert hat und sich die Lieferungen an einzelne militärisch wichtige europäische Länder vervielfacht haben;
  • dass aber das US-Flüssiggas für die gesamteuropäische Versorgung trotzdem nicht ins Gewicht fällt (und wohl auch nicht jenes von anderswo).

Der Ausgangspunkt 2021

Zunächst einmal die Ausgangssituation 2021 gemäß BP Statistical Review 2022.

In diesem Jahr haben die USA etwa 10% ihrer Gasproduktion, (Brennwert-bereinigte) 95 Mrd. Kubikmeter als LNG exportiert, 31 Milliarden davon nach Europa (EU und Nicht-EU).

Angesichts eines europäischen Jahresverbrauchs von 571 Mrd. m3 entsprach das damals bloß 5,4% des hiesigen Konsums. 

Zum Vergleich: Russland und andere GUS-Staaten lieferten in diesem Jahr etwa 187 Mrd m3 Erdgas nach Europa  (Russland allein 167 Milliarden).

Laut BP hat Europa in diesem Jahr 108,2 Mrd. Kubikmeter (“normales”) Erdgas in LNG-Form importiert.

was 32 Prozent aller europäischen Gasimporte ausgemacht haben soll (insgesamt 341 Mrd. m3; hier werden die norwegischen Lieferungen natürlich nicht als Importe gezählt).

Die größten Gas-Exporteure nach Europa waren demnach

  • Russland und die GUS (via Pipeline),
  • die größten LNG-Lieferanten waren 2021 dagegen die USA (30,8  Mrd. m3), vor Katar (22,5 Mrd.), Russland (17,4 Mrd. m3), Algerien (15,4 Mrd. m3; A. liefert an Spanien und Italien darüber hinaus auch Gas über Pipelines) sowie Nigeria (13 Mrd. m3).

Obwohl in der über Internet zugänglichen Datenbank die Monatswerte für Gas inklusive 12/22 vorliegen, ist Eurostat in der Frage. um wieviel die LNG-Importe des “alten Kontinents” 2022 gewachsen sind, derzeit keine Hilfe

- aus Gründen, die hier zu kompliziert zu erläutern sind.

US-Flüssiggas

Es ist jedoch möglich, über einen “Proxy” die LNG-Ausfuhren für den größten europäischen Lieferanten, die USA, einzuschätzen.

Zunächst einmal scheinen vergangenes Jahr die gesamten LNG-Ausfuhren der USA – die zu mehr als 99% per Schiff abgewickelt werden – um weniger als 10% gewachsen zu sein.

Das ist insofern von Bedeutung, als die US-LNG-Exporte  – mit Ausnahme des “Covid-Einbruchs 2020″ -  spätestens seit 2019 rasant gewachsen waren, siehe hier. In einem interaktiven Chart der EIA sieht das folgendernaßen aus:

chart_US_LNG_exports_EIA
Quelle: www.eia.gov

Vergleicht man die 9 Monate ab März 2022 (direkt nach Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine – “Invasion” trifft’s nicht ganz) mit den Monaten 03/21 bis 11/21 haben sich die US-LNG-Exporte von 2.702 Mrd (2,7 Bio.) Kubikfuß auf 2.865 Mrd. (2,9 Bio.) Kubikfuß erhöht.

Das entspricht einem eher bescheidenen Wachstum von etwas über 6%.

Dies dürfte primär eine Folge des “Feuers” bzw. der Explosion im texanischen LNG-Terminal Freeport sein, das Anfang Juni 2022  stattfand.

Der angeblich auf einen Fehler des Betreibers – siehe auch hier – zurück zu führende Vorfall hat bis heute die ganze Vorrichtung außer Gefecht gesetzt.

Das andauernde Aus für Freeport erfolgte nach drei starken LNG-Exportmonaten nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine (März, April, Mai). 

Die Monatsergebnisse im Jänner und Februar 2022 (und vlt. auch der Dezember) könnten die Steigerungen im Gesamtjahr 2022 freilich bis knapp an die 10%-Marke hoch gedrückt haben.

Europa: Starke Zuwächse, geringes Volumen

Das ist freilich nur die “halbe Wahrheit”.

Das gedämpfte Wachstum aller LNG-Exporte aus den USA wurde 2022 durch eine zunehmende Verlagerung von Asien nach Europa begleitet.

Einzelne europäische Regasifizierungshäfen wie z.B. die im Vereinigten Königreich oder Frankreich konnten spektakuläre Zuwächse von (zivilen) US-amerikanischen Lieferungen verbuchen (fast eine Vervierfachung in neun Monaten von März bis November). 

Das ebenfalls erwähnenswerte Volumen, das in der Vergleichsperiode in die Niederlande geschippert wurde, konnte sich auf knapp 300 Mrd. Kubikfuß immerhin mehr als verdoppeln.

Das alles kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst diese stark erhöhten Volumina im gesamteuropäischen Kontext bloß ein “Tropfen auf dem heißen Stein” sind:

Rund 13 Mrd. Kubikmeter in Frankreich etwa oder acht Milliarden in den Niederlanden – in, zugegeben, lediglich neun Monaten.

Um ein Gefühl für Größenordnungen zu bekommen, lohnt es sich trotzdem, die Zahlen zu Frankreich und Holland etwa mit dem europäischen Jahresverbrauch an Erdgas 2021 oder den bisherigen russischen Lieferungen zu vergleichen

(wie weiter oben bereits erwähnt, 571 Mrd. m3 inkl. UK & Turkei und 167 Mrd. m3 via Pipeline aus der Russischen Föderation).

Trotzdem gibt es immer wieder viel versprechende Andeutungen aus den USA und Journos und Politicos sonder Zahl, die derlei nachplappern.

- alles “all bark and no bite”, wie ein Ami vielleicht formulieren würde.

Unabhängiger Journalist

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