Was ich heute (nicht) täte, wenn ich der “Andreas von 2008″ wäre

So etwas ist gerichtsfest natürlich schwer zu sagen, weil “nicht beweisbar” und es eine Menge “Hättiwari” beinhalten kann. Jedoch … gibt es deutliche Unterschiede zwischen meiner damaligen und heutigen “journalistischen Praxis”, die in allerlei Schlussfolgerungen münden könnten. Thematisch ist das ein extrem weites Land, vor allem bei jenen, die sich habituell über Krethi & Plethi verbreitern. Daher, und weil das ein damaliges Pflicht- und heutiges Leib- und Magenthema darstellt, hab ich die Versorgung “Europas” mit Erdöl(produkten) exemplifiziert, über die ich gestern was veröffentlicht habe. Ich versuche in den nächsten Absätzen jedenfalls, weder allzu beschönigend noch allzu selbstkritisch zu werden.

Um auch hier mit einer positiven Note zu beginnen, glaube  ich schon, dass auch der “Andreas von 2008″ über aktuelle Versorgungsengpässe bei Diesel berichten würde, wenn mir (wirklich) vertrauenswürdige Quellen das “steckten”.

Ob ich das ordnungsgemäß “gegenchecken” würde bzw. das überhaupt tun könnte, lasse ich einmal dahingestellt. Sicher gibt/gäbe es eine Menge von PR-Fuzzis, die dem Redakteur von 2008 erzählen täten, dass sie soeben Diesel voll getankt haben

- aber ob das ein “Gegencheck” ist?

Offen lasse ich auch, ob damalige oder heutige Kunden meiner Arbeit gebenden News-Organisation derlei “übernehmen” oder wenigstens verwenden würden (ich glaube nicht).

Was ich als “Andreas von 2008″  sicher oder wahrscheinlich nicht täte, ist

  • Ursachenforschung betreiben oder
  • “kontextualisieren”.

Ersteres nicht, weil das a) nicht wirklich Teil meiner job description war, b) keine Zeit da war, c) vermutlich eh nicht übernommen würde, d) das – vermeidbare – Risiko von Fehlern beinhalten täte und e) eine Recherche womöglich sowieso “abgeschrieben” werden müsste (weil in eine “Sackgasse” oder ins “Nirgendwo” führend).

Die “Kontextualisierung” dagegen stand zwar im Pflichtenheft und ist von frühen Chefredakteuren immer mal wieder eingemahnt worden – ihr Fehlen wurde nach meiner Erinnerung aber nie wirklich “sanktioniert”. Im Gegenteil: Auch die “Kontextialisierung” kostet(e) Zeit und war/ist eine mögliche Quelle von Fehlern, die bestraft werden.

Aber natürlich hängt die Einbettung eines Themas vom kognitiven Horizont des Schreiberlings ab.

Wenn ihm z.B.

  • nicht bewusst ist, dass die CO2-Emissionen von Dieselmotoren in Europa etwa 1 – 1,5% des möglicherweise klimarelevanten gesamten globalen Kohlendioxid-Ausstoßes ausmachen
  • und er/sie allgemein glaubt, dass die europäischen Diesel-Emissionen einen zentralen Faktor für das Weltklima darstellen,

könnte ein Journalist besagte “Dieselkrise” vielleicht sogar positiv sehen.

Der kognitive Horizont des “Andreas von 2023″ ist freilich ein ganz anderer. Gestützt z.B. auf Alice Friedemann und Steve St. Angelo geht er u.a. davon aus, dass Diesel/dichte Energie

  • speziell für die Versorgung der Innenstädte notwendig ist
  • und ohne dichte Energie von Getreide und Brennholz bis Erdgas weder Zivilisationen im heutigen Sinn noch “Wertschöpfung” oder größere menschliche Zusammenballungen möglich sind.

In diesem Kontext machen ihn Nachrichten über Versorgungsschwierigkeiten konkret bei Diesel erst einmal stutzig.

Dann drängt sich “Andreas von 2023″ die Frage auf, warum das ausgerechnet jetzt stattfindet, wo “Europa” doch seit Jahrzehnten mehr als zehn Millionen Barrel pro Tag einführt,

und zwar ohne Probleme und gewissermaßen geräuschlos.

Und dann erinnert er sich daran, dass

  • Russland seit Februar 2023 kein Erdöl via Schiff mehr in die EU exportieren darf und liest, dass
  • die Russische Föderation seit soeben auch keinen Diesel mehr ausführt.
  • Zu guter Letzt recherchiert er, dass die Rohöl-Qualitäten des neuerdings größten Importeurs mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht geeignet sind, Diesel draus zu machen.

Auf diese Gedanken wäre der “Andreas von 2008″ gar nicht gekommen,

abgesehen davon, dass es gar keinen zugundeliegenden “Newsflow” gegeben hätte.

Unabhängiger Journalist

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