Ein auf Buschmänner spezialisierter US-Anthropologe hat über die tiefe Geschichte der Arbeit geschrieben, wobei er nahe legt, dass in herkömmlichen Gesellschaften viel zu lange gearbeitet werde und dass die Ju/’hoansi, die er seit 25 Jahren studiert, zeigten, dass auch mit weniger Arbeit eine “wohlhabende” Gesellschaft möglich sei. Diese Schlussfolgerung wird aus politischen Motiven zwar gern gehört – problematisch ist sie trotzdem. NB zur Roboterisierung der Arbeit.
“Wann i amol was z’reden hätt’, i schaffert olles o’ / wos brauch ma denn dös olles, net / is eh’ gnua do.” Josef Weinheber
Die Khoisan sollen die älteste(n) noch existierende Ethnie(n) sein, ein Volk, das – wie weltweit noch ein paar hundert andere – vom Jagen und Sammeln lebt (bzw. dies “bis vor kurzem” tat).
Diese Menschengruppen werden heute als “Proxy” für vor dem Neolithikum lebende Steinzeitmenschen genommen,
die ebenfalls nomadisierende hunter-gatherers waren. In der Jungsteinzeit fand, wie bekannt, dann die “agrarische Revolution” statt und die Leute wurden sesshaft.
Damit, erläutert Suzman, begannen “Plackerei” & absolute Dominanz der – im heutigen Sinn verstandenen – Arbeit (work) über die Freizeit (leisure time).
Natürlich haben die Steinzeitmenschen auch “gearbeitet”, also Energie aufgewendet um ihre absoluten Bedürfnisse zu befriedigen – trinken, essen, Wärme, Schutz vor Raubtieren und menschlichen Feinden, etc.
Aber sie haben deutlich weniger gearbeitet als wir Heutigen, sagt Suzman mit Verweis auf die Buschmänner-San: Die haben im Schnitt nur 17 Stunden die Woche gejagt/gesammelt und weitere 20 Stunden für Hausarbeiten im weiteren Sinn aufgewendet.
In der restlichen Zeit habe man die Kinder Spurenlesen gelehrt, getratscht oder geflirtet. Ein anderer Stamm in Nordostafrika wiederum hat “den ganzen Tag gegambelt” – aber nicht um “Geld”, sondern um kleine symbolische Pfeile.
Und weil der (anatomisch) moderne Mensch 300.000 Jahre alt ist, hat der paläo-/mesolithische Arbeitsbegriff in 95 Prozent der bisherigen Menschheitsgeschichte Gültigkeit gehabt.
Alles klar.
Bei den von Suzman beobachteten “alten” Kalahari-Eingeborenen habe dieser Zustand in einen “Wohlstand ohne Überfluss” gemündet, wie man den Titel eines vor drei Jahren erschienen Suzman-Buchs übersetzen könnte.
Die Leute seien idR gut ernährt und mit dem zufrieden gewesen, was da ist (obwohl die Gemeinschaft die erfolgreichen Jäger quasi-rituell gedemütigt hat, auf dass diese sich nicht besser dünkten als die anderen).
Es war gewissermaßen das Paradies, könnte man sagen
- nur sollte man dieses nicht mit dem im Alten Testament geschilderten Garten Eden verwechseln.
Das Paradies der Jäger-Sammler umfasste auch Mord, Vergewaltigung & sonstige Arten von Violenz, Krieg, Krankheiten und Hungertod, etc.,
(sagt – nicht nur – dieser Blogger; Letzteres kann schon deswegen nicht anders gewesen sein, weil das Lagern von Lebensmitteln erst in den agrarischen Gesellschaften “erfunden” wurde.)
Mit den agrarischen Gesellschaften der ersten zehntausend Jahre post Jungsteinzeit befasst sich der dritte Teil des aktuellen Suzman-Buches und der vierte widmet sich den “Kreaturen der Stadt”
- und zwar der neuzeitlichen, modernen und zeitgenössischen Stadt.
Diese ist zum weitaus überwiegenden Teil Produkt des industriellen Fossil-Zeitalters mit seinen gigantischen Energieüberschüssen (die es in den agrarischen Gesellschaften noch nicht gegeben hat).
Politische Nutzanwendung
Das ideologisch eindeutig zuordenbare Publikum des Autors versteht, was es gern verstehen möchte: kürzere Arbeitszeiten, bedingungsloses Grundeinkommen, “gegen die Zwangsvorstellung von Knappheit” etc.
(aber man kann nicht einmal sagen, Suzman könne nichts für “derlei Missverständnisse” – in Einleitung und Schlussfolgerungen zieht der Autor selbst eben diese Register).
Er tut das, obwohl ihm besser als seinen Followern klar sein muss, was für schlimme Folgen der – ideologisch wohl noch überhöhte - Anti-Produktivismus eines verstreut lebenden Naturvolks haben muss,
sobald er die “Weltanschauung” hoch urbanisierter und extrem staatshöriger Funktionseliten & Bürger prägt.
Vielleicht kann oder will der Mann sich das nicht vorstellen – man kann in seinen Kopf nicht hineinschauen.
Was der Autor aber mindestens tun hätte müssen, ist
z.B. darauf hinzuweisen, dass Jäger & Sammler je nach Größe ihrer “Horden” einen Flächenverbrauch von einem Quadratkilometer für jeweils zwei bis drei Einwohner haben
Die aktuelle Einwohnerdichte der USA liegt dem gegenüber bei 36 und jene des dicht besiedelten Deutschland gar bei 233 pro km2.
Produktivität und technologischer Produktivitätsfortschritt spielen sehr wohl eine Rolle (neben verfügbarer Energie).
Die Produktion von Industriegesellschaften aber lässt sich nicht mit dem mindset von Jägern und Sammlern aufrecht erhalten,
schon gar nicht unter den Bedingungen eines geringer werdenden, womöglich gar kollabierenden Energie-Inputs.
Höchstwahrscheinlich ist die Aufrechterhaltung industrieller Produktion von Suzman & Co. auch gar nicht intendiert.
Wenn diese Leute A sagen, sollten sie aber auch B sagen. Und das bedeutet, dass 90% der Heutigen in einer Buschmänner-Gesellschaft nicht ernährt werden können.
James Suzman, Work: A Deep History, from the Stone Age to the Age of Robots.2021
Nachbemerkung, 25.1.2021, 16.30 Uhr: Fast alle – inklusive unserer Regierungen – scheinen eine Zukunft zu erwarten, in denen nur Roboter & Computer Wert schöpfende Arbeit verrichten und die “menschliche Arbeitskraft” obsolet wird.
Das wird als so sicher angesehen, dass dieser Blogger per Mail gefragt wird, ob er denn keine Augen im Kopf habe.
Ich habe da aber massive Zweifel, weil eine üppige Energieversorgung dafür eine conditio sine qua non ist.
Derlei ist für mich nirgendwo sichtbar
- aber vielleicht sind noch ein paar Jahre Zeit bis das durchgesickert ist.
Bis dahin glaubt das sich demokratisch nennende Gesocks mittels techno-dsystopischem Putsch vollendete Fakten setzen zu können. Möge auch dieses im Strudel der selbst erzeugten Vorgänge umkommen (Gott verzeihe mir)!
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