Die massive Ausweitung der Staatsausgaben zur Stabilisierung und Ankurbelung der Wirtschaft und der Einbruch der Steuerzahlungen lassen die Budgetdefizite dramatisch anschwellen. Für Österreich beläuft sich der Fehlbetrag bislang auf rund 11.600 Euro pro Erwerbstätigem. Eine Diskussion über die Finanzierung der tiefroten Staatshaushalte ist längst überfällig. Von Gastautor Gregor Hochreiter.
Es waren bemerkenswerte Worte, die der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, im „Journal zu Gast“ des Ö1-Mittagsjournal vom 13. Juni 2020 mit Bezug auf die milliardenschweren Unterstützungsmaßnahmen äußerte:
Aber irgendwann muss dieses Geld auch wieder zurückkommen. Da wird kein gesellschaftlicher Bereich verschont bleiben von gewissen Einschränkungen und Zurücknahmen.“
Damit hat ausgerechnet einer der wichtigsten Kulturmanager Österreichs ein Thema angerissen, dessen Diskussion bislang weitestgehend unterdrückt worden ist. Wer soll all diese Zusatzausgaben letzten Endes finanzieren?
Nie um eine pointierte Formulierung verlegen, hat Gabor Steingart in seinem Morning Briefing vom 16. Juni 2020 Deutschland kurzerhand in „Land der Rettungsschirme“ (https://www.gaborsteingart.com/newsletter-morning-briefing/land-der-rettungsschirme/?wp-nocache=true) umbenannt. Zu ergänzen wäre diese treffende Bezeichnung noch um „Land der Konjunkturpakete“. Angesichts der unfassbaren Summen, die US-Präsident Trump in den USA bereits bewilligt, oder die Japan in die Hand genommen hat, ist es keine Untertreibung, von der „Rettungsschirm-Welt“ und der „Konjunkturpaket-Welt“ zu sprechen.
Doch der Reihe nach.
Der Kollaps der Wirtschaft
Dass die Lockdowns die Wirtschaft hart treffen werden, war allen Beobachtern von Anfang an klar. Dank der relativ neuen „Echtzeit-Indikatoren“ konnte der gesamtwirtschaftliche Einbruch nahezu live verfolgt werden. In Österreich berechnet die „Oesterreichischen Nationalbank“ (OeNB) einen „Echtzeit-Indikator“, der die Wirtschaftsentwicklung jeder Kalenderwoche mit jener des Vorjahres vergleicht.
Wirtschaftsentwicklung Österreich, Veränderung des Bruttoinlandsprodukts in Prozent, März-Juni 2020 An der Entwicklung in Österreich ist gut zu erkennen, dass zwar das tiefe Tal während des Lockdowns bereits verlassen werden konnte, dass es aber seit 8. Mai so gut wie keine Verbesserung mehr gegeben hat. Das Minus verharrt hartnäckig im niedrigen zweistelligen Prozentbereich.
Diese Zahlen unterschätzen allerdings den Einbruch, denn dieser Indikator berücksichtigt nicht, dass es ohne das Coronavirus ein leichtes Wachstum gegeben hätte. Der erste Datenpunkt mit einem Plus von 1,4% zeigt diesen Effekt an. Der zweite Datenpunkt mit einem Plus von 4,0% ist zu einem Gutteil auf die Hamsterkäufe zurückzuführen sowie auf das Vorziehen von Exporten vor dem Lockdown am 16. März 2020.
Die USA wenden für ihre „Nowcasts“ ein davon abweichendes Konzept an. Auf Grundlage der zum jeweiligen Stichtag vorhandenen Daten wird die Wirtschaftsentwicklung für das laufende Quartal berechnet und auf das gesamte Jahr hochgerechnet. Es handelt sich somit um annualisierte Quartalsdaten.
Mehrere der regionalen Federal Reserve Banken haben einen derartigen Echtzeit-Indikator entwickelt. Im folgenden Chart findet jener der „Federal Reserve Bank of New York“ Eingang, der im Vergleich zu den Indikatoren der „Federal Reserve Bank of St. Louis“ und der „Federal Reserve Bank of Atlanta“ einen „milden“ Einbruch ausgibt. Doch auch dieser vergleichsweise milde Einbruch ist dramatisch.
Wirtschaftsentwicklung USA, annulisierte Quartalsdaten, März-Juni 2020
Der wirtschaftliche Einbruch in den USA erfolgte deutlich später und war, wie zu erwarten, merklich schärfer. Erst die nächsten Wochen werden zeigen, wie ausgeprägt die angebrochene Erholung sein wird.
V-förmige Erholung: Illusionäres Wunschdenken
Bereits mit der Veröffentlichung der ersten Prognosen hat die Diskussion begonnen, wie denn die Erholung ausfallen würde. Zunächst war viel von einer V-förmigen Erholung die Rede, also einer Erholung, deren Aufwärtsdynamik gleich stark ausgeprägt sein würde wie die vorhergehende Abwärtsdynamik. Diese Ansicht war allerdings von Anfang an illusorisch, denn die globale Wirtschaft hatte sich jedenfalls schon 2019, wenn nicht schon seit 2018 in merklich abzukühlen begonnen.
So senkte die Federal Reserve ihre Zinsen im zweiten Halbjahr 2019 gleich drei Mal und beendete die Verkürzung der Bilanzsumme. Die Europäische Zentralbank, die ohnehin schon seit März 2016 eine Nullzinspolitik verfolgt, beschloss bei der Sitzung des EZB-Rats im September 2019 die Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms per November 2019 und setzte diese Wiederaufnahme auch wie angekündigt um. Weitere Indikatoren wie die sich abschwächende globale Handelsdynamik deuteten ebenfalls darauf, dass sich weite Teile der Welt in Richtung Rezession bewegen.
Zudem haben offensichtlich viele Ökonomen unterschätzt, wie schwierig es ist, eine durch massive Eindämmungsmaßnahmen wie ein de facto Reiseverbot wochenlang lahmgelegte Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. In der Tourismusbranche ist die Problematik offensichtlich, doch auch Geschäftsreisen werden durch die weiterhin extreme Beeinträchtigung im Transportsektor bis auf Weiteres weit von einer Normalität entfernt bleiben.
Die latente Unsicherheit darüber, ob das Coronavirus nicht wieder zurückkehrt, wird den Aufschwung selbst im besten aller Fälle ebenso bremsen wie der Umstand, dass die Länder zum Teil mit erheblicher zeitlicher Verzögerung von der Pandemie betroffen waren. Wie zudem das Beispiel Schweden zeigt, macht es ökonomisch fast keinen Unterschied, ob das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben behördlich beschränkt oder freiwillig heruntergefahren wird. Da wie dort ist der Wirtschaftseinbruch erheblich, schließlich ist es für einen Händler ökonomisch irrelevant, ob er nicht verkaufen darf oder mangels Nachfrage nicht verkaufen kann.
Denn in unsicheren Zeiten erhöhen die Menschen aus freien Stücken ihre Geldhaltung, das heißt die Nachfrage nach Geld steigt, während die nach Gütern sinkt, und die Umsätze brechen ein. Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft und diese Unsicherheit wird nicht über Nacht verschwinden. Zu guter Letzt können sich kleine, offene Volkswirtschaften wie Österreich oder eben auch Schweden eine Wirtschaftsflaute in wichtigen Exportmärkte nicht durch eine signifikante Ausweitung der Inlandsnachfrage kompensieren.
Welche Form die Erholung letztlich auch haben wird; eine V-förmige Erholung ist definitiv ausgeschlossen. Das bedeutet aber auch, dass die ohnehin riesigen Budgetdefizite über den gesamten Krisenverlauf größer ausfallen werden als derzeit angenommen.
Blutrote Defizitzahlen
Schritt zu halten mit allen Rettungsprogrammen, die in den vergangenen Tagen und Wochen beschlossen wurden, ist mittlerweile so gut wie unmöglich. In Deutschland, insbesondere aber in Österreich, scheinen angesichts bevorstehender Wahlen – die richtungsweisende Gemeinderatswahl in Wien am 11. Oktober 2020 und in Deutschland die nicht weniger richtungsweisende Bundestagswahl im Herbst 2021 – die Regierungen gewillt zu sein, das – in der Tat gut gefüllte – budgetäre Füllhorn über jeden Bevölkerungsteil nicht nur ein Mal – zur Bewältigung der Folgen des Nachfrageausfalls während des Lockdowns – sondern nun ein zweites Mal – als Konjunkturankurbelungsplan – ausschütten zu wollen.
In der Anfang April veröffentlichten Frühjahrsprognose der EU-Kommission konnten diese Maßnahmen noch keine Berücksichtigung finden. Doch bereits diese Prognose hat tiefrote Zahlen ausgewiesen:
Prognostizierte Budgetdefizite, Deutschland, Niederlande, Österreich, Fnkreich, Italien und Spanien, 2020 und 2021
Diese Zahlen sind, wie bereits erwähnt, aufgrund der zahlreichen zusätzlichen Maßnahmen, die in den vergangenen Wochen beschlossen wurden, als überholt anzusehen. Deutschland und Österreich haben beispielsweise jeweils eine bis zum Jahresende befristete Mehrwertsteuersenkung beschlossen; Deutschland eine allgemeine, Österreich beschränkt auf den Tourismus und die Gastwirtschaft. Insgesamt belaufen sich die Zusatzausgaben für coronavirusbedingte Maßnahmen in Österreich nach zunächst angekündigten 38 Milliarden Euro mittlerweile auf zumindest 50 Milliarden Euro. Deutschlands ursprünglich vorgesehene 156 Milliarden Euro wurden zwischenzeitlich auf 218 Milliarden Euro aufgestockt.
Als weitere Folge werden die Schuldenstände speziell in diesem Jahr deutlich ansteigen. Deutschlands Staatsverschuldung, die Ende 2019 die 60%-Marke nach unten durchschritten hatte, wird die 75%-Marke mit hoher Wahrscheinlichkeit reißen, Österreich wird nach knapp 70% per Ende 2019 womöglich sogar die Marke von 90% durchbrechen.
Die Verschärfung der Euro-Problematik
Der obige Chart zeigt noch etwas. Deutlich ist zu erkennen, dass sich die Kluft zwischen Nord- und Südländern in der Eurozone noch stärker aufweiten wird. Demnach werden die politischen Spannungen innerhalb der Eurozone unweigerlich weiter zunehmen. Dass die Auffassungsunterschiede sehr tief sitzen, zeigte der Europäische Rat vom 19. Juni 2020. Dieser ging nicht nur ohne Ergebnis zum geplanten 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds zu Ende. Die Verhandlungen dauerten ungewöhnlich kurz, was auf unüberbrückbare Differenzen schließen lässt.
Wer soll all das bezahlen?
Die Antwort ist einfach: Die Rechnung bezahlen wird der Mittelstand, denn nur dieser ist breit und wohlhabend genug, um das tiefe Budgetloch weitestgehend zu füllen. Geringverdienern und Menschen mit geringem Vermögen kann man eh nichts wegnehmen, Großverdiener und Vermögende sind entweder selber sehr mobil oder zumindest ihr Finanzvermögen.
Eine Orientierungshilfe über die Höhe der nötigen Steuereinnahmen gibt folgende – sehr grobe – Überschlagsrechnung. Die coronavirusbedingten Ausgaben in Österreich werden, wie erwähnt, derzeit mit 50 Milliarden Euro veranschlagt. Das ergibt pro Kopf ein Finanzierungsvolumen von rund 5.700 Euro. Zieht man nur die Erwerbstätigen per 31. März 2020, also ohne den Großteil des coronavirusbedingten Stellenabbaus heran, ergibt sich ein Betrag von rund 11.600 Euro pro Person.
Einige der denkbaren Maßnahmen zur Finanzierung der immensen Budgetdefizite könnten die folgenden sein:
Höhere Steuern:
- Echte Millionärssteuern haben so gut wie keinen fiskalischen Effekt, sondern allen voran einen politische und gesellschaftliche Ausgleichswirkung. Allerdings können Millionärssteuern schnell auch zu „Millionärssteuern“ werden, die auf Neid basieren, und vornehmlich den Mittelstand treffen. Zu den populistisch genannten Millionärssteuern zählt insbesondere die Erbschaftssteuer. Vor ihrer Abschaffung per 1. August 2008 lukrierte die Erbschaftssteuer in Österreich lediglich 110 bis 150 Millionen Euro jährlich.
- Die Mehrwertsteuersenkungen in Deutschland und Österreich sind zeitlich mit Ende 2020 befristet. Aufgrund des großen fiskalischen Effekts ist aber nicht auszuschließen, dass diese Massensteuer anschließend über das ursprüngliche Niveau hinaus erhöht wird. Eine Erhöhung um 1 Prozentpunkt bringt in Deutschland immerhin rund 12,8 Milliarden Euro, in Österreich rund 1,4 Milliarden. Eine etwaige Erhöhung wird dann aber eine dauerhafte sein.
- Lohn- und Einkommenssteuer: Die Abschaffung der kalten Progression wird in absehbarer Zeit nicht kommen. Für Österreich ist es sehr wahrscheinlich, dass die grundsätzlich vereinbarte Absenkung der höheren Steuerstufen ab 2022 verschoben wird. Der Spitzensteuersatz von 55% wird sicherlich bis auf Weiteres beibehalten.
- Ökologisierung der Steuern: bestenfalls kurzfristig wirksam, schlicht deswegen, weil im Erfolgsfalle aufgrund des veränderten Verhaltens die Einnahmen sinken, der fiskalische Effekt also schwindet. Eine Lenkungssteuer ist niemals dazu geeignet, dauerhaft substanzielle Einnahmen zu erzielen.
- Lastenausgleich: In Deutschland hat mit Heinrich-August Winkler der Doyen der deutschen Zeitgeschichte als erste Finanzierungsidee den Vorschlag eines neuerlichen Lastenausgleichs eingebracht. Je nach Ausgang der Bundestagswahl ist eine stärkere Belastung von Immobilienbesitzern oder auch Grundstückseigentümern, denen nachgesagt wird, dass sie besonders wohlhabend seien, durchaus denkbar. Für Österreich ist eine derartige Steuer nicht denkbar, eher würden die für die Steuerbemessung herangezogenen Einheitswerte erhöht werden.
Niedrigere Ausgaben
- Nulllohnrunden im Öffentlichen Dienst und bei Pensionisten, die vom Lockdown finanziell nicht betroffen waren. Der öffentliche Dienst hat auch so gut wie keine Stellen abbauen müssen.
- Streichung von Subventionen, zumindest indem aktuelle Nominalbeträge jahrelang eingefroren werden,
- Zeitliche Streckung von Investitionen
- Indirekt: Die Zinsen werden bis auf Weiteres niedrig bleiben, wodurch das Budget entlastet wird.
Höhere Inflation
- Solange die EZB das Inflationsziel nicht erreicht hat, ist ein Anstieg der Inflation – gemessen am HVPI – kein Problem. Sobald die 2-Prozent-Marke überschritten wird, werden die Diskussionen in der Eurozone über eine etwaige Erhöhung der Zinsen ausgehend von Deutschland neuerlich einsetzen, wie schon im zweiten Halbjahr 2018.
Das böse Erwachen kommt erst
Aktuell ist die Politik getrieben von der weit verbreiteten Stimmung, dass es nur gerecht sei, wenn über alles und jeden das scheinbar unerschöpfliche Füllhorn staatlicher Unterstützung ausgeschüttet wird. Zugleich befeuert die Regierung diese Stimmung. Wer sagt denn auch schon gerne Nein, noch dazu, wenn dieses Nein Wählerstimmen kosten könnte?
Die Zentralbanken befinden sich im selben Modus. Dieser Cocktail ist ein höchst gefährlicher, denn im Augenblick gibt es keine Institution, die dem Schuldenmachen den Riegel vorschieben würde. Doch eines ist sicher: Jede Rechnung muss früher oder später bezahlt werden: Deutliche Steuererhöhungen, Ausgabensenkungen und eine anziehende Inflation werden das fiskal- und geldpolitische Handeln der kommenden Jahre bestimmen.
Doch der Tag wird kommen, an dem die offenen Rechnungen beglichen werden müssen. Der politische und gesellschaftliche Streit, wer welchen Anteil zu tragen hat, wird angesichts der enormen Volumens eine Belastungsprobe für viele Regierungen und Gesellschaften werden. Selbst wenn das Coronavirus in Bälde durch eine Impfung gebannt sein sollte, werden uns die (finanziellen) Folgen der Pandemie noch deutlich länger beschäftigen.
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