Goldman Sachs und Zerohedge scheinen es dem legendären Radio Eriwan aus den Witzen der Sowjetzeit gleichtun zu wollen, bei denen der regimetreue Sender aus der armenischen Hauptstadt Hörerfragen zunächst mit “im Prinzip ja” beantwortete – nur um im Lauf der weiteren Ausführungen seine anfängliche Bejahung ins Absurd-Lächerliche zu ziehen. Ähnlich geht Goldman Sachs bei Fragen zur europäischen Erdgas-Krise vor, wo ernsthaft die “key question” gestellt wird, ob Flüssiggas aus den “Staaten” künftig LNG aus dem russischen Hohen Norden ersetzen werde können. GS-Antwort: “Theoretisch ja” – nur leider ist das völlig irrelevant (sagt dieser Blogger).
Jedenfalls für Europäer, möglicherweise nicht für (potenzielle) Investoren in US-LNG-Exporteure.
Die zitierte GS-”note to clients” wäre im Kontext einer “allgemeinen Öffentlichkeit” als Witz zu bezeichnen, trüge sie nicht Anzeichen bewusster Desinformation von Lesern, die mit den Größenordnungen des Falls, von dem der “Experte”/die “Expertin” spricht, nicht vertraut sind.
Das Flüssig-Erdgas aus Russland, das im vergangenen Jahr zweifellos zugelegt hat, ist für die Versorgung der EU eine kleinere Marginalie, wie der Statistical Review of World Energy 2024 p. 44 zu entnehmen ist.
Das Energy Institute hat zwar erst die Ganzjahreszahlen von 2023, die für “Europe” mit 19,4 Mrd. Kubikmetern beziffert werden, und ein bissl was wird 2024 wg. der Neu-Inbetriebnahme von russischen LNG-Kapazitäten im Hohen Norden wohl zusätzlich gegangen sein (um den seligen Monaco-Franze zu zitieren).
Wie bekannt, muss das russische Flüssiggas zunächst mit eisbrechenden LNG-Carriern gen Süden geschippert werden.
Es wird wohl auch stimmen, dass russisches Pipelinegas 2024 gegenüber 2023 um 20 Milliarden Kubikmeter oder so zugelegt hat
- wahrscheinlich, weil mehr Moskowiter-Methan durch die relativ neue Turkstream geflossen ist, die unsere EU-Natotisten nicht unterbinden können.
orf.at berichtet ja, dass der russische Witze-MP Nowak erklärt hat, dass die Pipeline-Exporte seines Landes in die EU nach dem Tief 2023 im vergangenen Jahr wieder mehr als 50 Mrd. m3 betragen hätten
(was nach 28 Mrd. m3 2023 gut möglich ist).
Nur:
- die – sagen wir – neuerdings 25 Mrd. Kubik russisches LNG fallen nicht besonders ins Gewicht, verbraucht Europa im Jahr doch um die 500 Mrd. m3 Erdgas (2023 gar nur 463,4 Mrd. - Statistical Review ’24, p.39).
- Man kann die heurigen Zugewinne von russischem LNG von (sagen wir) fünf oder sechs Milliarden m3 aber auch mit den Verlusten von russischem Pipelinegas vergleichen, die sich (wg. der “Sanktionen”?) auf knapp 83 Mrd. m3 zwischen 2021 und 2023 belaufen, und das Ergebnis liegt weit unter 10 Prozent.
Also: Vielleicht könnten US-Exporteure theoretisch wirklich die mittlerweile 25 Mrd. m3 Moskowiter-LNG für den EU-Markt ersetzen
- man sollte in der Praxis allerdings nicht drauf wetten, weil schon die erste Grafik des Artikels (“Exhibit 1″) zeigt, dass sich die US-LNG-Exporte nach Europa seit Beginn 2024 im Sinkflug befinden.
Für die normalen Europäer ist das, wie gesagt, aber eh ziemlich wurst.
Anders als “ihre” sg. Führer (“leaders”) – man könnte auch sagen: “dieses inkompetente Gesocks” – sind normale Europäer
eher an der Heizung ihrer Wohnzimmer, ihrer Stromversorgung und “ihrer” industriellen Produktion interessiert.
Das mag verständlicherweise den nordamerikanischen Kunden von GS wiederum wurst sein.
Wichtig für die ist nur, dass sie den Schmarren von der Kostengleichheit von US-LNG und Moskowiter-Methan via Pipeline glauben – obwohl eine solche Behauptung geradezu abstrus ist.
Die GS-Kunden können auch gerne glauben, dass die Europäer die Asiaten noch einmal in langfristigen Kontrakten überflügeln können (die sie dann auch tatsächlich kriegen)
oder
dass hypothetische zusätzliche Käufe von US-amerikanischer Fossil-Energie den EU-Handelsbilanz-Überschuss gegenüber den USA kompensieren könnten.
Des Menschen Glaube ist bekanntlich sein Himmelreich.
Danke, G.!
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