Brüssel und seine Verbündeten in den Hauptstädten wollen die Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern. Dagegen wäre nichts einzuwenden, lebte man sonst nach dem Realitätsprinzip, das eigentlich die Lebensführung Erwachsener bestimmen sollte. Dazu gehört, dass man Partnern nicht mit dem Hintern ins Gesicht springt, aber auch zielgerichtetes Agieren gegen absehbare Probleme. NB zu LNG.
Während sich die Kommission, von einer Fraktion in Washington angestiftet, auf Ersteres spezialisiert hat, übt man sich in Berlin in Tani-otoshi, allerdings ohne jemanden anderen als sich selbst auf die Matte zu werfen.
In der hier nicht gezeigten deutschen Variante dieser Wurftechnik schlägt man sich das eigene Standbein weg, während man sich intensiv moralisch überlegen fühlt.
Die faktische Basis für die folgenden historischen Passagen beziehe ich aus zwei Büchern, Per Högselius, Red Gas und Rafael Kandiyoti, Powering Europe, Sie finden sich hier und hier bei Google Books. Keiner der beiden Autoren ist für meine Lesart ihrer Bücher und gegebenenfalls falsche Schlussfolgerungen verantwortlich.
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Begonnen hat die Geschichte mit dem damals noch sowjetischen Erdgas vor einem halben Jahrhundert und es ist kein Zufall, dass die damals noch neutrale Republik Österreich bzw, die staatliche ÖMV Vorreiter spielten.
Die ersten 10,15 Jahre gestalteten sich wenig auffällig, denn die Liefermengen waren nicht besonders hoch. Erdgas war noch nicht modern und die Leitungen noch nicht gebaut..
Es war ein für beide Seiten überschaubares Geschäft: Die Russen gaben, wovon sie unerschöpflich viel zu haben schienen. Die Europäer wiederum zahlten mit begehrten Devisen und ihre eigene Stahl- und Bauindustrie machte ein nettes Nebengeschäft. Ideologisch hat es auch gepasst, nämlich in die Entspannungs- und Ostpolitik z.B. Willy Brandts.
Das Bild begann in den 1980er-Jahren andere Züge anzunehmen. Damals erschlossen die Sowjets ihre westsibirischen Gasfelder und begannen mit dem Aufbau einer massiven Exportinfrastruktur.
Von da an stiegen die Erdgaslieferungen aus dem Osten 25 Jahre lang stabil an – was auch durch das Ende der Sowjetunion 1991 nicht unterbrochen wurde.
Die Europäer zerbrachen sich darüber nicht groß den Kopf. Gas wurde als kleiner und unwichtiger Bruder des Erdöls angesehen und in der Nordsee wurden gerade neue Öl- und Gasvorkommen online gebracht (diese befinden sich 2016 übrigens schon zehn Jahre im Sinkflug).
Heute liefern Russland bzw. die ehemalige Sowjetunion je nach Betrachungsweise zwischen 30 und 40 Prozent der Einfuhren und der europäische Gasmarkt wird weiter stark wachsen, glaubt etwa die IEA:
European gas import requirements are set to increase by almost one-third between 2014 and 2020.”
Die IEA hat alles in allem freilich eine noch ziemlich konventionelle Sicht der Dinge, eine, die von der ungeschmälerten Vefügbarkeit von Erdöl ausgeht – sowie davon, dass es keinen größeren Substitutionsbedarf etwa aus dem Transportsektor geben wird.
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Bis etwa 2005 gab es jedenfalls keine Probleme zwischen Europäern einerseits sowie den Russen und den anderen unabhängig gewordenen Nachfolgestaaten der Sowjetunion andererseits.
In der Mitte dieses Jahrzehnts fanden jedoch scheinbar unzusammenhängende Ereignisse statt, die in Summe das harmonische Bild zwischen Lieferanten und Beliefertem trübten. Kandiyoti zählt auf:
- In Russland selbst verstärkte sich der staatliche Zugriff auf die dort operierenden nicht-russischen Ölfirmen. Die Punkte, bei denen dieser Druck ausgeübt wurde, waren Gewinnaufteilungsschlüssel, Umwelt- und Steuerrecht.
- In der Ukraine kamen 2004 in sich zerstrittene prowestliche Kräfte an die Regierung, die das von Gazprom bezogene Gas zu spät, nur teilweise oder gar nicht bezahlten. Die Folge waren zwei Lieferunterbrechungen in den Jahren 2006 und 2009.
- In Westeuropa wurden José Manuel Barroso Präsident der Kommission und Angela Merkel deutsche Kanzlerin..
- Der Beitritt der Russen zur Europäischen Energie-Charta kam nicht zustande (keine Ratifizierung).
- 2009 trat schließlich das sogenannte Dritte Energiepaket in Kraft, mit dem Pipielinebetreibern EU-Auflagen gemacht werden konnten. Die Kommission behielt aber einen beachtlichen Ermessenspielraum (Ausnahmegenehmigungen),
Den nutzt sie bis zum heutigen Tag um russisches Gas zu torpedieren sowie allzu spärlich vorhandene Alternativen dazu aufzupäppeln – etwa im Fall der 2013 eingestellten Nabucco, die eine der begehrten Ausnahmen zugebilligt bekam, oder jetzt, bei der TAP, die ab 2019 Aseri-Gas nach Süditalien schippern soll, siehe auch hier.
Es ist die alte Geschichte: Die Europäer haben Regeln, die prinzipiell für alle gelten, nur dass der Lügenbaron und sein Team bestimmen, für wen sie nicht gelten.
Für die Gazprom gelten die Wettbewerbsregeln allemal. Auf dieser Basis konnte Brüssel die South Stream erlegen, ohne dass besonders bemerkbar geworden wäre, wo der Jäger gestanden war.
Mehr russisches Gas ist in der EU derzeit nicht willkommen und das, was geliefert wird, sollte bitteschön über die Ukraine oder Polen fließen, um Versorgungssicherheit für erstere und Transitgebühren für zweiteres zu generieren Man nennt diesen Vorgang auch europäische Solidarität.
Europäische Solidarität ist auch am Werk, wenn die Russen und die Deutschen einen zweiten Nord Stream-Doppelstrang durch die Ostsee bauen wollen und die Polen und die anderern Osteuropäer alle Hebel in Bewegung setzen, um das zu verhindern.
Dem polnischen Kartellamt UOKiK, das rein juristisch nicht befasst hätte werden müssen, ist es gelungen, das Betreiberkonsortium zu sprengen und damit die Finanzierung des Projekts in Frage zu stellen.
Warschau steht in der Sache nicht allein. Brüssel, das sich in der Öffentlichkeit bisher zurückgehalten hat, hat sich geschworen, ein deutsch-russisches Projekt dieses Schlags nicht noch einmal passieren zu lassen (die erste Nord Stream wurde vor Inkrafttreten des Dritten Energiepakets fixiert).
Am bemerkenswertesten ist die langsam sichtbar werdende innerdeutsche Koalition der Projektgegner aus CDU und Grünen (“Wladimir Putin bombardiert in Syrien Zivilisten und wir fördern das über unsere Gaseinkäufe”).
Rosa- und Dunkelrote befinden sich seltsamerweise auf der anderen Seite der Barrikade.
Schwarzgrün lautet auch die informelle, aber wirkmächtige politische Koalition, die Deutschland ein energetisches Standbein nach dem anderen wegsäbelt – Absicht oder nicht.
Kernkraft und Kohle sind praktisch bereits fort und jetzt muss auch das Gas weg, wenn es nach dem Willen der grünschwarzen Freunde des Imperiums geht. Rosenholz und Council on Foreign Relations bilden eine unschlagbare Kombination, glauben Merkel & die Grünen.
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Högselius, der Geschichtsschreiber der angeblichen russischen Erdgaswaffe, gibt auf Seite 221 seines Buchs zu Protokoll, dass das
available material does not support the thesis that Moscow, during the Cold War, contemplated the use of natural gas exports for this purpose (politische Erpressung, Anm.)”,
meint aber, dass das keine Garantie für künftiges Verhalten darstelle.
Und in der Tat: sich allzusehr von einem Lieferanten abhängig zu machen, ist keine besonders schlaue Strategie. Die Strategie des energiepolitischen Selbstfallers á l’allemagne ist freilich noch dümmer.
Literatur:
Jan Högselius, Red Gas. Russia and the Origins of European Energy Dependence.2013
Rafael Kandiyoti, Powering Europe. Russia, Ukraine, and the Energy Squeeze.2015
Nachbemerkung, 17.11., 07.15 Uhr: Könnte LNG eine Alternative bieten? Nicht, wenn man Flüssiggas aus Katar im Auge hat, das durch die Straße von Hormuz, den Golf von Aden und den Suezkanal geschippert werden musss. Nicht einmal nordamerikanisches Zeug in bretonischen LNG-Terminals ist besonders zielführend.
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