“Versorgungssicherheit” zählt zu den Lieblingsbegriffen unserer paneuropäischen Junta. Mit ihm soll suggeriert werden, dass für sie die Versorgung des Kontinents mit Energie Priorität hat. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. Der dominante Teil des regierenden Polit-Kartells will die als riskant empfundene Abhängigkeit von postsowjetischen Ressourcen durch eine viel riskantere Abhängigkeit vom Nahen/Mittleren Osten ersetzen. Eine Analyse.
Um eine Vorstellung von den langfristigen, geostrategischen Interessen in Sachen Öl und Gas zu bekommen, sollte man sich klarmachen, dass
- die EU-28 ein Konglomerat sind, das in Sachen Energie schon jetzt ein Bettlerdasein führt und dass diese Ausgangslage in den kommenden Jahrzehnten noch schlechter wird;
- die Hoffnung auf nordamerikanisches Gas und Öl aus Schiefergestein eine Seifenblase ist, die in den nächsten drei, vier Jahren platzen wird und dass
- russisches Öl und Gas, auf das Europa – in einem zugegeben hohen Ausmaß – angewiesen ist, in den vergangenen 40 Jahren zuverlässig geliefert wurde, selbst in den kritischsten Phasen des Kalten Kriegs.
- Traurig ist ferner, dass Europa praktisch kein Schiefer-Gas hat und dass weder das Reservewachstum in Libyen und Algerien noch neu entdeckte Ressourcen im östlichen Mittelmeer geeignet sind, das sprichwörtliche Blatt zu wenden. Nicht einmal die vergangenes Jahr gescheiterte Nabucco hätte einen allzu großen Unterschied gemacht (denn mit der wäre man auch auf mittelasiatische Versorger angewiesen gewesen, die nicht wirklich unabhängig von Moskau agieren können.)
Die bittere Wahrheit ist, dass heute das einzige gangbare Alternativangebot für den alten Kontinent der Arabische/Persische Golf ist.
Das klingt irgendwie absurd, vor allem beim Erdöl. Die Felder im Mittleren Osten sind seit 50, 60 Jahren in Produktion und heute weitgehend erschöpft. Der wichtigste Faktor, der einen raschen Abfall der dortigen Produktion bisher verhindert hat, ist die Ingenieurskunst der dort tätigen Techniker.
Bei Gas sieht die Situation freilich etwas anders aus – wenigstens was die nicht-politische Situation, die natürlichen Ressourcen betrifft. Zwischen Iran und Katar befindet sich ein erst vor ein paar Jahren entdecktes enormes Gasfeld, das das Potenzial hat, das europäische Versorgungsdefizit selbst bei einem weitgehenden Ausfall der russischen Lieferungen über Jahrzehnte abzudecken. (Bei Reserveschätzungen empfiehlt sich Vorsicht, dieser Elefant scheint aber wirklich riesig zu sein.)
Das Problem ist “nur”, dass der Weg nach Europa durch drei oder vier politische Schlangengruben führt. Und dass es noch keine Pipeline gibt, die das Zeug von South Pars/North Dome nach Europa transportieren könnte. Es gibt meines Wissens noch nicht einmal technisch einigermaßen augereifte Projekte. Derzeit wird militärisch um die Wegerechte gekämpft.
Dieser Kampf um das westliche Pipelineistan ist die vielleicht wichigste Triebfeder für das, was derzeit im Irak und in Syrien abgeht. Dort findet ein veritabler Mannschaftskampf statt. Beide Teams hätten gerne das Geld der europäischen Verbraucher und die Macht, den Europäern ggf. den Gashahn abzudrehen.
IS und Israel gegen Iran und Syrien
Team A besteht aus Katar, Israel und der Türkei. Besitzer und Hauptsponsor dieses Teams sind die USA. Um zu gewinnen, ist das Team auf zwar kleinere, aber unverzichtbare Helfer angewiesen: ISIS und Kurdistan. Team B besteht aus Iran, Irak (Bagdad), und Syrien (Damaskus). Dieses Team wird von den Sportfreunden in Moskau gemanagt.
Team A würde gerne eine Pipeline über Israel ins türkische Ceyhan bauen. Um so etwas durchführen zu können, muss es aber ein paar harte Nüsse knacken.
Bei der ersten geht das noch relativ leicht: die Beherrschung von Sinai. Aber solange Israel Eilat kontrolliert, ist nicht einmal das unbedingt notwendig.
Die beiden anderen Aufgaben sind schwieriger: Regimewechsel/Wegerechte im Libanon und in Syrien, die wie ein Sperriegel zwischen Israel und der Türkei liegen. Beide Probleme sind momentan in Arbeit, vor allem das syrische.
Team B würde gerne iranisches Gas nach Europa verkaufen und zu diesem Zweck eine Pipeline über den Nordirak nach Syrien bauen, von wo es über einen Mittelmeerhafen nach Europa verschifft werden könnte. Das wäre machbar, wenn Bagdad und Damaskus ihr jeweiliges Territorium auch kontrollieren würden.
Tun sie aber nicht.
Der neue Islamische Staat und Kurdistan haben ihrerseits einen Sperriegel für die hoffnungsvollen Pipelinebauer von Team B gebaut.
Derzeit deutet alles – aber auch wirklich alles – darauf hin, dass IS ein freier Mitarbeiter von Team A, also “unseren Freunden und Verbündeten von der Achse des Guten” ist. Es gibt buchstäblich Hunderte Indizien dafür. Daran ändern auch ein paar flockige Politikersprüche zu den pöhsen Islamisten nichts – und auch nicht ein paar Scheinangriffe aus der Luft.
Was die USA, Frankreich, Großbritannien und die Türkei in dieser Sache derzeit der Weltöffentlichkeit bieten, ist gaaaanz großes Kino.
Wie immer dieses Match letztlich ausgehen mag – die derzeitige Lage lässt sich nur mit einem Begriff umschreiben: Stalemate. Ein Patt ohne neue Pipeline, das ohne weiteres noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte anhalten kann.
In dieser Situation hatten Brüssel und dessen Kollaborateure in den europäischen Hauptstädten den brillianten Einfall, dass “wir” das russische Gas eigentlich nicht mehr brauchen. Wahrscheinlich ist ihnen diese Schnapsidee von Uncle Sam ins Ohr gesetzt worden, aber formell beginnt die Befehlskette bei der europäischen Junta, deren Generäle und Obristen in Brüssel bzw. in den europäischen Hauptstädten sitzen.
Letztlich wird man sich nur an die formelle Befehlskette halten können und das gilt auch und gerade im Fall zivil- bzw. strafrechtlicher Konsequenzen für die heutigen Entscheidungsträger.
Unsere Junta spricht auch nicht offen aus, dass sie bereit ist, auf das Russen-Gas zu pfeifen. Aber Moskau hat das schon verstanden. Spätestens seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise arbeitet es daran, es jemandem zu verkaufen, der es haben will.
Das ist nicht so einfach wie es klingt, denn die Infrastruktur für seine Exporte ist einseitig westwärts ausgerichtet. Das Ganze ist kostspielig und es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die Energie dorthin fließen kann, wo die neuen Financiers der Russen daheim sind: in Asien, speziell China.
Aber wenigstens gibt es eine Art Übergangsfrist. Bis diese abgelaufen ist, sollte es keine Unterbrechungen in den russischen Gaslieferungen nach Europa mehr geben. Die Staaten der Union beziehen heute etwa ein Drittel aus Russland, die Hälfte davon kommt wiederum über die Ukraine.
Theoretisch wird es in der Übergangsfrist keine Unterbrechungen geben. Das Problem sind auch nicht die Lieferungen in die westeuropäischen Staaten, sondern der Umstand, dass am Weg von hier nach dort ein Staat sitzt und sich schon einmal das Gas nimmt, das er braucht. Auch wenn es keinen Vertrag mit Moskau gibt. Ein kleiner Vorgriff auf eine künftige Preiseinigung sozusagen. Wird sich schon alles wieder einrenken.
Moskau gibt sich nicht so optimistisch wie Kiew (oder will nur kein Risiko eingehen, auf der Rechnung sitzen zu bleiben). Es weiß, dass die Ukraine praktisch pleite ist und fordert daher, dass IWF/EU eine Bürgschaftserklärung für das neue Pflegekind abgeben (dabei geht es auch um einen alten Kredit aus Moskau).
Wenn die EU einen Lieferengpass vermeiden will, wird sie garantieren müssen und das wird zweifellos auch stattfinden. Denn die Junta wird einen Lieferausfall auf jeden Fall vermeiden wollen – und drei bis fünf Milliarden Dollar sind für diese Herrschaften keine nennenswerte Größe.
Dass Brüssel sein langfristiges Vabanquespiel aufgibt, ist dagegen wenig wahrscheinlich. Selbst die Parlamentarier haben inzwischen Gefallen am russischen Roulette gefunden. Tja, Selbstmord ist schmerzlos…
“I realize and I can see…
that suicide is painless
It brings on many changes
and I can take or leave it if I please.”
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.