Wer den Ursachen des Umschwungs in den USA nachgehen will, sollte sich eine Debatte ansehen, die von unseren Qualitätsmedien souverän ignoriert wird. Es geht um die Frage,wer Deindustrialisierung und Jobverluste verursacht hat: Eine faul gewordene Arbeiterklasse oder die völlige Finanzialisierung der Realwirtschaft, unter einem liberal-neokonservativen Einheitsregime?
Für dieses darf man davon ausgehen, dass die Kämpfe zwischen Demokraten (Liberalen) und Republikanern (Neokonservativen) meist gespielt waren.
Die Unterschiede zwischen den beiden in der Wirtschafts- und Außenpolitik sind jedenfalls geringfügig.
In der Gesamtheit ihrer Politiken lief’s auf unterschiedliche Akzentsetzungen, Darstellungen und Appelle an einander unähnliche constituencies hinaus.
Ein günstiger, Erkenntnis fördender Zufall wollte es, dass am Anfang und am Ende dieser Periode der Name Clinton steht: zuerst der von Bill, der die Präsidentenwahl von 1992 gewann und zum Schluss jener seiner Frau Hillary, die 2016 an Trump scheiterte.
Ihr Spiegelbild auf der Rechten ist die Bush-Familie, die mit George W. nicht nur die zentralen Jahre von 2001 bis 2009 bestimmte; dieser Clan stellte auch zwei Übergangsfiguren: den Vater, der 1992 als sitting president gegen Bill Clinton verlor und Jeb, den jüngeren Bruder von George Dabbeljuuu, der 2016 eigentlich republikanischer Kandidat werden sollte.
Bei Bush-Vater lässt sich allenfalls streiten, wieweit dieser zum liberal-neokonservativen Trust gehört, bzw. ob er diesen nicht sogar begründet hat.
Republikraten und Demokaner
Die Ähnlichkeiten zwischen Clinton-Demokraten und Bush-Republikanern in den Kernbereichen sind jedenfalls größer als ihre Konflikte (Energiepolitik, “Klima”).
Bill C. schlug 1999 in Ex-Jugoslawien zu, Bush fabrizierte den Irak-Krieg und Hillary und Barack knöpften sich Libyen und Syrien vor. Bill präsidierte über die Anfangfsajhre jener Wirtschaftspolitik, die China wieder groß machte und George W. führte fort, was Bill begonnen hatte.
Barack übernahm 2009 das Staffelholz, ohne dass der Farbwechsel des regierenden Präsidenten sonderlich aufgefallen wäre.
Das demonstrative Abstandhalten der zwei präsidialen Bushes von Trump sagt einiges aus, ebenso wie die Feindseligkeit ehemaliger Beamter in Regierungen von George W.
Emblematisch ist die Position der neokonservativen, oft ex-trotzkistischen Rechten der Präsidentschaftsjahre George, des Jüngeren.
Die Neocons sind die Architekten des Irakkriegs, manche von ihnen mit tiefen Verbindungen zu den Geschehnissen des 11. September 2001.
Einige dieser konservativen Internationalisten riefen im Herbst 2016 zur Wahl der Clinton auf, etwa der “abtrünnige Jude” Bill Kristol, der als Chefideologe der Neocons gilt. Man belegte Leute wie Kristol mit dem Begriff Never Trumpers (ein Schlagwort, mit dem Clinton-Demokraten kaum jemals bezeichnet werden).
Fauler White Trash
Bei einer kürzlich abgehaltenen Diskussionsveranstaltung einer industrienahen Denkfabrik schrieb Kristol die mühsam bemäntelte Dauerkrise seines Landes einer dekadenten und bequem gewordenen weißen Arbeiterklasse zu, siehe z.B. hier.
Angesichts deren Verkommenheit sei es geradezu angebracht, Immigranten hereinzuholen, die
wirklich hart arbeiten und erfolgreich sein wollen und die möchten, dass ihre Kinder ein besseres Leben führen als sie selbst und die nicht einfach Koupons schneiden und hoffen, dass sie weiter abhängen können, während ihre verdorbenen Kinder groß werden usw.”
Wirtschaftsnahe Beobachter, die diese Debatte verfolgten, bestritten erst gar nicht, dass das von Kristol beschriebene Pänomen existiert – white trash, ein aus dem Arbeitsmarkt verdrängtes, vom Staat abhängig gewordenes “kaukasisches” (Sub)Proletariat, das sich gar nicht mehr bemüht, einen Weg zurück zu finden.
Bemerkenswert war nur, dass Kristol
- die politische Klientel seines Bündnispartners, mit dem white trash durchaus vergleichbare afroamerikaneische Gruppen, erst gar nicht zur zur Gruppe der Minderleister rechnete und dass er
- kein Wort über die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen der letzten 20 Jahre verlor, die mithalfen, dass bis dahin auskömmlich, manchmal gut bezahlte Jobs für die faule Arbeiterklasse so rar geworden sind.
Zu diesen gehört das von Clinton unterzeichnete Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta ebenso wie die von 1600 Pennsylvana Avenue mit zu verantwortende Währungs- und Finanzpolitik (auch wenn die Fed theoretisch tun und lassen kann, was sie will und für einen guten Teil davon verantwortlich zeichnet).
Giant Sucking Sound
Jeffrey Snyder von Alhambra Investment Partners hat sich den verbreiteten Narrativ vom Niedergang der USA noch einmal angesehen (Kristol ist nur besonders “outspoken”) und ist dabei zu folgender Diagnose gekommen:
- das massenhafte Verschwinden von gut bezahlten Industriejobs während der Regierungszeit des Clintoin-Bush-Trusts – etwa ein Drittel von ihnen – ist ein unumstößliches Faktum, ebenso wie der Umstand, dass der Anteil der Arbeitseinkommen am GDP der USA deutlich gesunken ist. Die angebliche “wirtschaftliche Erholung” hält er für ein rein statistisch fabriziertes Phänomen - siehe zum Beispiel die Scharade von der sinkenden Arbeitslosigkeit, während gleichzeitig die Erwerbsbevölkerung (“civilian labor force participation rate”) abstürzt. siehe z.B.hier, Seite 7. Snyder geht davon aus, dass sich die amerikanische Wirtschaft heute real in einer Depression befindet.
- Er erinnert u.a.daran, dass der Rechtspopulist des Wahlkampfs 1992, Ross Perot, einen “giant sucking sound” vorhergesagt hat, ein ohrenbetäubendes Sauggeräusch. mit dem Millionen amerikanische Jobs verschwinden würden – sobald nämlich Nafta in Kraft sei (das ist die Art vonVorhersagen, die die hiesigen Politicos und ihre Presstituierten als an den Haaren herbeigezogene Angstmache abzutun pflegen).
- Doch Perot behielt im Wesentlichen recht. Mit der Nafta entstanden Hunderttausende Jobs im Maquíladora-Gürtel Mexikos, “zu Lasten des nordamerikanischen Arbeitsmarkts”. Michael Moore, ein eingeschworener Parteigänger der Demokraten, hat den Zusammenhang zwischen Trumps Wahl und dem Niedergang der US-Industrie vorausschauend und binnen nur zwei Minuten auf den Punkt gebracht.
Kredit statt Jobs und Einkommen
- Doch Mexiko ist lediglich Mexiko. Das Land macht nur den kleineren Teil einer komplizierten Wahrheit aus. Für Snyder tragen die finanziellen und währungsmäßigen Entwicklungen besagter Jahre die Hauptschuld an Deindustrialisierung und Einkommensverlusten der “amerikanischen Mitteklassse” – etwa durch die Ersetzung von Einkommen durch forcierte Kredite an Haushalte.
- Das zentrale Moment ist für den Analysten aber die Finanzialisierung der Realwirtschaft durch die eskalierende Neuschöpfung von Eurodollars, i.e. außerhalb der USA zirkulierender amerikanischer Währungseinheiten (die teilweise den Weg zurück gefunden und die amerikanischen Bubbles aufgeblasen haben).
Die Entwicklung von Banking und Zentralbanking hat den Charakter der Eurodollar-Märkte in einen Kanal zum Gelddrucken verwandelt Mithilfe der (Geld)Politik und getrieben vom ewigen Wunsch der Banken schrankenlos zu wachsen, wurden Dollars geschaffen, gehandelt und von überall ansässigen Banken bezogen. Eigentlich dachte man, die Weltleitwährung sei ein enormes Privileg. In Wirklichkeit aber entpuppte sie sich als eine von den Zentralbanken unterstützte Geldentwertung und ein Desaster.” Understanding Eurodollars, Part 2
Sein (Kristols) Argument besteht daraus, dass sich die globale Wirtschaft verändert und sich alles in allem verbessert hat und dass die Zurückgebliebenen noch einmal in die Schule gehen, oder einen Umzugswagen für die Reise zu einem besseren Leben bestellen sollten, das anderswo auf die wartet. Aber sie waren angeblich ja zu dumm und zugedröhnt um das zu kapieren (…) Das ist, soweit die Statistiken tragen, nicht richtig (…) Wir haben Mittelklasse-Jobs für Eurodollar-getriebenen Kredit eingetauscht und jetzt, wo es plötzlich nicht mehr so viele Eurodollars gibt, kriegt die Wirtschaft weder Kredit noch Jobs.” To Die or To Reject?
Populismus, sagt Snyder,
ist nicht einfach die Zurückweisung des Gedankens, dass ein steigender Lebensstandard das (sprunghaft) ungeordnet tut. Populismus erkennt, dass der Lebensstandard dort gar nicht steigt, wo es einen völligen und offensichtlichen Mangel an (ökonomischen) Gelegenheiten gibt. Populismus dämonisiert die Globalisierung des sogenannten Freihandels, indem er “Experten” zurückweist, die keine Ahnung von dem haben, worüber die reden.” To Die or To Reject?
Bild: ashleystreet [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons
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