Während die Formel Klimawandel durch menschengemachtes CO2 - tausendfach wiederholt – in Millionen Köpfe verpflanzt wurde, werden die durch fossile Energien ermöglichten zivilisatorischen Fortschritte immer deutlicher – und auch, wie irreführend das Versprechen ist, ein von Erneuerbaren dominiertes Energieregime brächte friedlichere und glücklichere Menschen. Ein aktuelles sowie ein etwas älteres Buch leuchten dieses Zerrbild aus. In Energy, A Human History erzählt Richard Rhodes G’schichterln aus der vergehenden Karbon-Ära.
“But in all cases the eventual outcome (of the energy transition) was a substantial increase in per capita consumption of primary energy as societies previously limited by harvests of phytomass fuels and the deployment of animate energies entered a new era of diversifying fossil fuel supply and the mass-scale deployment of mechanical prime movers.” Vaclav Smil
Richard Rhodes verspicht mit dem Untertitel seines soeben erschienenen Werks viel – doch wer sich eine Menschheitsgeschichte erwartet hat, wird enttäuscht sein.
Der Autor liefert “nur” eine Energiegeschichte des “Westens” in den vergangenen 400 Jahren – wovon freilich nur das 19. und 20. Jahrhundert als Epoche der fossilen Brennstoffe im engeren Sinn gelten können.
Das schadet eigentlich nicht, denn die journalistische Erzählung korrigiert lang eingefressene Vorurteile und unzulässige Vereinfachungen.
Die Ära beginnt nämlich nicht erst mit James Watt.
Schon vorher hat man in europäischen Städten immer öfter mit Steinkohle geheizt und auch Beleuchtung durch Walöl gehört zur Geschichte (obwohl die Meeresriesen natürlich kein fossiler Energeträger sind).
Watt stand auf den Schultern anderer Ingenieure, etwa denen von Thomas Newcomen, dessen immobile Dampfmaschine es immerhin ermöglichte, überflutete Kohleschächte auszupumpen.
Watt konkurrierte auch mit Richard Trevithick, der Wettrennen zwischen schienenlosen Dampf-Loks und Pferden veranstalten wollte.
Spannend und lehrreich auch die story des ersten Erdöls in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts, als unternehmerische Geister in Pennsylvania auf aus dem Boden sickerndes Petroleum stießen – und jahrelang nachforschen ließen, wie man dieses kommerziell nutzen könne (Medizin? Schmiermittel?)
- die letztlich doch fast scheiterten, weil sie lange nicht auf die Idee kamen, dieses mittels Bohrung in industriell verwertbaren Mengen zu fördern.
Schon hatten die Geldgeber den Beschluss gefasst, die kostspieligen Nachforschungen einzustellen, als ihre als übergeschnappt angesehene Buddel-Crew doch noch auf schwarzes Gold stieß, gewissermaßen in letzter Sekunde.
Energy ist, alles in allem, ein modernes, tragikomisches Heldenlied mit Technikern, Chemikern und Risikoinvestoren in den Rollen von Roland, Parzival & Co., das Rhodes, der alte Freund der Kernspaltung da liefert.
Ein süffiges, für breites Publikum lesbares Epos, das routiniert und journalistisch-personalisierend geschrieben wurde (“storytelling”) – obzwar dadurch “verdorben”, dass der 80-jährige Autor die Milch der reinen Denkungsart verschmäht und verstockt auf Atomkraft pocht sowie darauf, dass Wind und Sonne nur in Nischen zukunftstauglich seien.
Kalorien und Zivilisation
Anders kommen die bereits 2015 erschienenen Foragers, Farmers and Fossil Fuels des Ian Morris daher.
Der hat zwar die in seiner Branche unübliche Gabe, griffig zu formulieren und Sachverhalte kurz und trotzdem richtig darzustellen – Rhodes Zug zu human touch und Anekdote geht ihm aber ab (wie sich das für einen Stanford-Professor auch geziemt ).
Morris holt mit seinen Jägern und Sammlern, Bauern und fossilen Treibstoffen weit aus – nämlich bis zum Ende der letzten Eiszeit – und das erlaubt dem interessierten Leser die ungefähre Einordnung der etwa von Rhodes erzählten Begebnisse.
Es ist eine … nein, keine Historie … sondern eine stark abstrahierende Kurzfassung der Energiegeschichte der Menschheit (seit der Mittelsteinzeit).
Die Kernthese ist schnell zusammengefasst.
Die sozialen und moralischen Haltungen und Wertesysteme der menschlichen Gesellschaften sind für Morris keine überzeitlichen Absoluta, sondern Epiphänomene der jeweiligen gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit, der Art und Weise, wie die Energiezufuhr (“energy capture”) organisiert ist.
Über Hunderttausende Jahre dominierte die Lebenswirklichkeit der Jäger-Sammler (“foragers”), die in kleinen Horden große Landstriche durchstreiften, auf der Suche nach erlegbarem Großwild, wilden Früchten und Insekten (“Nahrung = Energie”).
In den Horden gab es weder Bedarf an tiefen Hierarchien, noch einen an ausgeprägter Sittlichkeit oder über die Biologie hinausgehenden Geschlechterrollen – noch war es es sinnvoll Vermögen zu bilden (das Horten von Essbarem war mangels Kühlschrank eine spezielle Herausforderung).
Es wurde auch nichts “gearbeitet”. Man jagte, sobald und so lange die Umstände Erfolg versprachen. Wer (schwer) krank wurde, blieb zurück. Konflikte wurden mit der Keule geregelt.
Diese (anatomisch) modernen Menschen nahmen pro Tag durchschnittlich 5.000 Kilokalorien zu sich – rein statistisch, versteht sich.
Wenn ihnen längere Zeit keine Mammuts über den Weg liefen, war Schluss – erst für die schwächeren Gruppenmitglieder, danach für die ganze Horde.
Das änderte sich in der Jungsteinzeit, als die Leute nach und nach sesshaft wurden. Sie ließen sich als Bauern nieder und begannen, Felder zu bestellen und Nutztiere zu halten – allgemein gesprochen: den lieben langen Tag zu “ackern”.
Das hatte Nachteile – massive Hierarchien, sipplichen und dörflichen Gruppendruck, sexuelle Unterdrückung und Unfreiheit bis zur Sklaverei -, aber mindestens einen großen Vorteil, der sich alsbald in mehr Nachkommen und höherer Bevölkerungsdichte niederschlug:
Die Ernährung (Kalorienzufuhr) wurde deutlich besser und etwas weniger zufallsabhängig (man könnte das mit diesem Blogger als “erste Karbon-Revolution” bezeichnen, siehe hier und hier).
Die energy capture belief sich unter diesen Umständen auf plus/minus 30.000 kcal pro Kopf und Tag, abhängig von den konkreten Gegebenheiten.
Nach 10.000 Jahren war zunächst in Westeuropa mit Agraria Schluss und die Epoche Industria brach an, das Fossile Zeitalter.
Die pro Person täglich aufgenommene/angeeignete Energie schnellte (im Westen) auf 230.000 Kilokalorien hoch (inklusive non food-Kalorien wie Transporttreibstoffe – siehe Fig. 4.1.)
Dieser plötzliche Energiereichtum führte zu einer erneuten Umwertung der sozialen Werte: hin zu mehr Individualismus, Freiheit und Gleichheit wie in den Jäger und Sammlergesellschaften – aber viel “demokratischer” und gewaltloser als diese (zumindest nach innen).
Die Überlegungen klingen einigermaßen nach “Sein bestimmt das Bewusstsein” und “Unterbau – Überbau” – und es ist eine besondere Ironie, wenn derlei aus dem Mund eines bekennenden Freundes von Marktwirtschaft und Kapitalismus kommt, wie Morris einer ist (es ist auch pikant, wenn die schroffste Ablehnung von Leuten kommt, die bei jeder Gelegenheit marxisteln, gleichzeitig aber einen religiös oder quasireligiös begründeten Universalismus geltend machen).
G’spassig ist freilich auch der Kontrapunkt, mit dem Morris seine aufschlussreiche Kurzfassung der Energiegeschichte ausklingen lässt.
Im Subkapitel Quo vadis spekuliert er, dass sich im 21. Jahrhundert der exponentielle Anstieg der zivilisatorischen Entwicklung der vorangegangenen Jahrhunderte fortsetzen könnte, und das wiederum
implies energy capture leaping from 230,000 kilocalories per person per day (kcal/cap/day) to more than a million”.
Was dafür spricht, dass nach dem Ende des Fossilen Zeitalters solches stattfinden kann, verrät Morris nicht (Kernfusion?) – er tut lediglich etwas für Wissenschafter Stinknormales: eine bereits exponentielle Kurve über weitere hundert Jahre in die Zukunft verlängern.
Aber vielleicht kommt ja alles ganz anders und die zivilisatorische Entwicklung entkoppelt sich radikal von der Energiezufuhr.
Oder die Grundgesamtheit ändert sich deutlich und bezieht sich nicht mehr auf 7,5 Milliarden, sondern 750 Millionen Menschen.
Dann könnte Morris Zukunfts-Projektion womöglich wieder stimmen.
Zusätzliche Literatur: Vaclav Smil, Energy and Civilization. A History. 2017
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.