Der kollektive Westen und der kollektive Osten schenken sich auch im Informationskrieg nichts und lassen speziell in Sachen Erdgas jede Menge Kriegspropaganda auf arglose Medienkonsumenten nieder prasseln. Teile der (Wirtschafts-)Presse, aber auch private und (semi)staatliche Multis und Verwaltungen spielen die Rolle von Propaganda-Tröten, denen man im jeweiligen Publikumssegment blindlings glaubt. Der folgende Text beschäftigt sich a) mit der Lieblings-Propadandalüge des Westens sowie b) und c) mit zentralen Topoi der Erdgas-Propaganda Russlands und Chinas.
Vorbemerkung: Leute wie dieser Blogger werden manchmal als ignorante Klugscheißer gesehen, obwohl diese Bezeichnung eher auf jene Kritiker passen würde, die sich nicht der Mühe unterziehen, statistischen Angaben quellenkritisch nach zu gehen und/oder primitive Umrechnungen vorzunehmen.
Das ist mir an sich ziemlich schnurz. Jede(r) soll glauben, was er (sie) mag, so lange für derlei Glaubenssysteme nicht z.B. göttliche Eingebung oder Wissenschaft beansprucht wird.
Diesem Bloggger genügt das (Selbst)Bewusstsein seiner lebenslangen Expertise in Grundrechnungsarten. Ich muss halt damit leben, dass sich diese trotz jahrzehntelanger Praxis immer wieder als fehleranfällig erweist.
Das Um und Auf jedes westlichen bzw. westeuropäischen Narrativs zum Thema Fossilbrennstoffe aus Russland bzw. der GUS und westliche (westeuropäische) Selbstmordsanktionen gegen dieses ist die Versicherung,
dass die Lücke durch den Ausfall von russischem Öl & Erdgas ohnedies durch andere Quellen wie z.B. LNG gefüllt werden könne.
Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit Mumpitz,
was z.B. durch den vergangene Woche veröffentlichten LNG Outlook 2023 von Shell gezeigt wird. Laut den Daten, die Shell von einem außerhalb der Fachöffentlichkeit unbekannten Info-Dienst übernommen hat,
hat Europa inkl UK im vergangenen Jahr 121 Mio. Tonnen (bereits regasifiziertes) LNG importiert, was nach einer Multiplikation dieses Bloggers knapp 170 Mrd. m3 entspricht
- was wiederum ein Plus von 59% ausmachen soll. Die Ausgangszahlen 2021 decken sich – ev. mit einer kleinen Abweichung – mit jenen, die BP Mitte ’22 zum Jahr 2021 publiziert hat.
Während ich mir erspare, dieser womöglich gar nicht wirklich existenten Differenz nachzugehen, erlaube ich mir,
voreilig festzustellen, dass die größte Differenz zwischen den Shell- und den BP-Zahlen wohl darin besteht, dass Shell die selben Werte in Millionen Tonnen und BP diese in Milliarden Kubikmetern angibt.
Der langen Rede kurzer Sinn: Europa, also die EU+, hat 2022 etwa 60 Mrd. m3 mehr LNG importiert, wovon zwei Drittel aus den USA gekommen sind.
Das reicht in der Interpretation von Shell aus, um den Lieferausfall der RF wettzumachen (“offset”),
was dieser Blogger zu bezweifeln wagt, denn immerhin haben die Russen im letzten Jahr vor dem Ukrainekrieg 167 Mrd. m3 Erdgas nach Europa geliefert.
Kleines Apropos: Shell hat damit die auf EIA-Zahlen III – XI basierenden, hier angestellten Kalkulationen dieses Bloggers “bestätigt und präzisiert”.
Die aktuellen Shell-Zahlen sind vmtl. genauer (weil von Wood MacKenzie übernommen). Die Amis haben 2022 demnach um 8 Prozent mehr LNG exportiert, aber 70 Prozent davon nach “Europe” (statt wie im Jahr davor nur 33 Prozent).
Kleines Apropos II: Norwegen hat vergangenes Jahr via Pipeline um heiße 3,3% mehr geliefert, was man in diesem Zusammenhang als “homöopathische Dosis” bezeichnen könnte.
Dieser Blogger, der vor einem halben Jahr noch geschlussfolgert hat, dass Norwegen hinter dem mysteriösen Auftrieb der AGSI-Storagewerte stehen müsse, sieht sich heute in dieser Hinsicht Lügen gestraft.
Ich bin zerknirscht.
Russland & die PRC
Nun zu den Russen.
Russophile Kommentatoren bestehen noch immer drauf, dass die RF ihre märchenhaft unerschöpflichen Gasreserven ja an China verkaufen könne.
Das kann man eigentlich nur mit der Bemerkung quittieren, dass W. Putin in diesem Fall sein Gas im Küberl nach Peking tragen müsste
(um M. Draghi nachzueifern, der immerhin über’s Mittelmeer schwimmen müsste).
Im Ernst: Russland hat im vergangenen Jahr über die “Power of Siberia” 22 Mrd m3 ans Reich der Mitte geliefert und seine LNG-Lieferungen waren noch viel marginaler.
Nun kann das Russengas im Lauf der Jahre durchaus mehr werden,
aber wenn in Jakutien nicht radikal mehr Gas gefunden und entwickelt
sowie rasch die entsprechende Infrastruktur gebaut wird, wird der RF-Gas-Export nach China in absehbarer Zeit nicht um die suggerierten Größenordnungen ansteigen und nicht einmal annähernd an bisherige europäische Dimensionen anschließen können.
Nochmals zur Erinnerung: Die RF hat 2021 via Pipeline 167 Mrd. m3 in die “EU+” geliefert. Wenn überhaupt, tut sich da vor dem Neubau einer laaangen Pipeline aus Westsibirien/Jamal nicht besonders viel.
Bis dahin muss Putin halt mit dem Küberl gehen.
Und was China betrifft, so plustern sich dessen Bürokraten jetzt immer wieder wegen der vielen abgeschlossenen langfristigen Verträge und der geplanten LNG-Kapazitäten auf, die demnächst entstehen sollen.
Es ist mir jetzt zu blöd, die Links zu all diesen Angebereien hervorzukramen, aber Platts/S&P Global Commodity Insights wären vielleicht ein guter Start.
Kurz geasagt: China hat 2022 erstmals seit Menschengedenken etwas weniger Erdgas verbraucht als im Jahr davor (etwa 360 Mrd. m3) und der LNG-Output soll laut der mutmaßlichen westlichen Propaganda-Tröte Shell sogar um 19 Prozent gefallen sein (was wahrscheinlich “gut gerechnet” ist).
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