Athen und die illiberale Demokratie

IMAG0594baAls Ungarns Ministerpräsident begann über illiberale Demokratie zu schwadronieren, begrüßte ihn (ausgerechnet) EU-Chefkommissar Juncker mit “Hallo Diktator”. Der Mainstream klopfte sich auf die Schenkel und feixte, es gäbe ja gar keine illiberale Demokratie. Bald danach wurde erinnert, dass das Urbild der Volksherrschaft, die “klassische Athener Polis”, eine illiberale Demokratie gewesen sei und argumentiert, Liberalismus und Demokrate müssten getrennt werden um Zweiterer das Überleben zu ermöglichen. NB: Persönliche Worte zur liberalen Demokratie. NB II: Mehr Grübeleien zur “Liberalität”.

Das geschah in Form eines 2016, zwei Wochen vor dem Wahlsieg Donald Trumps erstmals erschienenen Buchs von Stanford-Althistoriker Josiah Ober, der als der Experte für das klassische Griechenland gilt.

Ober versucht in seinem Demopolis die Erfahrungen des vierten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts ihrer historischen Zufälligkeiten zu entkleiden und daraus eine politische Kategorie zu destillieren, die unter unterschiedlichen historischen Umständen unterscheidlich mit Leben erfüllt werden kann.

Es ist das Konzept einer Kerndemokratie (“basic democracy”), die die gemeinsame Grundlage nicht-tyrannischer Rgierungsformen werden kann, illiberaler und liberaler.

Diese Kerndemokratie wäre einer Fahrzeug-Plattform ähnlich, auf die Autokonzerne unterschiedlichste Modelle aufsetzen können.

Denn: Demokratie ist nicht gleich liberale Demokratie, in jedem Fall aber die Antithese zu Autokratie und Willkür einzelner (weniger).

Daher ist es nicht zulässig, illiberale Demokratie mit Despotie gleichzusetzen.

Daher wäre es vergleichbar seriös (und höflich), würde Orban den Ober-Kommissar Juncker künftig mit “Schnapsnase” begrüßen, natürlich vor laufenden Kameras.

Denn wenn Orbán ein Diktator ist, ist Juncker allemal ein Alkoholiker.

Demokratie und Exklusion

Selbstregierung des Volks, Sicherheit, Prosperität und staatsbürgerliche Würde (civic dignity) sind die Überschriften, die laut Ober über der Kerndemokratie stehen müssen, will diese über einen längeren Zeitraum Bestand haben.

Jedenfalls sei die antike Urform der Demopolis eine Isonomie/Demokratie gewesen, die aus einer “Revolution” gegen eine von außen (Sparta) gestützte Oligarchie entstanden ist (508 BC) – darauf beharrt Ober mit seinem ganzen, über 30 Jahre angesammelten “Expertentum”.

Ungeachtet der Sklaven und Frauen, die keine Bürgerinnen waren.

Das alte Athen aber war auch keine Tyrannei der Mehrheit und seine Bürger hatten Redefreiheit, erläutert der Historiker (obgleich deren Ausübung unter widrigen Umständen tödlich enden konnte – Sokrates).

Der Professor spricht es nicht in Kurzform aus (weil er eben kein heutiger Sokrates sein will) – aber er lässt es durchklingen: Demokratie könne auf Exklusion beruhen (was, wie dieser Blogger meint, zwingend der Fall  ist).

Den Ausschluss von Frauen vom Bürgerrecht könne in entwickelten Staaten heute niemand wollen, meint er (was im übrigen “epistemisch nachteilig” wäre und die Konkurrenzfähigkeit reiner Männer-Staaten möglicherweise verringern würde).

Auch Sklaverei sei kein Thema mehr, denn den “Part” der Sklaven erfüllten heute Maschinen (Ober argumentiert hier auf Basis des “fossilen Energiereichtums” des 20. Jahrhundert, der gerade im Begriff ist zu verschwinden).

“Open borders” und “globale Verteilungsgerechtigkeit” (vulgo “globale Umverteilung”) vertrage sich freilich nicht mit “seiner” Demopolis, meint der Autor auf S. 168/169:

Demopolis is a state, in what I take to be the conventional sense of the term. It is not a suitable foundation of any version of cosmopolitan liberal order, that regards state-based restrictions on immigration and rights of citizenship as inherently illegitimate (…) Moreover, given that prosperity is among the ends for which Demopolis exists, it will not answer the demands of global justice theorists, who require ‘down-leveling’ weatlth transfers from wealthy to impoverished countries, such that all persons of the world end up at roghly the same, relatively low (by the current standards of developed countries), state of material existence.” 

Gegen den übergeschnappten Liberalismus

Damit hat Ober die von ihm selbst gestellte “So what”-Frage (161) indirekt beantwortet.

Nichtliberale Demokratie auf Basis von Demopolis taugt z.B. für konservative Muslime, die ein Gemeinwesen ohne Wertneutralität und den Islam als Staatsreligion haben wollen – aber ohne Autokraten, die sie entwürdigen und infantilisieren würden (was gegen die civic dignity ist).

Aber nicht nur.

Sie ist auch für “Westler” gut, die vielleicht nicht unbedingt das Christentum als Staatsreligion zurück wollen, die aber vom “übergeschnappten Liberalismus” ihrer Eliten die Nase voll haben.

Einem “Liberalismus”, der im Namen der Menschenrechte die Rechte ihrer eigenen Bürger aushöhlt, deren Identität untergräbt und der in letzter Konsequenz zur Abschaffung der Demokratie/Volkssouveränität in den Nationalstaaten und zu weltweiter Umverteilung führt.

Was die EU-Kommission und deren Helfeshelfer in den Ländern der Union aufführen, ist nur ein Vorgeschmack davon (sagt nicht Josiah Ober, sondern dieser Blogger, wohlgemerkt).

Der Diebstahl, den sie bei den ethno-kulturellen Identitäten der europäischen Völker begeht, wird durch eine gezielte Umverteilung von Ressourcen/Vermögen weg von den Europäern “ergänzt”.

Das wurde früher nur ab und zu offen ausgesprochen, etwa vom deutschen Ökonomen und IPCC-Funktionsträger Ottmar Edenhofer (“Klimapolitik verteilt das Weltvermögen neu”). 

Heute, wo geglaubt wird, die Sache zumindest in Europa im Sack zu haben, wird weniger g’schamig agiert.

Da erscheint z.B. eine Studie in Nature, die von “unverdächtiger Seite” folgendermaßen zusammengefasst wird.

climate depot_screenshot
Screenshot Climate Depot

Wobei es gar nicht um Wachstum bzw. Degrowth an sich geht, sondern zuallererst um eine verdeckte, im Mantel von Klimapolitik erfolgende globale redstribution von Wachstumsressourcen (das läuft bereits seit geraumer Zeit wie z.B. hier thematisiert wird)

Das kann im Zeitalter des Freihandels freilich nicht offen gemacht werden und muss über einen proxy geschehen – nämlich über die CO2-Emissionen bzw. deren Beschränkung.

Brüssel und das “Polit-Gesindel” in den Mitgliedsstaaten, stehen bereit, besonders skrupellos zu Lasten ihrer eigenen Leute zu handeln;

unilateral und ohne dass darauf Bedacht genommen würde, ob den den europäischen Völkern oktroyierten Verzichtsleistungen etwas gegenübersteht; ob also beispielsweise China und andere Schwellenländer zum globalen Ziel der CO2-Reduktion beitragen.

Das tun diese nicht, wie beispielsweise in diesem oder diesem Posting gezeigt wird.

Die EU, die nicht einmal mehr 10 Prozent des weltweiten CO2 ausstößt, wird nach dem “Ausscheiden” der USA der einzige große Block sein, der sich zu überprüfbaren Emissionskürzungen verpflichtet hat.

Zu den Europäern kommen noch ein paar größere G-7 -(oder OECD-)Länder, die in Paris harte Verpflichtungen eingegangen sind – die zusammen mit der EU aber nicht mehr als 16 bis 19 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes “auf die Waage bringen”.

Josiah Ober, Demopolis. Democracy Before Liberalism ind Theory and Practice. 2017

Das Buch ist mittlerweile auch auf Deutsch erschienen, siehe z.B. hier.

Josiah Ober, Meritocratic and civic dignity in Graeco-Roman antiquity. S. 53 – 63. In: Marcus Düwell, Jens Braarsvig, Roger Brownsword, Dietmar Mieth, The Cambridge Handbook of Human Dignity. InterdisciplinaryPerspectives. 2014

Josiah Ober, The Trial of Socrates as a Political Trial. S. 65 – 87. In: Jens Meierhenrich, Devin O. Pendas, Political Trials. Interdiscipinary Perspectives. Cambridge 2016

Nachbemerkung, 7.2.2018, 19.15 Uhr: Ich persönlich bin ein Anhänger der liberalen Demokratie und würde diese wählen, könnte ich das – und gäbe es Hoffnung drauf, dass z.B. diverse theoretische Kontrollmechanismen von den checks & balances der drei Staatsgewalten und deren Kontrolle durch die “vierte Gewalt” (Medien) einigermaßen funktionieren.

Tun sie heute aber nicht wirklich (und die große Frage ist: Warum).

Interessanterweise entwickelt derselbe Staat, der sogenannten Flüchtlingen und ausländischen Mächten gegenüber einen “übergeschnappten Liberalismus” entwickelt (siehe oben) gegenüber “denen, die schon länger hier leben”, immer herrischere Attitüden

Das beginnt bei der Bespitzelung der eigenen Staatsbürger (“Vorratsdatenspeicherung”), geht über die Bekämpfung dessen, was früher “financial privacy” genannt wurde und zieht sich bis zum Einsatz von Finanzbehörden gegen “Querulanten & Aufmüpfige”.

In den USA war/ist der Einsatz des IRS gegen politisch unliebsame Unternehmer  ein großes Thema, für die hiesigen Medien, Schoßhündchen des politischen Establishments, ist es das nicht.

Material für das “Targeting” von politisch Auffälligen gäbe es auch hier genug.

Nachbemerkung, 8.2.2017, 10.00 Uhr: “Liberal” ist tatsächlich ein seltsamer Begriff.

Er wird hier und heute verwendet, um Einzelaspekte eines schuldengetriebenen Staatsgeld-(Staatswirtschafts-)Systems zu beschreiben oder Versuche, die realen Grundlagen einer Selbstregierung der Völker derartig grotesk auszuweiten, dass es ein Leichtes ist, die ganze Idee ad absurdum zu führen.

Oder um den Machtmissbrauch jener zu bemänteln, die sich die “westlichen Staaten” unter den Nagel gerissen haben.

Diese “Liberalität” ist weiter oben klarerweise nicht gemeint.

Die Liberalität, die ich meine, ist eine andere: z.B. die weitgehende Autonomie des Staatsbürger-Individuums (als Postulat der praktischen Vernunft) oder ein auf mehrfache Weise begrenzter Staat, unter anderem über Gewaltenteilung,

Das ist die Liberalität, die dem modernen Staatsbürger lieb und wert sein sollte. Eine Liberalität, die es vor 2.500 Jahren in Athen noch nicht gab (und die damals möglicherweise gar nicht gebraucht wurde).

Deswegen wäre heute eine liberale Demokratie vorzuziehen, nicht weil sie Tarnanzug für aktuelle Herrschaftsinteressen ist.

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.