Bellen zum Lügenbaron: “Wien schweigt zu unflätiger Kritik”

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Screenshot diepresse.com

Der österreichische Präsident verteidigt seinen Brüsseler Kollegen gegen angeblich unflätige Kritik – real gegen die Rücktrittsforderung eines Europa-Parlamentariers, der auch Politiker der FPÖ ist. Speziell stört den Hofburg-Amtierer, dass Wien, das gerade die “EU-Präsidentschaft” innehat, Jean-Claude J. nicht in Schutz nimmt. NB zu Breschnew und Jelzin.

Die Geschichte, die sich seit dem Anlassfall vergangene Woche entwickelt hat, hat mittlerweile nicht mehr besonders viel mit Juncker selbst zu tun.

Sie ist ein gutes (abschreckendes) Beispiel für die Mega-Dümmlichkeit geworden, die entsteht, wenn sich gute Gesinnung und offiziöse Dementi-Kultur paaren.

Ausgangspunkt war das YT-Video einer englischen Zeitung, das zeigt, dass der Kommissionspräsident im Vorfeld einer Veranstaltung Gleichgewichtsschwierigkeiten hatte und beim Stiegensteigen gestützt werden musste. Dieser Blogger hat das Filmchen hier eingebunden (“sturzbesoffen oder schwer krank?”).

Obwohl (zunächst) vom Mainstream eher ignoriert, erregten die Aufnahmen im Netz beträchtliche Aufmerksamkeit.

Brüssel sprach daraufhin von einem akuten Ischias-Krampf.

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, der für seine Partei im Europa-Parlament sitzt, forderte Juncker am vergangenen Wochenende jedenfalls zum Rücktritt auf.

Er argumentierte, dass Ischias-Patienten üblicherweise unter schweren Schmerzen litten und im Akutfall wohl kaum jene heiter-gelöste Miene zeigten, die Juncker zur Schau trug. Der Mann sei betrunken gewesen, mutmaßte Vilimsky.

Die Journos, die die seit Jahren kursierenden G’schichterln über den Schluckspecht Jean-Claude kennen, fragten daraufhin bei Wiener Ministern nach, die – auf derlei Fragen vorbereitet - organisiert schwiegen.

Die Außenministerin schwieg besonders laut indem sie erklärte, dass das “in keinster Weise ein Thema” sei und: “Ich kommentiere das einfach nicht.”

Das wiederum ärgerte Van der Bellen, der anscheinend die Meinung vertritt, dass die EU-Ratspräsidentschaft verpflichtet wäre, sich hinter ein völlig unglaubwürdiges “Dementi” der Kommissionspräsidentschaft zu stellen (und dabei ohne Not ein weiteres, diesmal eigenes unglaubwürdiges Dementi abzusondern).

Im “Interview mit den VN” (es ist übrigens ein und dasselbe für alle Bundesländerzeitungen inkl. Presse) wertet AvdB Vilimskys Aussagen vom Wochenende als “unflätig” und erregt sich, dass Kurz, Strache & Co. Juncker nicht verteidigt hätten.

Unsere “seriösen” Schoßhündchen-Journos, die seit Tagen einen Witz nach dem anderen über die Sache reißen, ließen die Bewertung AvdBs unkommentiert stehen und taten, als würde in dem AvdB-Interview irgendwie ernsthaft Bedenkenswertes geäußert.

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Nun wäre Bellen ja noch zu verstehen, wenn sich Vilimsky tatsächlich abfällig über einen leidenden Menschen geäußert hätte – was aber nicht der Fall war. Vilimsky entlarvte die offizielle Erklärung eines nicht wegzudiskutierenden Umstands als unglaubwürdig und spekulierte, Juncker sei betrunken gewesen.

Das hier verwendete Wort Spekulation ist insoferne zu relativieren, als es wenigstens ein halbes Dutzend Filmaufnahmen von Juncker gibt, die die Vilimsky-Erklärung ziemlich plausibel machen.

Noch beweiskräftiger wäre nur ein Aufnahmezeugnis für die Kalksburger Suchtklinik.

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Nun befindet man sich an dieser Stelle gerade in Österreich auf extrem rutschigem Treibsand.

“Böse, aber sachkundige Zungen” gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der hiesigen “politischen Elite” das von Vilimsky angesprochene “Problem” hat, unter den älteren Männern liegt der Anteil um einiges höher.

Das Problem bedeutet auch nicht zwingend, dass die Betroffenen ihren Job “schlecht machen” würden. Ein ehemaliger Finanzminister ist glaubwüßrdigen Anekdoten zufolge erst nach zwei, drei Vierterln “zur Höchstform aufgelaufen”.

Das wissen die Journos natürlich, schreiben es aber nicht – ebensowenig wie über diverse “sexuelle Fehltritte” der politischen Klasse (im Regelfall).

Und natürlich sind auch viele IPO-Journos einem guten Schluck und einer schnellen (und schnell beendeten) Affäre nicht abgeneigt.

Es drängt sich bei einem solchen Thema aber automatisch akuter Heuchel-Verdacht auf – und das ist eigentlich ein guter Grund, nicht auf Junckers mutmaßlichem Alkoholismus herumzuhacken.

Das ist eine Sache.

Eine andere Sache ist freilich der offenkundige Versuch, einem Potjemkinschen Dorf, einer reinen PR-Fassade möglichst viel Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Nachbemerkung, 18. Juli, 10.15 Uhr: Dieser Blogger hat das Daily Mail-Video von vor der NATO-Gala unter “Breschnjuncker und die Politicos” eingebunden – und das war keine besonders glückliche Titelgebung.

Sie war von einer fast vierzigjährigen Erinnerung gespeist, einer Fernsehaufnahme, in der die physisch noch lebende Hülle des KPdSU-Generalsekretärs Leonid B. auf eine Kreml-Ballustrade geschoben wurde – ein starkes visuelles Symbol für  “angebliche Entscheider im Vordergrund und wirkliche Entscheider im Hintergrund”, etc.

Die passendere historische Analogie wäre freilich der späte Boris Jelzin gewesen.

Unabhängiger Journalist

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