Der heute 78jährige italienische Philosoph Giorgo Agamben hat vor 15 Jahren “Ausnahmezustand” geschrieben, das aus heutiger Sicht ziemlich klarsichtig anmutet. Ohne den Begriff “Epidemie” auch nur ein einziges Mal fallen zu lassen, wird ein (Un)Rechtszustand analysiert, in dem eine von einer Krise ermächtigte Regierung verfassungsmäßig verbürgte Bürgerrechte suspendiert. Agambens Analyse rekurriert u.a. auf 1933, als Hitler nach dem Reichstagsbrand begann, per Dekret zu regieren (ohne die Weimarer Verfassung anzutasten).
In Wahrheit “greift Agamben viel breiter zurück”, indem er zeigt, welch unterschiedliche Formen und Namen der europäische Ausnahmezustand angenommen hat (Belagerungszustand, Notstand, Kriegsrecht, etc.)
Nicht Hitler hat diesen freilich “erfunden”,
er kam (in der Neuzeit) erstmals zustande, nachdem von Aufklärung und Französischer Revolution Gewaltenteilung, Bürgerschaft und “Rechtsstaat” grundgelegt worden waren
(davor existierte, bis zurück in die römische Zeit, nichts davon – nicht einmal etwas Ähnliches).
Geburtsjahr des ersten modernen Ausnahmezustands war 1794, als sich im Ersten Koalitionskrieg das Direktorium des revolutionären Frankreich (selbst) das Recht gab, über vom Feind bedrohte Festungen den Belagerungszustand zu verhängen.
In Verfassungen aus der Napoleonischen Zeit verwandelte sich das
ins Recht des jeweiligen Souveräns, gewissermaßen mit allen Mitteln für die Sicherheit des Staats und die Ausführung der Gesetze zu sorgen.
Auf diese Art ging’s fast überall weiter, speziell in Großen Kriegen wie schon 1914 – 1918, als in den Kriegswirtschaften die Produktion praktisch aller Staaten per Ukas organisiert wurde.
Auch Hitlers chronischer Ausnahmezustand 1933 – 1945 war mitnichten eine “faschistische Anomalie” in einer ansonsten lupenrein parlamentarisch-demokratischen Welt,
in der Parlamente brav Gesetze machten und Regierungen diese brav exekutierten:
Notstand en masse gab’s schon im “demokratischen Weimar-Deutschland”:
Mit Ausnahme einer relativen Pause zwischen 1925 and 1929 haben die Regierungen der Republik, beginnend mit der Brünings, laufend den Artikel 48 (der Verfassung) genutzt, indem sie in mehr als 250 Fällen den Ausnahmezustand ausriefen oder Notstandsdekrete erließen.” (eigene Übersetzung)
Das war freilich beileibe nicht alles. Es ging und geht auch nicht allein um Deutschland, bei weitem nicht.
Ausnahmezustand als Mittel zeitgenössischer Politik
Stati di Eccezione finden seit 1945 auf der ganzen Welt in zuehmender Häufigkeit statt,
u.a. in Frankreich, Italien und den USA, dort speziell seit dem 11. September 2001.
Der Ausnahmezustand, erklärte Agamben bereits 17 Jahre vor dem heutigen Lockdown-Gegeifer sich demokratisch nennender politischer und medialer Eliten, sei mittlerweile zum
dominanten Paradigma zeitgenössischer Regierungen geworden. Die Verwandlung einer provisorischen und außergewöhnlichen Maßnahme in eine Regierungstechnik droht die traditionelle Unterscheidung zwischen den Verfassungs-Formen zu verändern; eigentlich ist das bereits geschehen.” (eigene Übersetzung)
Gesetze wie der Patriot Act in den USA hätten schon damals die Einrichtung von permanentem Kriegsrecht und nicht mehr weiter zu begründender Staatsgewalt bedeutet
- damals freilich “nur” für Personen, die man als enemy combatants klassifizierte, feindliche Krieger,
die per definitionem weder dem Völkerrecht (“Haager Landkriegsordnung”) unterliegen, noch den (relativen) Schutz beschuldigter US-Bürger genießen.
Mit “Corona” soll sich auch das ändern, zumindest wenn es nach dem sich demokratisch nennenden Polit-Gesindel und seinen Experten-Ideologen geht.
Justitium
Die Zukunft, glauben diese übel meinenden Polizisten-Kerkerneister, bestünde in “Tracing Apps”, Zwangsimpfungen und der Abschaffung des Hausrechts.
Den antiken Archetypus moderner Notstandsregime spürt Agamben im Rechtszustand (?) des Justitiums auf,
das etwas völlig anderes war als das vielleicht ähnlich aussehende, zeitlich begrenzte Institut der konsularischen Diktatur.
Das sprachlich dem Solistitium nachgebildete Justitium könnte man mit “Gerichtsferien” übersetzen,
aber das ist nur ein leicht in die Irre führender Einzelaspekt.
Es geht, wie Agamben erläutert, um nichts weniger als die “Ruhendstellung” des Rechts bzw. die Suspendierung von dessen Anwendung,
sodass die Magistrate bzw. deren “private Nachahmer” tun und lassen konnten, wozu sie die Mittel hatten – ohne belangbar zu sein.
Im Extremfall wurden unliebsame und aufmüpfige Politicos und Bürger einfach liquidiert,
ohne dass Bestrafung zu befürchten stand, denn die Lex, die das verbot, war aktuell ja unbeachtlich
(Frauen, Sklaven und Nicht-Bürger waren rechtlich sowieso kaum geschützt, schon immer).
Wie in einer Kurvendiskussion stellt das Justitium sozusagen den Extremwert der republikanischen Rechtsordnung dar.
Es wurde mit einem speziellen Dekret des Senats grundgelegt, vom Magistrat aber selbst proklamiert.
Freilich musste dem eine weitere senatorische Verordnung voran gehen, die den tumultus erklärte,
eine öffentliche Aufruhr, beispielsweise wg. einer größeren militärischen Niederlage, die Schlimmes auch für die einfachen Menschen befürchten ließ
(die Bürger der späten Republik waren um ein Eck weniger gutgläubig als die heutigen nanny state citizens).
Das war das “template” für den Notstand in Rom, vergleichbar mit jenem Ausnahmezustand, den die heutigen Viridioten & Coronoiker pushen, was das Zeug hält.
Agamben, der als angehender Achtziger selbst Angehöriger wenigstens einer “Risikogruppe” ist,
erklärte Ende Februar, dass das gerade in die Gänge kommende Corona-Pillepalle eine “erfundene Epidemie” sei, womit er (bisher) inhaltlich recht hatte
- technisch aber nicht.
“Erfundene Epidemie”
Technisch liegt er schon deshalb falsch, weil die sogenannte Weltgesundheitsorgasnisation sagt, dass es sich sogar um eine Pandemie handle, also eine internationale Epidemie
und die WHO hat bekanntlich die Definitionsmacht.
Agamben lag auch deshalb falsch, weil natürlich eine Epidemie im Stil bisheriger grippeähnlicher Krankheiten stattgefunden hat,
worauf auch die erhöhten Sterbezahlen in der Lombardei im März und April 2020 hindeuten, siehe hier.
Mediziner mögen nun diskutieren, in welchem Ausmaß die erhöhte Mortalität tatsächlich auf das Virus zurückgeht und wie sich das mit den rezenteren “Grippe-Epidemien” in Italien vergleicht,
die nach einer 2019 erschienen Studie 17.500 Tote pro Grippesaison forderten, in ganz Italien (aus dem Kopf, hab ich in irgendeinem Eintrag verlinkt).
Die “erfundene Epidemie” war also durchaus real
- aber “Lichtjahre” von jenem virtuellen Seuchengeschehen entfernt, mit dem heute die Zerstörung der Realwirtschaft mit bürokratischen Mitteln gerechtfertigt wird.
Agamben, den man in früheren Jahren mit Pseudo-Aufmerksamkeit überhäufte (ohne ihm zuzuhören),
starrt heute in das brennende Haus unserer “Zivilisation, einer Barbarei”, eine glosende Brandruine.
Die sg. Öffentlichkeit hat bisher noch nicht einmal wahrgenommen, dass es überhaupt brennt.
Che una civiltà – una barbarie – sprofondi per non più risollevarsi, questo è già avvenuto e gli storici sono abituati a segnare e datare cesure e naufragi. Ma come testimoniare di un mondo che va in rovina con gli occhi bendati e il viso coperto, di una repubblica che crolla senza lucidità né fierezza, in abiezione e paura? La cecità è tanto più disperata, perché i naufraghi pretendono di governare il proprio naufragio, giurano che tutto può essere tenuto tecnicamente sotto controllo, che non c’è bisogno né di un nuovo dio né di un nuovo cielo – soltanto di divieti, di esperti e di medici. Panico e furfanteria.” Giorgo Agamben, Quando la casa brucia
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