Der Griechenland-Fahrplan der EU

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Graue Eminenz beim Doorstep

Die AfD beklagt sich, der deutsche Finanzminister lasse die Steuerzahler über die Haftungen für die Griechen-Schulden im Dunkeln. Die Geschichte liegt freilich offen am Tisch. Im August 2018 werden die Euroländer in großem Maßstab Griechen-Schulden erlassen – während Hellas selbst “an die Kreditmärkte zurückkehrt”. Das macht ein in Österreich ausgestrahltes Interview mit dem Vorsitzenden der Euro-Arbeitsgruppe klar. NB über den Ausschluss künftiger Haarschnitte.

Das im ORF-Mittagsjournal gesendete Gespräch mit Thomas Wieser findet sich hier.

Wieser, ein aus Wien stammender Beamter, ist so etwas wie der sachlich beschlagene Geschäftsführer für die Gang der Euro-Finanzminister (die nur in Ausnahmefällen kompetent sind).

Es ist auf alle Fälle ein seltenes Ereignis, dass Wieser grünes Licht für ein Interview erhält.

Was er sagt, ist eigentlich kein Geheimnis – obwohl die Informationsfetzen, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt, über den Zeitraum eines Jahres und Dutzende – meist “unbestätigte” – Medienberichte in unterschiedlichen Sprachen verstreut sind.

Die Gesamtinformation ist sozusagen kompartmentalisiert. Der ganze “Fahrplan der EU zur Beendigung der Griechenland-Krise” war daher ein faktisches Geheimnis, bisher.

In Grundzügen soll Geschichte so gehen:

Die Euro-Staaten haben bei (vor) der Gewährung des Dritten Rettungspakets im Sommer 2016 Griechenland eine genau spezifizierte “mittelfristige Schuldenstreichung” zugesagt (wobei es sachlich letztlich ziemlich egal ist, in welcher Form diese vorgenommen wird).

Diese “Erleichterungen” sollen im August 2018, nach dem Ende des Dritten Pakets vorgenommen werden. Letzteres stellt bis dahin sicher, dass Athen genügend Mittel hat, um seinen Tilgungs- und Zinszahlungen nachzukommen (“Konkursverschleppung”).

Der Währungsfonds und die Deutschen

Der IWF, der schon lange darauf drängt, dass die “Euros” den Griechen deren Schulden möglichst rasch und vollständig erlassen (was ihn selbst ja nicht treffen würde; er ist ja immer Vorrang-Gläubiger) wollte als Vorbedingung für die Freigabe der jüngsten 8,5 Millarden-Tranche schon jetzt die Vereinbarung, dass 2018 Schuldenstreichungen “in außerordentlich großem Umfang” erfolgen.

Die griechische Regierung unterstützte diesen Vorstoß naturgemäß enthusiastisch – für Mutti & den Rollstuhlfahrer, die im September Bundestagswahlen schlagen müssen, wäre so etwas freilich viel zu früh gekommen.

Merkel & Schäuble, die von Beginn weg persönlich für die hoffnungslosen Kreditvergaben verantwortlich waren, konnten das unmöglich akzeptieren.

Das wiederum wollte der Fonds lange nicht wahrhaben.

Er setzte auf den Umstand, dass Berlin die Teilnahme des IWF zur Bedingung erklärt hatte und meinte, damit einen Hebel gefunden zu haben um den deutschen Widerstand zu knacken.

Das war nicht (ganz) der Fall. Es wurde monatelang hin- und herverhandelt und schließlich ein Kompromiss erzielt.

Er lautete: der IWF nimmt formell (weiter) am Dritten Hilfsprogramm teil, nicht aber an den Auszahlungen der Kredittranchen.

Der Fonds will sich nachträglich erst dann beteiligen, wenn im August 2018 wirklich Schulden in außerordentlich großem Ausmaß erlassen werden (der IWF trat in denVerhandlungen für die sofortige Einstellung des Schuldendiensts bis ins Jahr 2060 ein).

Das freilich ist so gut wie garantiert – die Wahlen in den wichtigen EU-Ländern sind zu diesem Zeitpunkt nämlich geschlagen.

Das zweite Element der fabrizierten Genesungs-Story wird die Rückkehr des südosteuropäischen Landes an die Kapitalmärkte sein, die schrittweise ab Herbst 2017 eingeleitet wird.

Wieser tut gegenüber der Interviewerin so, als würde der künftige Sparkurs der griechischen Regierung etc. über den Erfolg der Kapitalaufnahme im sogenannten freien Markt entscheiden – aber das ist Larifari (was Wieser selbst wohl bewusst sein muss).

Im Wissen,

  • dass die Euro-Staaten/der ESM Hellas bei Bedarf auch in viertes Mal aus der Verlegenheit helfen würden,
  • dass die Eurozone mit der Entschuldung des Landes jetzt ernst macht, sowie
  • dass die neuen Hellas-Bonds in der “Nullzinsumgebung” (relativ) hohe Renditen versprechen, ist nicht schwer vorherzusagen, dass

sich die Platzierungen zu einem vollen Erfolg entwickeln werden.

Mit der “wirtschaftlichen Gesundung” der Volkswirtschaft oder des Staatsbudgets wird das rein gar nichts zu tun haben. Das sind vorhersehbare Effekte in einem “Finanzmarkt”, der weitgehend auf financial engineering beruht.

Übrigens: Die hier erzählte Geschichte ist fast völlig durch die Aussagen Wiesers gedeckt – mit Ausnahme der Passagen, die sich auf die deutschen Politicos beziehen.

Diese sind eine “Mutmaßung” dieses Bloggers – sie liegen für jeden politisch Denkenden  aber auf der Hand. Berlin steht bei einem Ausfall der ESM-Schulden für die bei weitem größe Kreditsumme gerade.

Wer ein plausibles Interesse geltend machen kann, dem stelle ich die selbst transkribierten Interviewpassagen gern zur Verfügung.

Bild: EU2016 SK [CC0], via Wikimedia Commons

Nachbemerkung, 19.6.2017, 12.30 Uhr: Ein Freund aus der Bankbranche macht geltend, dass die neu begebenen Hellas-Bonds von einem künftigen Schuldenschnitt nicht betroffen sein dürften. Das ist wohl richtig.

Beim geplanten Schuldenstreichkonzert der Euros geht es freilich um die alten Kredite, in denen Athen noch immer bis zur Halskrause steckt (180 Prozent des BIP).

Unabhängiger Journalist

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