Der Rechts-Popo-Aufstand gegen das “liberale Mimikry-Diktat”

Krastev_Holmes_Licht_erloschIvan Krastev und Stephen Holmes haben eine “Abrechnung” mit dem autoritären Populismus vorgelegt, in der Befürchtung, dass “Demokratie-Darstellern” wie Trump oder Putin die Zukunft gehöre. Rechtspopulisten entstammten nationalen Aufständen gegen eine universalistische liberale Weltordnung, die seit dem Ende der Sowjetunion als alternativlos gegolten hat. Die Autoren gehören dem Orden der Bagatellarier an, einer weltweit verbreiteten Bruderschaft, der es z.B. egal ist, wer wohin wandert (solange Universitäten und Institute pünktlich ihre Gagen überweisen).

Krastev ist ein aus Bulgarien stammender, heute in Wien lebender Autor und Holmes ein New Yorker Rechtsprofessor und Politologe.

Damit dürfte bei zwei der drei Großkapitel klar sein, wer federführend war – nämlich Krastev im Kapitel über Osteuropa (“Vom Geist der Nachahmung”) und Holmes beim Trump-Kapitel (“Nachahmung als Enteignung”).

Der Abschnitt dazwischen widmet sich Wladimir Putin.

Das Traktat beschäftigt sich mit derselben Epoche wie Bacevichs The Age of Illusions,

nämlich der “unipolaren Ära seit 1990″, die nach Meinung des Autorenduos erst Trump & die anderen Defekte der Gegenwart ermöglicht hat.

In dieser Epoche habe es für Vasallenstaaten einen Imitations-Imperativ gegeben, einen empfundenen Imitations-Imperativ,

der Eliten zunächst dazu veranlasst habe, sich einem postnationalen, säkulären und liberal-kapitalistischen Diktat zu unterwerfen. Gegen das werde jetzt aber rebelliert,

- von Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, Donald Trump, Wladimir Putin und irgendwie auch Xi Jinping um ein paar Namen zu nennen.

Es sei ein Aufstand des antiliberalen Nationalismus, der antiimmigrantischen Fremdenfeindlichkeit und des reaktionären Nativismus.

Das Zeitalter der Nachahmer neige sich mit dem Aufstieg Chinas zum Hegemon aber dem Ende zu.

Die Volksrepublik sei bisher zwar auch ein chronischer Copycat gewesen, aber nur von Produkten, Sozialtechniken und Technologien, die Entwicklung & Prosperität brächten.

“Das Reich der Mitte” habe nie liberal und demokratisch wie der Westen sein wollen und derlei auch nie vorgeheuchelt – wie die Osteuropäer oder, zynisch-routinierter, die Russen.

China habe immer nur die Mittel, nicht aber die liberalen politischen Zwecke des Gesellschaftsmodells kopiert, das siegreich aus dem Kalten Krieg hervorgegangen sei … oder geborgt … oder geklaut…

Dem heutigen Peking sei Ideologie auch völlig egal und daher werde es peripheren Staaten nie Lektionen z.B. über die Organisierung ihres Staatswesens erteilen.

Wichtig sei immer nur, dass die Eliten des abhängigen Landes täten, was ihnen angeschafft werde.

Ansonsten würden sich die Chinesen in nichts einmischen (wie davor “der Westen”).    :mrgreen:

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Nun hat der Text von Krastev & Holmes zweifellos seine Meriten und ermöglicht unerwartete Einsichten.

Speziell Krastev weiß konkret, wovon der spricht, wenn er z.B. über die schwierige Normalisierung im postsowjetischen Osteuropa schreibt (“Normalisierung” wurde auch die repressivste Zeit nach dem Prager Frühling genannt),

über die Korruptions-Dilemmata und Heuchel-Erfordernisse osteuropäischer Geschäftsleute

oder den verwirrenden Umstand, dass im einst christlichen, kapitalistischen und nationalistischen Westen nun Internationalismus, Säkularismnus und Schwulenehe als normal betrachtet würden.

Vieles davon ist scharfsichtig und witzig.

Trotzdem bleibt, dass die Autoren Angehörige einer Art transnationalen Priesterkaste sind, die die Deutungshoheit für sich beansprucht, die sich aber nicht mehr auf das geoffenbarte Wort Gottes beruft;

sondern auf bessere Information & Einsicht, fortgeschrittene Werte und/oder einen (angeblichen) Gelehrtenkonsens (der oft bloßes Gruppendenken ist).

Zum Beispiel darauf, dass es moralisch böse sei auf ethnische Majoritäten Rücksicht zu nehmen, dass der US-Präsident lüge und dass die Liberalen wirklich liberal seien – im Sinn von Gewaltenteilung, Korruptionsaversion oder Anti-Polizeistatlichkeit etc.

Wirtschaftsliberal ist man in diesem Milieu sowieso nicht, weil so etwas wäre schon neoliberal.      :mrgreen:

Wie die Rechts-Popos ist der zeitgenössische Klerus natürlich auch gegen die Herrschaft des Markts,

obwohl die Imitats-Vorgabe nach 1991 kein echtes Diktat gewesen sein soll sondern nur ein angenommener bzw. empfundener Imperativ (“presumed”, “perceived”).

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Oder die Themen “Fremdenfeindlichkeit” und “Anti-Immigrationismus”.

Krastev weist gefühlt ein Dutzend Mal drauf hin, dass z.B. Orbán Migration für Zwecke der politischen Mobilisierung nutzt, obwohl es unter den Magyaren gar keine Einwanderer gebe, welche, die auch dort bleiben wollten.

Zweifellos zutreffend (wie dass Trump oft lügt).

Die meisten Migranten wollen freilich nicht in Ungarn bleiben, weil es anderswo mehr Willkommenskultur und bessere sozialstaatliche Angebote gibt (vielleicht sollten Krastev & Holmes das dazusagen).

Und was hätte Budapest tun sollen?

Die Grenzen aufmachen und um die Einwanderung Kulturfremder werben, nachdem arbeitsmarkt- und reproduktionsfähige junge Ungarn massenweise in den europäischen Westen gezogen waren?

Oder die (Anti-)Immigrationspolitik Donald Trumps. Der tut zumindest so, als wolle er die Einwanderung aus Mexiko unterbinden.

Das stört die liberalen Intellektuellen an Trump bis heute – war für viele Wähler 2016 aber a) neu und b) glaubwürdig;

nämlich US-Bürger, die es satt haben, dass an der Südgrenze die Einwanderungsgesetzgebung seit Jahrzehnten nicht mehr durchgesetzt wird.

Natürlich könnte man in einem langen Text irgendwo festhalten, dass seit 1975 12 Millionen Mexikaner in die USA migriert und auf mittlerweile 30 Millionen angewachsen sind und dass u.a. deshalb große Teile des US-amerikanischen Südens rehispanisiert wurden.

Aber was interessiert das einen New Yorker Rechtsprofessor, für den Donald Trump und der angeblich wegen ihm drohende Frankenstein-Staat die größere Gefahr sind?

Natürlich ist es eine interessante Perspektive, die Imitation des wirtschaftsliberalen US-Modells durch das Ausland als Enteignung der Amerikaner zu betrachten oder die Immigration aus dem Süden als Identitäts-Diebstahl (wie Trumpistas das angeblich sehen)

- aber warum bleibt letztlich der Eindruck übrig, dass es den Autoren eher darum geht, ein politisches Hühnchen zu rupfen als soziale Wirklichkeit zu strukturieren und erkennen?

Ivan Krastev, Stephen Holmes, Das Licht, das erlosch: Eine Abrechnung. 2019

Ivan Krastev, Stephen Holmes, The Light that Failed: A Reckoning. 2019

Unabhängiger Journalist

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