Der ungarische Premier Victor Orbán hat vergangene Woche in Wien ein neues Rechtsbündnis im EU-Parlament angekündigt, das bei Kritikern des ungarischen Regierungschefs für einen Flashback ins (sowieso nicht erlebte) Jahr 1913 sorgte. Natürlich kann man alles mit allem vergleichen, wenn man nur will, z.B. einen Maulwurfshügel mit dem Mount Everest. Aber dann sollte man sich wenigstens nicht solche Blößen geben wie der Autor des in der Axel Springer-Site politico.eu erschienenen “(The) Habsburg Empire strikes back”.
Der Zweck des Artikels scheint eine Art historisch fundierte Diffamierung des aktuellen Rats-Vorsitzenden zu sein, der sich mit seinen jüngsten Reisen zu Putin, Xi und Trump zusätzliche Feinde im EU-Establishment gemacht hat.
Fair enough.
Nur sollte man in einem solchen Fall einen Journo heranziehen, der imstande ist, zwischen Heilig-Römischem Reich, Kaiserreich Österreich und Doppelmonarchie zu unterscheiden
- was im vorliegenden Fall einigermaßen zweifelhaft ist (“all of the Habsburg’s Empires six-plus centuries of existence”).
Es wäre auch hilfreich, wenn der Autor nicht Anhänger eines “habsburgischen Mythos” der anderen Art wäre.
Glaubt man dem Artikel, hat Orbán im Juli ’24 in Wien eine Art Wiedergeburt von Franz Josef I gegeben, eine, die es künftig angeblich ermöglichen soll, dass Ungarn “top dog” von Österreich-Ungarn redivivus würde,
ungeachtet
- des Umstands, dass den “Patrioten für Europa” gleich einmal der Rassemblement National beigetreten ist, der auch den Fraktionsvorsitzenden stellt. Das wäre, als ob die zweite oder dritte französische Republik Abgeordnete ins Vielvölkerparlament der Doppelmonarchie entsandt hätte (ganz abgesehen davon, dass die französischen Könige über Jahrhunderte hinweg Rivalen mehr oder weniger deutscher Habsburger-Kaiser waren).
- Die Ankündigung der neuen Rechtsfraktion erfolgte auch nicht durch ein gekröntes Haupt, sondern durch den alles in allem “demokratisch legitimierten” ungarischen Regierungschef, flankiert von den – ebenfalls “demokratisch legitimierten” – Oppositionspolitikern Herbert Kickl (A) und Andrej Babis (CZ). Der natürlich auch “demokratisch legitimierte” slowakische Regierungschef Robert Fico war zwar nicht dabei, gratulierte aber.
- Der dritte Punkt, der hier angetönt werden soll, offenbart gleichzeitig die größte Schwäche des Artikels und seine – wohl einzige – Stärke: Wenn es eine “Traditionslinie” der in Wien versammelten (und “gratuliernden”) Politicos gibt, ist es jene “antihabsburgischer, nationalistischer Politiker”, wie sie auch im Parlament der Doppelmonarchie versammelt waren. Diese Kräfte machten dem “Habsburg Empire” schon lange vor 1918 den Garaus. Wenn hier also jemand “zurück geschlagen” hat, waren es die Nachfahren der damaligen Feinde des Habsburger-Reichs.
- Viertens – und das ist das sprichwörtliche gefundene Korn unseres blinden Autoren-Huhns – liegt der Schreiber richtig, wenn er fest stellt, dass a) Nationalismus und Supranationalismus schlecht zusammen gehen und b) Orbán und Fico “seltsame Bettgenossen” abgeben. Um das zu untermauern, müsste man weit, bis in die Zeiten zurück greifen, in denen ungarische Könige (und -innen) in Bratislava/Pressburg gekrönt wurden (oder meinethalben gegenwartsnäher bleiben, indem man fest stellt, dass im südlichen Saum der Slowakei immer noch an die 400.000 ethnische Ungarn leben, für die sich Budapest zuständig fühlt). Natürlich gibt es dazu auch einen echten slowakischen National-Populismus, den der angebliche Populist Fico, sowieso ein “Linker”, innenpolitisch erst einmal aushalten muss. Der Mann hat seine Rekonvaleszenz sicher als günstige Fügung des Schicksals angesehen, weil er deswegen nicht in Wien antanzen musste und es ausreichte, aus der nahen Ferne zu gratulieren.
Fico gratulierte eigentlich nur zur “Friedensinitiative” Orbàns, was jeder normale Mensch mit Ausnahme von ein paar hirnkranken Politicos und Journos unterschreiben könnte.
Es ist auch nicht so, dass Ungarn und Slowaken 1956 und 1968 vergessen hätten oder dass Orbán & Co. alte Komsomolzen oder bloß opportunistische Arschkriecher wären.
Aber Staaten wie Ungarn und die Slowakei müssen für zehn- und hunterttausende ukrainische Flüchtlinge sorgen, was ihnen teuer zu stehen kommt
und unter ihren Politikern scheint sich herumgesprochen zu haben, woher das Gas kommt, das jeweils für Raumwärme im Winter sorgt(e). Vielleicht sind diese Popos eigentlich nur Pragmatiker, die wissen, wo der Brotkorb…will sagen: die Wärmeflasche hängt (hing).
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