Die UnVereinigten Staaten und die Äquivalenz v. Trump & Lincoln

cover_resizedEin neu erschienenes Buch versucht den staatstragenden Einigkeits-Mythos der USA durch ein Meta-Narrativ traditioneller Zwietracht abzulösen – was historisch seine Meriten haben mag. Der Versuch, den bisher ins “rechte Eck gestellten” Sezessionismus auch für die Linke salonfähig zu machen, ist jedoch unverkennbar. Sollte Trump die Präsidentschaftswahlen vom 3. November gewinnen, könnte der Abfall von Kalifornien & Co. zu einer Handlungsoption für die Demokraten werden.

In der in Break it Up vorgenommenen Parallelisierung von Trump und Lincoln wird die politische Lichtgestalt von vor 150 Jahren natürlich nicht einfach mit dem Fleisch gewordenen Bösen von heute gleich gesetzt.

Es werden aber einige bemerkenswerte Parallelen serviert:

Beide wurden nur von einer Minderheit gewählt (im “popular vote”, sozusagen einer “Kür” abseits des traditionellen Wahlmännersystems) -

und an beiden Figuren scheiden und schieden sich die Geister wie an sonst keinen anderen Präsidenten (obwohl weder Lincoln noch Trump “ursächlich das Land geteilt” hätten).

Und natürlich repräsentieren beide die “Zentralgewalt” – der Gute nach 1861 und der Böse seit 2016.

Wie Abraham könnte sich auch Donald dem Abfall von Teilstaaten der Union gegenüber sehen, sollte er am 3. November 2020 die Wahlen gewinnen

- das zumindest ist der unüberhörbar drohende Subtext einer ansonsten über weite Strecken matter of fact-artig geschriebenen historischen Abhandlung.

Verfassung oder nicht Verfassung, das ist hier die Frage

Interessanterweise identifiziert Kreitner, ein progressiver Journo, die heute noch immer geltende Verfassung von 1789 tatsächlich als des Pudels Kern einer potenziellen Sezession und bestätigt damit an die Linke gerichtete Vorwürfe konservativer Unionisten.

Die (zweite) US-Verfassung sei ein fauler Kompromiss und habe das Überleben der Sklaverei bis zum Bürgerkrieg und die bis heute andauernde Diskriminierung Nicht-Weißer ermöglicht.

Der Autor nimmt den Begriff reparations für die Sklaverei zwar nicht in den Mund

- aber das ist, worauf er und seinesgleichen wohl hinauswollen.

Ausdrücklich erwähnt wird dagegen die Abschaffung

  • des Senats (“nutzloses Überbleibsel”, “aristokratisches Privileg bis heute”)
  • und des Electoral College, das “kleine konservative Staaten begünstigt”
  • sowie, etwas indirekter, das Vollstopfen (packing) des Supreme Court mit “progressiven Richtern”.

Das Repräsentantenhaus dagegen, meint Kreitner, müsse bei einer Verfassungsreform massiv erweitert werden,

Nur auf Basis einer fortschrittlichen Konstitution, für die wohl eine eigene Verfassung gebende Nationalversammlung nötig sei,

könnten sich alle Amerikaner wirklich vereinigen – nicht erneut, sondern zum ersten Mal im Vollsinn des Wortes.

Ansonsten müsste “man/frau”, müssten die nicht Privilegierten sich ernsthaft die Frage stellen: “Ist die Union uns diese Kompromisse wert?”

Spätestens seit 2016/17 hätten die demokratischen Westküstenstaaten Kalifornien, Oregon, Washington und der Binnernstaat Nevada mit dem Auszug aus der Union gespielt und irgendein Marketing-Fuzzi hat dafür den schönen Namen Cascadia in den Raum gestellt, ernsthaft oder nicht.

Der neue Westküsten-Staat würde sich jedenfalls um den bevölkerungsreichen Nettosteuerzahler CA gruppieren – aber bisher war dessen historische Stunde noch nicht gekommen.

Amerikanischer Separatismus

Allerdings scheint diesem Blogger die Meinung, ein entsprechendes Plebiszit und eine bloße einseitige Unabhängigkeitserklärung würden genügen, naiv zu sein.

Politisch-faktisch mag das zunächst hin reichen.

Aber:

  • Nicht nur, dass die “200 Jahre alten Regeln” besagen, dass für den Austritt eine Super-Mehrheit von drei Vierteln aller Bundesstaaten vonnöten ist.
  • Wichtiger ist wohl noch die Frage, inwieweit der austrittswillige Teilstaat “seine” Nationalgarde und Polizeikörperschaften kontrolliert bzw. wie stark diese sind;
  • und ob das bundesweit organisierte “professionelle” Militär einen solchen Vorgang tatenlos hinnehmen würde.

Speziell am dritten Punkt sind Zweifel erlaubt

- auch wenn das vom Autor gezeichnete Bild der historischen disunion wohl so falsch nicht ist.

(Letzteren Vorgang nennt man übrigens – geschieht das “wissenschaftlich genug” – “Geschichtsrevisionismus”. Dieser ist eine Triebfeder des Erkenntnisfortschritts und sollte aus mehreren Gründen, und prinzipiell schon gar nicht verboten werden).

***

Kreitner beginnt mit seiner Historie der amerikanischen Zwietracht tief in der Kolonialzeit.

Die Siedler hätten schon zu Zeiten der Glorious Revolution wenig miteinander zu tun haben wollen und hätten sich 100 Jahre später zum Unabhängigkeitskrieg von England auch nur zusammengefunden, weil ihnen der Verbleib unter englischer Herrschaft als das größere Übel erschienen sei.

Die heute gültige Verfassung sei nur unter dem Druck “populistischer Revolten und rechter Aufstände” (“sectional revolts”) zustande gekommen – was es ermöglicht habe, die Sklaverei bis in die 1860er aufrecht zu erhalten, in den Südstaaten.

Aber auch bis dahin hätten radikale Abolitionisten immer wieder mit dem Auszug aus dem Staatsverband gedroht.

Dann kamen der Bürgerkrieg und die sg. reconstruction, “die zweite Gründung”, die wie die erste “in einer Konterrevolution der Reichen und Mächtigen” geendet habe.

Daran haben nach Darstellung Kreitners weder die Bürgerrechtsbewegung des Martin Luther King noch die anti-segregationistische Gesetzgebung des Bundes viel geändert.

“Wie Gelehrte sagen” fand damals aber “ein neuer Bürgerkrieg” statt, der sich z.B.

  • in einer im Südosten geplanten Republik Neu-Afrika,
  • der projektierten Neugründung des Aztekenreichs in Colorado
  • und separatistischen Lesben bemerkbar machte, die in leichten LKw lebten (“van dykes”).

Die Auflösung der Sowjetunion in den 1990ern brachte frisches Material in den Gedanken- und Gefühlshaushalt von Separatisten und George Bush und sein Irak-Krieg ließen in VT Phantasmen über eine “Zweite Republik von Vermont” ins Kraut schießen, die an diesem Krieg nicht teilnehmen würde.

2008/09 war dann Gezeitenwechsel im Weißen Haus angesagt.

Nach dem (ersten) Wahlsieg Obamas zeigten sich die Demokraten neu mit der Union versöhnt

und das Staffelholz des Separatismus ging u.a. an die rechten Texaner, die ihre Lone Star Republic selbstständig machen wollten.

Das war natürlich ein verwerflicher “sektionaler Aufstand”, wie schon die Sagebrush-Rebellion 25 Jahre vorher.

Seit November 2016 ist aber wieder alles anders, bis auf weiteres.

Man weiß ja nicht, was am 3. November passiert.

Richard Kreitner, Break It Up. Secession, Division, and the Secret History of America’s Imperfect Union. 2020

Unabhängiger Journalist

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