Dunkle Persuasion nach Dimsdale & helles Nudging v. “Demokraten”

cover-resizedJoel Dimsdale, emeritierter Psychiatrieprofessor aus San Diego, hat eine Geschichte der “dunklen Persuasion” im 20. Jahrhundert vorgelegt – etwas, was in der Alltagssprache als “Hirnwäsche” bezeichnet wird. Nun ist es eine Unart ein Buch zu kritisieren, weil es nicht die nach Meinung des Rezensenten “richtige Themenstellung” hat – seltsam ist hier aber schon, wenn das heute ständig verwendete regierungsamtliche “Nudging” nicht einmal angetönt wird. N. setzt im Regelfall keine Zwangsmittel ein – seine wissenschaftlichen Grundlagen sind aber ähnlich wie die beim “Umprogrammieren” von Kriegsgefangenen oder der Herausbildung von (Selbst)Mord-Tätern in diversen Todeskulten.

Dimsdale beginnt seine Erzählung mit dem “Vater des Konditionierens”, Iwan Pawlow. Der schon damals weltberühmte Mediziner war zwar kein Bolschewik,

teilte mit Lenin & Co. aber wesentliche Weltanschauungen (Materialismus) und wurde nach deren Obsiegen im Bürgerkrieg bis 1921 von diesen auch pfleglich behandelt.

Der Nobelpreisträger von 1904 ist im heutigen Westen zwar lediglich für seine Verhaltensforschung bei Hunden bekannt, seine Erkenntnisse wurden aber auch auf den Menschen übertragen

und können, wie verschiedentlich angenommen wird, das “kafkaeske” Verhalten von Angeklagten in den stalinistischen Schauprozessen der späten 1930er erklären.

Pawlows Lehren sollen auch im Hintergrund der (“nord”)koreanischen und chinesischen Praktiken gestanden sein, mit denen im Koreakrieg 1950 ff US-Kriegsgefangene “gebrochen” und zum (temporären) ideologischen Seitenwechsel veranlasst wurden.

Wesentliche Elemente dabei dürften z.B. Tortur, Schlafentzug, “Abrichtung durch Verhör-Personal”, ununterbrochene Indoktrination und gezielte Depravierung in einer abgeschlossenen Situation gewesen sein – in der Regel ziemlich aufwändige Verfahren.

Von diesen Praktiken kommt auch die bis heute verwendete Metapher von der Hirnwäsche.

Derlei Machttechniken, die zuvor bereits bei “vormoderner Folter” und religiöser Zwangskonversion verwendet worden sind, sind für Dimsdale die ursprünglichen Bausteine dessen,

was er – lieber als brain washing – Überzeugung mit Mitteln des Zwangs nennt (“coercive persuasion”).

Unter erzwungener oder “dunkler Persuasion” rubriziert der Autor aber auch die späteren Versuche zum Einsatz von Drogen um einen Verrat von (militärischen) Geheimnissen zu erzwingen oder sonstwie “nützliche Geständnisse” zu produzieren.

Die  CIA der 1950er und 1960er hat mit Milliarden Dollars diesbezügliche Forschungsarbeit in Hunderten von Projekten in den USA, Kanada und Europa finanziert (“MKUltra”)

- oft mit “gemischten Ergebnissen” (wer mehr über diesen Aspekt lesen will, sollte sich z.B. Stephen Kinzers Poisoner in Chief auf den Nachttisch legen).

Nach Darstellung des Autors Dimsdale hat es sich dabei um einen “Gegenangriff” gehandelt.

Brainwashing, von Staat zu privat

Die ethisch fragwürdigen Projekte MKUltras sollen in den 1960ern zwar alle eingestellt worden sein;

wie es im darauf folgenden halben Jahrhundert weiter ging, ist aber nicht mehr überliefert und der (ehemalige) Regierungsberater Joel D. nimmt “seriöserweise” davon Abstand, darüber zu spekulieren.

Lieber biegt der Chronist der erzwungenen Persuasion jäh und ohne zu blinken in den nicht-staatlichen Bereich ab,

in die Welt der schwedischen Bankräuber und des “Stockholm-Syndroms” bzw. in jene der Patty Hearst in den 1970ern,

der Enkelin eines Zeitungs-Tycoons, die von einer linksradikalen Splittergruppe gekidnappt wurde und die sich danach an wenigstens einem Bankraub der “Symbionesischen Befreiungsarmee” beteiligt hat.

Die Botschaft: Dark Persuasion gab es als (halb) spontanes Phänomen auch außerhalb der Verhörkeller der Tscheka und psychologischer Labore in Nordamerika, sozusagen in der Privatwirtschaft der politisierenden und nicht politisierenden Bankräuber.   :mrgreen:

Die hostages von Stockholm und Kalifornien, wird behauptet, seien einer “flash conversion” unterlegen, einem blitzartigen Glaubenswechsel, wonach sie mit ihren Geiselnehmern zu sympathisieren begannen.

Dimdales Reise durch die Hirnwäsche des 20. Jahrhunderts legt den nächsten Stop bei den Sekten ein,

  • erst beim “Volkstempel” des Jim Jones, dessen Anhänger 1978 in Dschungel von Guyana Massen(selbst)mord begangen haben;
  • und danach bei einem auf Kalifornien konzentrierten Kult, wo Ende der 1990er ebenfalls Massen(selbst)mord verübt wurde, um rechtzeitig ein vorbei fliegendes UFO zu erwischen (“Heaven’s Gate”).

Auch hier wird in Ermangelung entsprechender Enthüllungen gewissermaßen ex negativo bewiesen,

dass sich Pawlows Geist vor ca. 50 Jahren in den nicht-staatlichen Bereich verflüchtigt und die Regierungsviertel von Washington, Moskau und den anderen Hauptstädten verlassen hat.

Zumindest weiß man nix Gegenteiliges.

Unser nach Eigenauskunft exzentrischer Autor-Psychiater-Pensionist, der allem anhängt, was der durchschnittliche Normie der US-Westküste als richtig & bewiesen ansieht

- von Russiagate bis (Anti-)Impf-Skepsis und (Anti-)Klimawandel-Leugnern bis zu politisch asymmetrisch verteilten Fake News – macht sich aber auch über die Zukunft Gedanken, die Zukunft des Brainwashing.

Die liege auf “individueller Ebene” im seit den 1960ern explodierten Wissen über neuronale Vorgänge etc., von präziserer und wenig invasiver Hirnchirurgie, über die Rolle von “Glückshormonen” (Oxytocin) bis hin zu implantierten Tiefenhirn-Stimulatoren (DBS);

sowie auf “kollektiver Ebene” in den Social Media, die sich wie sonst nichts anderes zur Gedankenkontrolle (und coercive conversion) in Gruppen eignen

(die “fortschrittliche Gedankenkontrolle” scheint D. damit nicht zu meinen).

Und was ist mit Nudging?

Auch wenn das nicht zur Aufgabe eines “Rezensenten” gehört

- dieser Blogger kann es sich nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass parallel zum Verschwinden der Hirnwäsche Typus Kalter Krieg die Wissenschaft von der gutartigen Regierungsintervention in das Verhalten der “Bürger” (Untertanen) entstanden ist

- siehe “zum Einstieg” diesen Eintrag über den Wirtschaftsnobelpreis für den Vater der Verhaltensökonomie.

Natürlich geht’s bei Nudging& Co. nur darum, den Leuten gesundheitsschädliche Angewohnheiten wie Fleisch essen, Rauchen oder zu wenig Bewegung abzugewöhnen.   :mrgreen:

Oder auch um Hausarrest für Krethi & Plethi, natürlich aus rein wissenschaftlichen Gründen und ausschließlich seuchenpolitisch motiviert.

Ahem.

 

Joel E. Dimsdale, Dark Persuasion: A History of Brainwashing from Pavlov to Social Media. 2021

Unabhängiger Journalist

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