Ein Kriegs-Anlass im Asow-Meer

512px-Kerch_Strait_Bridge,_2018-03-05
Brücke von Kertsch

Die Ukraine und Russland stehen nun auch formell vor einem Krieg und das mediale Interesse konzentriert sich auf dessen Auslöser (wobei die Version der bevorzugten Seite meist papageienhaft nachgeplappert wird). Dass die Russen besonders aggressiv agiert hätten, lässt sich in der öffentlich zugänglichen Nachrichtenlage nicht erkennen – es sei denn, man nimmt an, dass Moskau Mariupol mit vorgeschobenen Maßnahmen “erdrosseln” will.

Der Anlassfall vom Sonntag sieht aus Sicht dieses Bloggers aber eher wie eine “Provokation” Kiews aus (wie der russische Außenminister formulierte).

Drei ukrainische Militärboote wollten die Meerenge, die das russische Festland (Rostow) von der Krim (Kertsch) trennt, durchfahren ohne den bisher beachteten administrativen Gepflogenheiten (Russlands) nachzukommen.

Das russische Militär (FSB) blockierte den Versuch und beschlagnahmte bei dieser Gelegenheit die Boote und nahm deren Besatzung gefangen.

Das “geht” für den Westen, der auf der Seite Kiews steht (und vielleicht die eigentliche Konfliktpartei ist) auf keinen Fall.

Kiew & Bundesgenossen stehen auf dem Standpunkt, die Krim sei 2014 durch die Russische Föderation annektiert worden. Es wäre das Recht des ukrainischen Militärs, sich in eigenen Gewässern nach Gutdünken zu bewegen.

Die Russen sehen das völlig konträr – rechtlich, aber auch “realpolitisch”. Sie haben nach der Eingemeindung der Krim um einen Milliardenbetrag eine Brücke gebaut, die im März 2018 fertig gestellt wurde;

eine Brücke, die es erlauben soll, die Krim mit ihren Militäreinrichtungen zu versorgen ohne auf die Ukraine angewiesen zu sein.

Das Militär auf der Krim und dessen Versorgungswege haben in den Augen Moskaus eine überragende strategische Bedeutung (womit auch die massiv intensivierten Schiffsinspektionen begründet werden, die mit der Einweihung der Brücke begonnen haben). 

Parteigänger Kiews interpretieren das als Versuch Moskaus, das weitgehend über das Asowsche Meer versorgte Mariupol “auszuhungern”, auf dass es in die Hand der “Rebellen” von Donezk falle (was diese vor vier Jahren militärisch nicht bewerkstelligen konnten).

Das mag zutreffen oder auch nicht – Zeitgeschichtler sind in 50 Jahren vielleicht klüger.

Heute ist es jedenfalls nicht besonders gescheit,  den in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden russischen Bären zu provozieren

– zumindest nicht, wenn man “in Ruh gelassen” werden möchte.

In prekärer geostrategischer Lage ist kluge Zurückhaltung oft günstiger als prinzipientreues/provkantes Pochen auf ein vermeintliches gutes Recht.

Bild: European Space Agency via Wiki Commons

Unabhängiger Journalist

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