Ein Plädoyer für eine Umwertung des Geschichts-Revisionismus

Banner_CoverUS-Historiker James M. Banner Jr., ein Establishmentissimo in Reinform, hat über Geschichtsrevisionismus geschrieben und – grundsätzlich korrekt – argumentiert, dass “Historiographie” für kleinere Revisionen, aber auch größere “Paradigmenwechsel” offen sein muss, will sie eine Wissenschaft sein. Banner meint jedoch NICHT bisher als Revisionisten bekannte “Kollegen” wie Harry Elmer Barnes, für den Franklin D. Roosevelt die japanische Attacke auf Pearl Harbor provoziert hatte, sondern alternative Akteure, Perspektiven & Themen, die sein Fach immer stärker prägen – “polithygienisch unbedenklichen Revisionismus” sozusagen.

In Banners Rubrik des “konzeptuellen Revisionismus” fallen Gender-Historiker*innen ebenso wie z.B. Studien zu Afroamerikanern, Schwulen & Lesben oder diversen Randgruppen. Manchmal handelt es sich auch “nur” um einen anderen Blickwinkel (“Geschichte von unten”).

Banner beginnt “chronologiewidrig” mit  dem US-Bürgerkrieg 1861 – 1865, dessen jüngere Historiographie von “Revisionismus ohne Ende” gekennzeichnet sein soll.

Die neuen Historiker mit ihren frischen Ansätzen, sagt Banner, würden gegen die bis dahin geltende Orthodoxie anschreiben und seien deswegen als Revisionisten einzustufen:

Calling a history “revisionist” (or, more recently, “neorevisionist”) is like calling water wet.”

Geschichtsrevisionismus ist für Banner sozusagen der gesunde Normalzustand der Geschichtsschreibung (wogegen prinzipiell wenig einzuwenden ist).

Die “Incumbents” seien “rechte” oder auch “linke” Platzhirschen wie in den USA der Zwischenkriegszeit z.B. der antikapitalistische Groß-Historiker Charles A. Beard, der den civil war als Kampf zwischen nördlichen Industrie- und südlichen Pflanzer-Kapitalisten interpretiert hatte (wobei es in Wirklichkeit aber primär um die Abschaffung der Sklaverei gegangen sei).

Die Wahl des quasi-marxistischen Beard als “Referenzpol und Reibebaum” tönt freilich schon die Problematik des Bannerschen Ansatzes an:

Während Charles & Mary Beard 1927 erschienener “Rise of American Civilization” durchaus Ton angebend gewesen sein mag, findet der “spätere Beard” bei Banner einfach nicht mehr statt, jener Autor, der die größte Nähe zu den “originalen” & FDR-kritischen US-Revisionisten gehabt haben mag.

Gute & böse Revisionisten

Beard, ideologisch eigentlich in der Nähe Rooesevelts angesiedelt, hatte dem US-Präsidenten in seinen letzten Büchern vorgeworfen, dieser habe die Amerikaner mithilfe von üblen Tricks in den 2. Weltkrieg verwickelt.

Beard-Kritiker erklärten daraufhin, der Historiker sei ein Isolationist (der Begriff klang damals ähnlich wie der “Verschwörungstheoretiker” von heute).

Nach dem Sieg der Alliierten und dem Beginn des Kalten Kriegs war Beard dermaßen widerlegt,    :mrgreen:

dass er auf Nimmerwiedersehen von der Bildfläche verschwand – rund 30 Jahre, bevor die ersten Revisionisten im Bannerschen Sinn an Beards Bürgerkriegs-Bild zu “nagen” begannen

(das machte für den Mann selbst nicht mehr viel aus – er starb 1948).

Banner führt Beard also als Gralshüter der Orthodoxie vor, verschweigt aber dessen Nähe zum originalen Revisionismus, was auf eine Diskreditierung des Letzteren hinausläuft.

Die “Legitimierung”, die sich andererseits auf die “neuen Revisionisten” bezieht, soll sich anscheinend  nicht auf angebliche oder wirkliche “Deutschen-Freunde” und FDR-Kritiker erstrecken.

Noch deutlicher wird die Bannersche Differenzierung des Revisionismus mit Bezug auf “europäische Akteure”, die pauschal in die Nazi-Ecke gestellt und als “Holocaust-Leugner” abgestempelt werden

(man beachte den nicht unbedingt wissenschaftlichen Terminus!).

Die bösen würden von den sozusagen guten, weil ehrlich um größtmögliche Wahrheit bemühten Revisionisten in die Schranken gewiesen; von Historikern, die an den Grenzen “ihrer” Wissenschaft patroullierten, und Regel brechende Kurpfuscher entlarvten und verfemten:

Those who do not honor and follow those standards are kept from their professional company, considered illegitimate practitioners, denied the title of professional historian, and arraigned for their departures from the community’s norms, their works condemned or ignored.”

Während diese Charakterisierung auf einige “prodeutsche” oder gar (neo)nationalsozialistische Autoren zutrifft, erscheint sie diesem Blogger doch als eine Verballhornung “regelkonform arbeitender” europäischer Geschichtsrevisionisten;

auch die Idee, dass Letztere von der Wucht der Beweise “guter Revisionisten” erdrückt würden, scheint eher einem kindlichen Wunschdenken des Autors als der Wirklichkeit zu entspringen. 

Die politisch nicht genehmen “rechten” Revisionisten wurden & werden faktisch aus der relevanten “interpretive community” hinausdefiniert und ignoriert oder vor Gericht gestellt.

Was das für einzelne konkret bedeuten kann, zeigt der Fall David Irving im Heimatland dieses Bloggers vor 15 Jahren. Damals wurde in Österreich der als Nazi-Apologet und H-Leugner bezeichnete umstrittene Historiker verhaftet und zehn Monate eingesperrt.

Unabhängig von der Erörterung des dieser Haft zugrunde liegenden Richterspruchs soll hier grundsätzlich festgestellt werden, dass weder Gesetzgeber noch Justiz über “Historiographen” zu befinden haben, noch dies auch können – jedenfalls nicht sachgerecht

(höchstens auf Basis ihrer vom Staat verliehenen Macht und des ‘positiven Rechts’).

Jefferson, Robespierre, von Ranke

Doch zurück zu Banner.

Sein Buch, das die Frucht einer lebenslangen Beschäftigung mit Geschichtsschreibung ist, ist auch für schon länger Interessierte durchaus aufschlussreich,

seine Typologie der “Revionismen” etwa,

oder Banners Überblick über die geschichtsschreiberische Thematisierung der intimen Beziehungen des “US-Gründervaters” Thomas Jefferson mit seiner Sklavin “Black Sally”.

Die Dauer-Affäre von vor 200 Jahren mag “auf einer Metaebene” ja durchaus relevant sein,

aber auch Jefferson war “kein ausgeklügelt Buch, sondern ein Mensch mit seinem Widerspruch”,

nicht nur “Sklavenhalter” und “Patriarch”, “Freiheitsheld”  und “politischer Denker”, sondern auch ein in seine Zeit verstricktes sexuelles und fühlendes Wesen.

Gut zu wissen immerhin, dass J. kein Säulenheiliger war, sondern ein normaler, anscheinend nicht einmal besonders “toxischer” homo politicus.

Interessant auch z.B. der Abriss zur Thematisierung der Französischen Revolution von Thomas Paine und Edmund Burke bis Albert Soboul bzw. François Furet.

Ditto Banners Darstellung über das Ende der Objektivitäts-Norm oder der manchmal fetischisierten Augen- – und Zeitzeugenschaft, inklusive seiner Bemerkungen über die mangelnde Zuverlässigkeit z:B. des Erinnerungsvermögens.

Das freilich ist schon wieder eine andere Geschichte.

James M. Banner Jr., The Ever-Changing Past. Why all History is Revisionist History. 2021

Unabhängiger Journalist

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