Europa wie Dugin es sieht

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Alexander Dugin (rechts)

Am Donnerstagabend hat ein politisch unliebsamer russischer Theoretiker in Wien einen Vortrag gehalten – mit dem man ganz oder in Teilen (nicht) einverstanden sein mag. Man sollte ihn aber zur Kenntnis genommen haben. Nicht-Europäer Alexander Dugin erklärte, die europäische Geschichte habe nicht erst in der Renaissance begonnen, und (West)Europa befinde sich heute auf einem kollektiven Selbstmord-Trip.

Der angebliche Neofaschist war auf Einladung des alternativen Internet-Publizisten Thomas Bachheimer und des Suworow-Instituts nach Wien gekommen –

und wer die ganze story dieser Veranstaltung schreiben wollte, müsste den Radau der hiesigen Presse, die Pressionen gegen präsumptive Veranstalter und die halb konspirativen Umstände erwähnen, unter denen die Veranstaltung stattfinden musste.

Dies taugte zur Bebilderung dessen, was Dugin mit seinem, eher theoretischen Konzept des totalitären Liberalismus meinen könnte.

Dieser Blogger will aber nicht die Geschichte von Dugin in Wien schreiben (die übrigens noch nicht zu Ende ist).

Diesen Blogger interessiert, was der außenstehende Insider A.D. über (West)Europa gesagt hat (auf deutsch) und wie sich das mit dem Europäismus vergleicht, den Politicos und Journos des Mainstreams heute vor sich hertragen.

Und warum Russen nach Meinung Dugins keine Europäer sind.

Zunächst ist dieses Ideologen halb schon resignierter Protest gegen seine Einordnung als Neofaschist zu bedenken.

Tatsächlich brächte dieses Etikett nur dann einen kleinen Erkenntnisgewinn, wenn man einem seit Geburt Blinden damit erklären könnte, was Pastellfarben sind.

Dugin vertritt zweifellos einen Kollektivismus – wie auch verdeckte und nicht so verdeckte Sozialisten einen Kollektivismus befürworten.

Damit hat es sich aber schon.

Weder ist Dugin ein Rassist (nicht einmal im Sinn des zeitgenössischen racialism), noch propagiert er eine Ideologie, die im vergangenen Jahrhundert gestorben ist.

Der Mann ist ein Gegner des heutigen, allumfassenden totalitären Liberalismus, der quietschlebendig ist, aber auch von Kommunismus und Faschismus, die beide tot sind.

Das sind die drei politischen Lebensentwürfe, die Dugin ablehnt – die Vierte Theorie, die er und sein französischer Freund Alain Soral suchen,will er aus dem Schutt zusammenbasteln, den die grandios  gescheiterten Theorien der Moderne hinterlassen haben.

Dugin ist kein Neofaschist – er ist ein Anti-Modernist, der im Zweifelsfall jeden noch so fernen Skandal vor der Haustür des Liberalismus ablädt, weil dieser von den drei Genannten der einzig Überlebende (und der Rädelsführer) ist.

Die Moderne ist es, die für Dugin die Wurzel allen Übels ist, die Moderne, die von Anfang an auf die Auflösung aller kollektiven Identitäten gerichtet war, angeblich.

Diese seine Analyse, die an Nietzsches Analyse des “europäischen Nihilismus” erinnert, vermittelt frappante Aha-Erlebnisse, wenn man sie für die Gegenwart anstellt: für Antinationalismus & no border, religiösen & säkulären, jedenfalls überschießenden Universalismus und auf Geschlechtsrebellen & das Transgender-Phänomen.

Es geht Dugin um die Auflösung historisch gewachsener bzw. weitgehend biologisch bestimmter kollektiver Identitäten.

Das sei das Werk des totalitären, geno- und ethnozidalen Liberalismus – und “Europa” sei vorneweg mit von der Partie, dank seiner verkommenen “Eliten”.

Nicht einmal mehr der Tod solle den Menschen gelassen werden – auch der Post- bzw. Transhumanismus ist eine Erscheinungsform des Duginschen Liberalismus: “Nur Automaten können keinen biologischen Tod erleiden.”

Europa und die Moderne

Dugin legt den Finger in eine offene Wunde, wenn er die Kultur- und Identitätsvergessenheit der EU und ihrer Trabanten konstatiert, aber er hat auch recht, wenn er das Epizentrum des Geschehens jenseits des Großen Teichs ortet.

Auch, wenn er die griechisch-römische Zivilisation und die mittelalterlichen, christlichen Spekuliereisen dafür als “Markenkerne” Europas ausmacht.

Davon woll(t)en Berufs-Europäer vom Schlag Sutherlands und Timmermans nichts wissen.

Die wollen nur von dem hören, was danach kam – von der dritten europäischen Theorie sozusagen.

Von der – laut Dugin identitäszerstörenden – Moderne, dem Individualismus und universalen, extensivst interpretierten Menschenrechten.

Von Europa sonst keine Spur.

Was heißen soll: Was denen Europa ausschließlich ist, ist es diesem Blogger auch.

Europa ohne Moderne, Individuum und politischer Gewaltenteilung wäre nicht oder ein ganz anderes Europa.

Das weiß Dugin sehr wohl, wie auf eine Nachfrage aus dem Publikum anklingt, in der es um die Unterscheide zwischen Russen und Europäern geht.

Unterschiedliche Zivilisationen, antwortet Dugin sinngemäß: Wir wollen nicht zu Europäern gemacht werden – und wollen umgekehrt  euch nicht zu Russen machen.

Das kam für den Schreiber dieser Zeilen doch etwas überraschend.

Nicht, dass ich mir nicht bewusst wäre, wie groß die Unterschiede sind.

Aber bisher bin ich davon ausgegangen, dass Westeuropa und die orthodoxe Welt an der Hüfte auseinander operierte siamesische Zwillinge sind,

in ein paar Jahrhunderten des Kirchen-Schismas, der moslemischen Expansion und der Kreuzzüge sowie des Mogolensturms -  aus unserer, aber auch aus ihrer Schuld.

Die griechisch-römische Zivilisation und das Neue Testament müssten uns eigentlich einen – was immer seit Iwan dem Schrecklichen hüben und drüben schief gegangen ist.

Unabhängiger Journalist

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