Gaza: Von Völkermord, Vertreibung

Dieser Blogger, der hier gewissermaßen auch “den Hut” eines Miniatur-Herausgebers auf hat, stimmt der Beurteilung des Vorgehens der IDF in Gaza durch einen Gastautor zum Teil zu, zum Teil nicht. Während die Verdachtslage auf  Völkermord laut UN-Konvention von 1948 nicht unbedingt schlagend erscheint, würde dieser juristische Laie das miliärische/staatliche Handeln Israels eher der Vertreibung im Römischen Statut (“displacement”) zuordnen. Über deren Motive kann man ggf. nur spekulieren (sofern einem die offiziellen “Militäroperationen gegen die Hamas” nicht reichen).

Hr. Schimanko, ein Jurist, argumentiert,  dass für einen “Völkermord” nach der Konvention von 1948 eine entsprechende Absicht des “mordenden Akteurs” bestehen müsse (was ohne eine “bedingungslose Kapitulation” bzw. den darauf folgenden Zugriff auf bis dahin geheime staatliche Schriftstücke nicht/kaum dokumentiert werden kann).

Dietmar Sch. räumt in Übereinstimmung mit der heutigen mehrheitlichen Auslegung aber ein, dass es durch entsprechendes Handeln staatlicher Organe aber Indizien in Richtung Völkermord geben könne.

Das Vorhandensein solcher Indizien weist der Autor für den vorliegenden Fall zurück

(was dieser Blogger cum grano salis akzeptiert, obwohl die Formulierung “nicht einmal ansatzweise Verdachtsmomente” eine Übertreibung darstellt – die Bombardierung von vorher “empfohlenen” Fluchtrouten/-gegenden für Zivilisten wäre beispielsweise ein solches Verdachtsmoment).

Soweit ich die vergangenen 2,5 Monate überblicken kann, verfolgt die IDF eine Strategie, die ich hier salopp als

Ausdrücken einer ‘Tube’ mit zwei Millionen Palästinensern gen Süden, also nach Ägypten”

bezeichnet habe.

Das vielleicht einzige unvorhergesehene Element ist, dass Ägypten das “Ausfallstor” im Süden nicht geöffnet hat (was propagandistisch aber auch “verwertet werden kann”).

Für diese meine Version der Geschehnisse gibt es in den Mainstream-Nachrichten durchgängig Hinweise,

obwohl ich mir an dieser Stelle nicht die Mühe antue, das im Detail auch zu dokumentieren.

Solch ein kalkuliertes Vorgehen weist auf die Existenz einer längerfristigen militärischen Planung hin, was sich mit dem “Notwehr-Narrativ nach einem Überfall mit mehr als 1.200 toten Israelis” nur bedingt verträgt.

Dass es wenig glaubwürdig ist, dass die Hamas-Überfallplanungen israelischen Geheimdiensten fast 2,5 Jahre lang verborgen blieben,

darauf wurde ja schon hier hingewiesen.

Der vom Autor vorgenommenen ideologischen Einschätzung der Hamas stimme ich weitgehend zu,

ebenso wie der populistischen Feststellung Broders, dass “niemand mit einem solchen Nachbarn leben möchte”

(einmal davon abgesehen, dass “es sich auch nicht gehört, Nachbarn einzuzäunen”).

Der Vergleich mit dem von der Ausdehnung und der Bevölkerungszahl ähnlichen Wien ist für Hiesige eingängig, weil er zeigt, dass der Gaza-Streifen ein städtisches Ballungszentrum ist/war.

Der Vergleich wäre aber noch besser, wenn

  • ein “feindliches Niederösterreich” hochgerüstet wäre, Artillerie, Panzer und die völlige Luftüberlegenheit über Wien besäße, wohingegen
  • das “autonome Wien” über kein eigenes Militär verfügt, sondern nur über Ordner in der U-Bahn:mrgreen:

Schließlich sei noch auf eine von der New York Times und CNN durchgeführte, KI-gestützte Auswertung von Satellitenbildern aus den ersten Wochen des Kriegs hingewiesen, die zeigt, dass

  • Hunderte Explosionen in Gaza wahrscheinlich von von I. weithin eingesetzter bunkerbrechender Munition (“2.000 pound bombs”) stammen – siehe z.B. hier und hier – und dass
  • die “Toleranz” Tel Avivs bezüglich ziviler Opfer eines solchen Einsatzes anscheinend viel höher ist als jene Washingtons.

Das entscheidende Wort ist hier nicht “künstliche Intelligenz”, sondern “Satellitenbilder” – eine Quelle mithin, die weder mit der “lokalen Hamas” noch mit der UNO identisch ist.

All das verträgt sich mit der Analyse dieses Bloggers (ethnische Säuberung bzw. Vertreibung) besser als mit der Genozid-These

- wobei natürlich eine Vertreibung in die Sinai-Wüste real & rechtlich sehr wohl Völkermord wäre; immerhin könnte man die “ägyptischen Brüder” dann unterlassener Hilfeleistung bezichtigen.

Das wahre Motiv für dieses Vorgehen kann also

  • rein militärischer Art sein, wie dies offiziell erklärt wird.
  • Es kann sich um eine ethnische Säuberung bzw. Vertreibung handeln, wie dies aus dem 20. Jahrhundert “in vielen Farben und Formen” bekannt ist. Dazu gehören natürlich die Untaten des nationalsozialistischen Deutschland, aber auch einiges andere: die Vertreibung der Volksdeutschen aus Polen & Tschechien und andere Formen von “forced migration”, beispielsweise stalinistische Deportationen.
  • Natürlich kommt theoretisch auch direkter Völkermord mit Bomben & Granaten in Frage, der – wie gesagt – aber wenig wahrscheinlich ist. Wie der Gastautor dieses Blogs korrekt argumentiert: Wenn I. die Auslöschung der Gaza-Palästinenser mit militärischen Mitteln zum Ziel hätte, gäbe es in zehn Wochen nicht 20.000 bis 30.000 Tote, sondern wenigstens das Zehnfache.

In Ermangelung eines Zugangs zu regierungsamtlichen bzw. militärischen Archiven kann man über das echte Motiv Is also nur spekulieren und dieser Blogger spekulierte vor 14 Tagen wie heute: “Nummer 2″.

***

Nun kann es sein, dass hinter dem Rücken von Tätern und Opfern, “weit, weit hinten” – sozusagen “sub specie aeternitatis” – eine Art Gott hinter all dem steht, ein Gott, der die Natur bzw. die “Tragfähigkeit” natürlicher Systeme ist

(die beiden können auch identisch sein) und

dass das, was heute auf die Leute von Gaza niedergeht, in anderer Form (aber mit dem gleichen Endresultat) auch anderen Bewohnern städtischer Ballungszentren blüht.

Wer kann das schon wissen?

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.