Kalif vs. König: Glaubens-Feinheiten um einen extraterritorialen Mord

256px-Recep_Tayyip_Erdogan_2017Saudiarabien scheint in einem in Istanbul befindlichen Konsulat einen Landsmann umgebracht zu haben – was der türkische Geheimdienst, der selbst nicht eben mit Glacé-Handschuhen agiert, ziemlich gut dokumentiert hat (Indizien).256px-Mohammed_Bin_Salman_al-Saud2 Natürlich hat Ankara keinen Bock, auch noch für nicht selbst begangene Morde verantwortlich gemacht zu werden – aber im Hintergrund wird Tieferes sichtbar: der Machtkampf um die Vorherrschaft in der (sunnitisch) islamischen Welt.

Über die Ermordung Jamal Kashoggis kann sich jeder in den Mainstream-Medien informieren, die sich in diesem Fall auf eine weitestgehend gesicherte Faktenlage berufen können.

Konsulate sind zwar nicht de iure, aber de facto extraterritorial. Auch wenn es von der anderen Seite “aus dem gleichen Business” alle wissen – man gibt aber unter keinen Umständen öffentlich zu, Konsulate zu überwachen.

Riad dementiert natürlich - aber die Anhaltspunkte, die für eine von Saudis begangene Bluttat sprechen, wiegen schwer.

Dieser Blogger hat mangels Kontakten zur “Forensik” dieses Mords wenig bis gar nichts beizutragen – sehr wohl aber ein wenig zum delikaten Verhältnis zwischen Saudiarabien und der Türkei, die aus einer vereinfachenden westlichen Sicht als gleich gestimmte islamistische Zwillingsbrüder angesehen werden könnten.

Das sind sie in der Tat –

aber verfeindete Zwillinge, die beide den Führungsanspruch für die islamische Welt erheben.

Der saudische De facto-König Mohammed bin Salman ist Hüter der Heiligen Stätten von Mekka und der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan möchte sich die Schuhe der Sultane anziehen, die bis 1924 auch Kalifen waren.

Erst der säkulär orientierte Atatürk hat das Kalifat abgeschafft.

In der Sichtweise seiner Proponenten ist der Kalif der weltliche und geistige Führer der gesamten Glaubensgemeinschaft, und zwar unabhängig von ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeiten. Es ist jedenfalls ein Titel für ein religiös begründetes Imperium, nicht einer für einen mehr oder minder monoethnischen Flächenstaat.

Die Sauds haben nie wirklich einen Anspruch auf das Kalifat erhoben – und das ist ein bedeutsamer Unterschied beispielsweise zum Islamischen Staat und dessen selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al Baghdadi.

Theologisch-weltanschaulich passt kein Blatt Papier zwischen Wahhabismus und Daesh, die bis zum heutigen Tag von Arabern aus den Golfstaaten finanziert wird. Beide sind intolerant, gewaltbereit und verabscheuen angebliche oder wirkliche Ungläubige, ganz besonders Schiiten.

Und beide haben sich – wenigstens bis vor kurzem – der Unterstützung westlicher Geheimdienste bzw. Londons erfreut: der Engländer seit Hunderten Jahren (Ibn Saud/Moslembruderschaft) sowie der CIA seit kürzerer Zeit (antisowjetische Afghanistankämpfer/ISIS).

Literatur: Pierre Conesa, The Saudi Terror Machine. The Truth about Radical Islam and Saudi Arabia revealed. 2016

Bild: US Department of State, Mazen AlDarrab via Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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