Ö/Gas: Im Zentrum der Heuchelei

Vor drei Tagen wurde im österreichischen (Quasi-)Staatsfunk die via YT eingebundene TV-Diskussion abgehalten, die Spitzenwerte an Scheinheiligkeit erbracht hat. Während vielen Diskutanten zuzubilligen ist, dass sie nicht eben an Sachkenntnis leiden, gilt das für den ehemaligen OMV-Generaldirektor nicht. Roiss arbeitete in dem Konzern 2,5 Jahrzehnte und muss notgedrungen genaue Kenntnis auch des Gasgeschäfts haben. Obwohl der Mann über die existenzielle Wichtigkeit russischen CH4 für OMV & Lebensführung in Europa Bescheid wissen muss, machte er sich zum Sprecher angeblich gutgesinnter Kriegstreiber, die es wohl am liebsten hätten, dass Ö in den nächsten Monaten noch vertragsbrüchig wird und den Gas-Versorgern aus der RF einen Vorwand liefert, den “Hahn auch auf der Südschiene zuzudrehen”. NB über die geringe Menge des über die “Südschiene” fließenden Gases.

Das freilich dürfte schon deswegen nicht funktionieren, weil Medien und Politik eine Tugend signalisierende Phantom-Debatte über den Ausstieg der OMV aus den Russen-Verträgen führen,

obwohl seit einem halben Jahr bekannt ist, dass die Ukraine den Transitvertrag mit Gazprom & Co. nicht verlängern wird – siehe z.B. hier und hier -,

und dass es daher ziemlich hypothetisch ist, über einen Ausstieg 2027 oder 2040 zu quatschen

(oder glaubt wer im Ernst, dass die OMV eine mechanisierte Einheit aufstellen wird, um ab 2025 das zugesagte Erdgas an der russisch-ukrainischen Grenze abzuholen?)

Natürlich wussten alle Diskussionsteilnehmer von Sonntag um die Transitvertrags-Story, und Roiss kennt diese erst recht.

Heuchelei “Nummer 1″.

Schwierige Diversifizierung

Die nächste Heuchelei (“Nummer 2″) kreist um den schönen Begriff Diversifizierung, der suggeriert,

dass Erdgas wie z.B. Smartphones zahlreiche starke Anbieter kennt und potenzielle Kunden nach Gusto Lieferanten auswählen und so “Despoten” die lange Nase zeigen können.

Dass das nicht stimmt, müssten sogar grüne Energiesprecher und Geostrategie-Expertinnen wissen.

Für einen Mann, der fast zehn Jahre ein OMV-Segment verantwortet hat, dem OMV-Gas zugeordnet war (“Refining & Marketing”), muss sich das regelrecht abstrus angehört haben,

vor allem, wenn man selbst Jahre am erfolglosen Versuch der EU mitgearbeitet  hat, z.B. über eine neue Pipeline Bezugsquellen für Erdgas zu diversifizieren.

Roiss kann für natürliche Gegebenheiten nichts, aber diese können durch eine stümperhafte Politik noch brisanter werden als sie es ohnedies sind.

R. kann auch nichts dafür, dass sein Ex-Konzern international eher zu den kleineren seiner Branche gehört, und nichts, dass Österreich im großen Gang der Dinge eher unwichtig ist.

Aber man kann es dem Ex-Manager trotzdem nicht ersparen: Die Nabucco-Pipeline wurde in Roissens Amtszeit als CEO zu Grabe getragen.

Die OMV mag am Scheitern des Projekts nicht allein schuld gewesen sein,, aber die projektierte Leitung hätte im österreichischen Baumgarten enden sollen und die OMV hatte in diesem Projekt eine Schlüsselrolle inne.

Eine besondere Ironie ist übrigens – und dafür kann R. natürlich ebensowenig -, dass die Politik der sg. Energiewende auf mehrfache Weise zu einer Intensivierung der zweifellos vorhandenen und größer werdenden “europäischen” Abhängigkeit vom Erdgaslieferanten Russland geführt hat

- eine Energiepolitik, die maßgeblich von eben jenen Kräften getrieben wurde, die sich heute in Empörungsrhetorik und moralisch begründeter Kriegstreiberei besonders hervor tun.

Tausche Abhängigkeit gegen Abhängigkeit

Der letzte Heuchel-Bereich der TV-Diskussion, mit dem es jetzt sein Bewenden haben soll (es ist nach Mitternacht), betrifft den Umstand, dass in den vergangenen beiden Jahren mit militärisch-diplomatischen Mitteln und großem Geschrei

die energetische EU-Abhängigkeit von den Russen gebrochen wurde,

um – quasi durch die Hintertüre – eine EU-Abhängigkeit von einem US-amerikanisch-norwegischen “Konsortium” einzuführen.

Darüber labern natürlich weder Journaille noch Politicos.

Zwar könnten beide Gruppen das wissen – sie bräuchten nur die EI/BP Statistcal Review, Eurostat oder Bruegels Publikationen über Erdgasimporte und russische Öleinfuhren nach Europa zu lesen (Schrift sollen sie ja verstehen, und Englisch gehört angeblich auch zu ihren Kompetenzen).

Unnötig zu sagen, dass der frühere OMV-Maxi derlei erst recht können müsste.

***

Zuguterletzt sei noch einmal auf die derzeit nicht beweisbare Theorie dieses Bloggers verwiesen, dass den Russen das aktuelle Konflikt-Gambit am Ende des Ölzeitalters durchaus zupass kommt.

Ähnlich wie der Westen “seine” Öffentlichkeit mobilisiert, kann der Osten “seine” Öffentlichkeit um Putin & Co scharen

(freilich ist weder für die eine noch die andere Seite Krieg ein taugliches Mittel zur Problemlösung).

Die russische Seite behauptet, die Energielieferungen sofort wieder aufnehmen zu können, sobald die politisch-militärischen Voraussetzungen stimmten.

Indizien sprechen freilich dafür, dass darüber Zweifel angebracht sind.

Der Westen wiederum, der ansonst nichts “stehen lässt” was aus Moskau kommt, verfolgt die Peak Dense Energy-Spur nicht weiter

- weil derlei nämlich für die eigene Hemisphäre denkunmöglich wäre (und es dazu führen müsste, dass auch “vor der eigenen Haustüre gekehrt wird”).
 
Nachbemerkung, 22.2.2023, 14.45 Uhr:Natürlich gibt es nicht nur drei, sondern Dutzende Heuchel-Exzesse, die alle aufzulisten und zu be- und widerlegen diesem Blogger zu mühsam ist. Ein weiteres Mem, das ein früherer OMV-Manager zweifellos sofort einordnen kann, ist die scheinbar große Rolle, die Österreich bei der Finanzierung des russischen Kriegs gegen die Ukraine spielt.
 
Das ist, als ob man eine Lupe über ein Wimmerl hielte um zu suggerieren, dass der gesamte Körper mit Pusteln übersät ist. Das Wimmerl sind die 12 Mrd. Kubik russisches Erdgas, die die EU jedes Jahr über die “Südschiene” des über die Ukraine führenden (Gas-)Pipeline-Netzes erreichen, noch immer. Österreich spielt dabei eine wesentliche Rolle, aber jeder mit Gas-Dingen Vertraute sieht sofort, dass 12 Mrd. m3 p.y.
  • mengenmäßig ein “Nasenrammel” ist und
  • nicht viel zur Finanzierung des “Angrffskriegs” der Russen beitragen können (weil a>Menge/Kosten und b> Umsatz ≠ Gewinn etc.)
Roiss muss das wissen, aber er sagt es nicht. Roiss weiß aufgrund alter Kontakte vermutlich aber auch, dass es nicht nur um Österreich und deutsche Gashändler geht, sondern auch um Ungarn.
 
Die Magyaren, die vergangenes Jahr über die Turkstream (Serbien) offiziell nicht einmal 6 Mrd. Kubikmeter – etwa zwei Drittel ihres bisherigen Bedarfs – bekommen haben, werden über Österreich und Kroatien gasmäßig nämlich über Wasser gehalten, etwa im Verhältnis 2:1. Ob die gut 2 Mrd m3, die Österreich 2023 nach Ungarn exportiert hat, nicht sowieso den Ungarn gehören, weiß ich nicht - aber es ist Teil der bisher über die “Südschiene” kommenden russischen 12 Mrd. Kubik.

Unabhängiger Journalist

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