Ein mittlerweile ruhig gestellter Aufdecker hat ein Buch veröffentlicht, das eine Art österreichische Skandalchronik der vergangenen 15 Jahre darstellt. Es ist eine Zusammenfassung der “uralten” und wohl auch gegenwärtigen Korruption der Zweiten Republik. Und es hilft, Proportionen und Vergleiche herzustellen sowie die begrenzte Aufnahmefähigkeit und Sachkenntnis von großen Teilen der Innenpolitiker und Journos zu würdigen. Eine Besprechung. NB zur Omertà über Sankholkars Buch.
Gemeint ist hier nicht Buchautor Ashwien Sankholkar, der den 2011 an ihn vergebenen Alfred Worm-Preis für Investigativjournalismus wirklich verdient hat – durch Fleiß, Umsicht, Beharrlichkeit und vor allem durch Kenntnis der handelnden Personen und “Wirkmechanismen”.
Um nämlich richtig hart “aufzudecken” muss sich der gemeine Journalist erst gegen existenzbedrohende Klagen schützen.
Es beginnt beim Wissen, was man zu welchem Zeitpunkt wie konkret schreiben kann. Das ist eine wirklich knifflige Aufgabe. Guter Wille und moralische Empörung reichen nicht, bei weitem nicht.
Weniger schmeichelhaft fällt das Urteil über den großen Rest seiner Kollegen aus (zu denen übrigens auch mein früheres Selbst zu zählen ist).
Diese Leute haben sich in Verkennung der vor ihren Augen ausgebreiteten corruptio perennis von Glamour und politischen Zwangsvorstellungen blenden lassen und darüber jedes Maß und jeden Versuch nüchterner Ausgewogenheit verloren.
Dabei wurden sie u.a. von Politicos ermuntert, die aus Eigeninteresse Haltet den Dieb riefen. Sie taten das um von sich und ihren Parteikollegen abzulenken.
Daraus entstand das absurde Master-Narrativ, dass erst mit dem Einzug der FPÖ in die Regierung im Jahr 2000 die Bestechlichkeit in die Politik gekommen sei – wobei als “Beweis” angeführt wird, dass ja fast nur blaue und FP-nahe Personen einschlägig verurteilt worden seien.
Für die Schwarzen und Roten gibt es in dieser Hinsicht ja nichts Vergleichbares (mit vielleicht einer nennenswerten Ausnahme).
Es ist, als würde man Al Capone nach den Ergebnissen seines Steuerprozesses aus dem Jahr 1931 beurteilen.
Wenn, dann haben die (möglicherweise) kriminellen Handlungen der blauen Buberlpartie bewiesen, dass hier ungeübte Amateure am Werk waren, die
- professionelle Sicherheitsstandards nicht beachteten und deswegen geschnappt werden konnten und dass
- die dabei aufgedeckten korrupten Praktiken vergleichsweise geringe Erlöse generierten. Zugespitzt und nicht politisch korrekt ausgedrückt: Bei den aufgegriffenen (mutmaßlichen) “Kickbacks” an FP-nahe Akteure handelte es sich um einstellige Millionenbeträge und selbst bei den unzweifelhaften Vorteilen, die z.B. Gegengeschäftsfirmen von der Eurofighter-Beschaffung hatten, handelt es sich “nur” um Umsätze.
Um nicht missverstanden zu werden: Korruption ist und bleibt Korruption, die verfolgt werden muss und die Leistungen gewisser Staatsanwälte und Journalisten in den genannten “blauen Causen” sollen nicht heruntergeredet werden.
Aber: Es stellt sich schon die Frage,
- warum es nur auf einer Seite der damaligen Regierungsparteien zu Untersuchungen (bzw. “erfolgreichen Verurteilungen”) kam und
- wie sich die dabei abzeichnenden, geradezu bescheiden anmutenden Praktiken mit den auch in diesen Jahren entstehenden großen Schadensfällen für Republik und Steuerzahler vergleichen.
Der Coup der Buwog-Boys
Zum Beispiel der wohl am besten aufgeklärte “Buwog-Skandal” und was dabei an kickbacks für die “Grasser-Seite” sichtbar geworden ist (böse Zungen behaupten ja, dass die Schadenssumme verdoppelt werden müsse um zu einer realistischen Größenordnung zu gelangen):
Vorausgeschickt sei, dass der Prozess gegen Grasser ja noch nicht begonnen hat und dass daher für ihn (sowie für alle anderen nicht rechtskräftig Verurteilten) die Unschuldsvermutung (bzw. -gewissheit) gilt.
Wie hat diese “Privatisierung” dem Steuerzahler nun geschadet?
- Zunächst einmal mit den 9,61 Millionen Euro, die an die Hochegger-Firma in Zypern überwiesen wurden. Wie und an welche drei Buwog-Boys das Geld danach aufgeteilt wurde, sei dahingestellt. 9,61 Millionen ist haargenau ein Prozent der Bruttosumme, die die Republik aus dem Buwog-Verkauf lukriert hat.
- Dazu muss man die ca. drei Millionen zählen, die die CA IB billiger gewesen wäre als die Investmentbank Lehman Brothers, die von einem “KHG-Spezl” ins Spiel gebracht worden war.
- Und schließlich werden die Dienste Hocheggers auch etwas gekostet haben, was meines Wissens nicht genau festgestellt wurde. Man darf aber davon ausgehen, dass der strategische Kopf hinter dem Masterplan aus dem Hotel Bristol nicht unbelohnt von dannen gezogen ist. Aber das ist, wie gesagt, ein unbeackertes Feld (vielleicht bin nur ich nicht darüber informiert).
Nun hat der Verkaufspreis der 60.000 gemeinnützigen Wohnungen cum grano salis dem Marktpreis entsprochen, was u.a. dadurch dokumentiert wird, dass das zweitgereihte Konsortium der CA Immo gerade einmal eine Million Euro weniger geboten hat, nämlich 960 Millionen.
Wir haben hier also eine “Privatisierungstransaktion” vor uns, für die zwei, vielleicht drei Prozent “Provision” gezahlt wurde, zusammen 15, vielleicht 20 oder gar 30 Millionen Euro (wenn es noch andere Freundeskreise außer dem von Grasser gegeben hat).
Was haben nun z.B. Eurofighter-Beschaffung und mangelnde Beufsichtigung von bzw. politische Hätschelei der Banken (Manager und Eigentümer) die Steuerzahler gekostet?
Einen zweistelligen Milliardenbetrag, wobei vor allem beim Thema “Staatsbanken” das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Bei der Eurofighter-Beschaffung ist jedenfalls nicht mehr viel zu holen – außer eventuell politisch, wo das Thema immer noch gut genug für parteipolitisches Gedribbel und Hackel-Schmeißerei ist.
Zuletzt versuchten die Roten und der grüne Pilz noch einmal, das Thema für den Nationalratswahlkampf im Herbst nutzbar zu machen.
Juristisch scheint diese zehn bis 15 Jahre alte Sache jedenfalls “gegessen zu sein”.
Man sollte sich als Staatsbürger mit dem Gedanken abfinden, dass sich die großen Buben die fetten Provisions-Brocken schon vor langem gesichert und diese bereits verdaut haben.
Immerhin sprechen wir bei den Abfangjägern von einer Größenordnung, die eine Zehnerpotenz höher liegt als bei der Buwog.
Eine deutsche Staatsanwaltschaft hat die für Eurofighter aufgewendeten Schmiergelder einmal auf 183 Millionen Euro taxiert – was etwa ein Zehntel der ursprünglichen Auftragssumme wäre und absolut realistisch ist.
Aber, wie gesagt, die Urteile dazu fehlen – ausgenommen gegen kleinere Nehmer, die politisch den Freiheitlichen zuzuordnen sind.
Bankster backen größere Brötchen
Richtig heftig wird’s dann aber bei den Banken – Stichworte seien hier Hypo Alpe Adria (HAA), Kommunalkredit, ÖVAG und Kontrollbank.
Der dabei entstandene Schaden liegt noch einmal um etwa zwei Zehnerpotenzen höher als bei Eurofighter.
Dieser Blogger schenkt sich hier die Recherche, welches Finanzinstitut welche Summe verbraten hat.
Das wäre ein wenig sinnvolles Unterfangen – schon weil jede Schadenssumme zwangsläufig ein Zwischenergebnis ist, das vom Stand der Verwertung der staatlichen Banken-Restl abhängt.
Das letzte Mal, als dieser Blogger genauer hingesehen hat, lag das Preisschild für die Kärntner Hypo bei etwa sechs Milliarden, von den Volksbanken und der Kommunalkedit werden wohl zwei bis drei Milliarden dazu kommen und noch nicht realisierte Drohverluste bei der Kontrollbank belaufen sich laut Sankholkar auf sechs Milliarden.
Nun hat bei der Hypo Alpe Adria der selige Jörg Haider mit seinen Buberln und Bankstern das Seine beigesteuert.
Unzweifelhaft.
Nur: Haider, Kärnten-Bankster & Buberln waren bei der HAA wohl nicht einmal der wichtigste Faktor – abgesehen davon, dass das Schlitzohr aus dem Bärental die kaputte Bank verkauft hat noch bevor die Bombe hochgegangen ist. Das muss auch einmal gewürdigt werden, nicht wahr.
Die Sache ist nur, dass
- die Landeshaftungen, die laut Sankholkar auf die HAA “wie Testosteron” gewirkt haben, in jedem Bundesland existierten und dass diese von (fast) allen Parteien im Kärntner Landtag beschlossen wurden;
- dass bei der Aufsicht nicht nur die Kärntner Eigentümer, sondern auch die Wiener Bankenaufseher versagt haben und dass
- der größte Teil des Schadens sowieso nach der Zwangsverstaatlichung entstanden ist, durch “beeindruckende Leistungen” der Finanzminister Pröll und Fekter.
All das wäre prnzipiell ein Fall für Politikerhaftung, wobei die Schottergrube der Mizzi nicht einmal genügend Schotter einbringen würde, um ein Prozent der Schadenssumme abzudecken.
Ein verschwundener Aufdecker
Kurz gesagt, Ashwien hat da etwas richtig Verdienstvolles geleistet, indem er eine chronique scandaleuse zusammengeschrieben hat aus Primärquellen, über die er einige Jahre zuvor als Format-Redakteur berichtet hat.
Leider berichten die Kollegen, die ihn früher als Held gefeiert haben, über ihn und sein Buch nicht mehr.
Der Mann ist als Aufdecker in der sprichwörtlichen Versenkung verschwunden.
Das ist eine andere Geschichte, die wenigstens auf den ersten Blick nichts mit Ashwiens Aufdeckerei zu tun hat.
Sie hat eher mit der österreichischen Medienlandschaft zu tun, dem Untergang des Format in der Verlagsgruppe News (VGN) und mit dem Match zwischen Verlegern und Medien-Betriebsräten.
Es ist eine ziemlich komplizierte Geschichte, die nur zum kleinen Teil in die Öffentlichkeit gedrungen ist und zu deren Aufklärung Sankholkar nichts beitragen will oder kann (Schweigeklauseln).
Fakt ist, dass der Mann seit der Übernahme des Format durch den Trend vor eineinhalb Jahren nichts mehr geschrieben hat (außer eben seinem Buch).
Branchenbeobachter führen das auf eine Vereinbarung zwischen dem Betriebsrat und der Leitung des Aufkäufers zurück, über die man nichts Genaues weiß.
Das Resultat ist jedenfalls, dass S. bei der VGN angestellt und als Betriebsrat (fast) unkündbar ist, dass er aber nichts publiziert – was ziemlich blöde ist, für den “Aufdecker” ebenso wie für redaktionell operative Medienleute, die Interesse daran haben müssten, “diesen journalistischen Posten zu aktivieren.”
Aber das sind wohl sunk costs und so ist Österreich.
Mit den Skandalen der Zweiten Republik scheint es jedenfalls nichts zu tun zu haben.
Ashwien Sankholkar, Der geplünderte Staat und seine Profiteure. Salzburg-Wien 2017
Nachbemerkung, 25.9. 2017, 8.15 Uhr: Nur die APA, der Standard und ORF-ZiB 2 haben (bisher) über Sankholkars Buch berichtet.
Der Rest hält sich an die vereinbarte Omertà.
Die Nicht-Berichterstattung ist insoferne auffällig, als die Journos in den traditionellen Medien die Angewohnheit haben, extrem früh, ausführlich und schönfärberisch zu berichten, wenn eine(r) von ihnen ein Buch herausbringt.
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