Heute vor 100 Jahren wurde in einem Pariser Vorort der Friedensvertrag zwischen (dem vormals kaiserlichen) Deutschland und den siegreichen Alliierten des Ersten Weltkriegs unterzeichnet. Dieser Diktatfriede begründete eine neue internationale Ordnung, die in Deutschland den Nationalsozialisten in die Hände spielte und mehr oder minder direkt in den Zweiten Weltkrieg führte. Eine Zusammenschau.
Oft wurde und wird beschönigend vom Versuch einer multilateralen Friedensordnung gesprochen, die womöglich sogar hätte “funktionieren” können, wären die Umstände bessere gewesen. Mainstream-Historiker machen bis heute geltend, dass es keine direkte, “monokausale” Kausalität zwischen Versailles und dem Zweiten Weltkrieg gebe.
Das mag im engeren Sinn sogar richtig sein, denn: Hätte es Depression und Bankenkrach nicht gegeben, wäre die entschiedenste “Versailles-revisionistische” Kraft in Deutschland womöglich nicht an die Macht gekommen.
Doch das sind letztlich “negative Geschichte” und spekulative Aussagen.
Faktum ist dagegen, dass die Alliierten den Besiegten des Weltkriegs eine Friedensordnung aufnötigten, die eigentlich eine Kriegsvorbereitungsordnung war, und die deutsche Zustimmung dazu “wie mit vorgehaltener Pistole erzwungen wurde” (Krumeich).
Die Pistole war in diesem Fall eine Hungerblockade der Royal Navy, an deren Folgen Deutsche und Österreicher zu Hunderttausenden verreckten.
Keine haltlose Spekulation ist auch, dass in Versailles nicht mit den Deutschen, sondern über diese verhandelt wurde und dass das Ergebnis ein Kompromissfriede war – zwischen den Alliierten (Conze).
Den Deutschen bzw. den Regierungen der erst entstehenden Weimarer Republik wurden Bedingungen auferlegt, die den demokratischen Politicos nur geringe Erfolgschancen ließen – was durch den Rücktritt der Regierung Scheidemann versinnbildlicht wurde, die nur sieben Monate davor die Republik ausgerufen hatte.
Scheidemann & Co. wollten unter keinen Umständen unterzeichnen und ihre Nachfolger taten dies nur um zu verhindern, dass noch mehr Menschen verhungerten.
Dazu kam, dass das vom US-Präsidenten propagierte “Selbstbestimmungsrecht der Völker” nicht auf Deutsche angewendet werden sollte (was Mitte 1919 noch nicht sichtbar gewesen sein mochte).
Auch die den Deutschen auferlegten Reparationen sollten sich (1921) als enorm erweisen.
Legitimationsgrundlage war der drückende und demütigende Artikel 231, in dem (faktisch) die alleinige Kriegsschuld Deutschlands festgeschrieben wurde.
Das bedeutete nicht nur eine moralische Stigmatisierung aller Deutschen, sondern – für alle erkennbar – ein “politisches Statement”, das keiner einigermaßen ausgewogenen historisch-kritischen Überprüfung standhält.
Die “Fischer-Kontroverse” der 1960er mag einschlägige deutsche Kriegsplanungen an die Oberfläche gespült haben, ist aber nicht jener exklusive Schlüssel zur Kriegsschuldfrge, als die sie lange gehandelt wurde.
London, Paris und St. Petersburg tragen ein gerüttelt Maß an Mitschuld.
All das ist heute Gegenstand detaillierter Darstellungen und Diskussionen internationaler Fachhistoriker.
Eines jedoch ist spätestens seit Christopher Clarks Schlafwandlern klar:
Einseitig waren nicht nur die
- Deutschland-Apologeten seit Erich v. Ludendorff, sondern auch
- die vorgeblich kritischen Historiker der Fischer-Schule, die in Mitteleuropa seit Jahrzehnten den Ton angeben.
Literatur (Auswahl):
Eckart Conze, Die Große Illusion, 2018
Gerd Krumeich, Die Unbewältigte Niederlage. 2018
Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914.2012
Gerry Docherty, Jim Macgregor, Hidden History. The Secret Origins of the First World War.2013
Bild: William Orpen [Public domain] via Wikimedia Commons
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