Die “knapp bei Kasse” befindliche Wien Energie (WE), der die Republik am Mittwoch indirekt zwei Milliarden zukommen hat lassen, scheint bei ihren angeblichen Absicherungsgeschäften wenigstens eine riskante Strategie gefahren zu sein (wenn es sich nicht doch um “verdeckte Zockereien”, eine mit großem Liquiditätsrisiko verbundene Spekulation auf einen niedrigeren Strompreis handelte). Der Charakter dieser Geschäfte lässt sich aber a) erst nach der Veröffentlichung ihrer Positionen seit 31.12.2021 sowie b) nur im Vergleich mit anderen Unternehmen derselben Branche bestimmen. Der Verbund hatte zumindest bis zum Ende des 2. Quartals 2022 ein deutlich geringeres Liquiditätsrisiko als die Wien Energie.
Vor der Offenlegung der Entwicklung der WE-Energiederivate im Jahr 2022 will dieser Blogger lieber nicht von einer spekulativen oder – besser gesagt – einer Hasard-Strategie dieses Unternehmens sprechen
- es könnte ja sein, dass die WE seither als riskant eingestufte Positionen beschleunigt “glattgestellt” hat, auch unter Inkaufnahme von Bilanzverlusten.
Das Gerede von einem Cash-Bedarf von bis zu 10 Milliarden deutet zwar in die entgegengesetzte Richtung,
aber man weiß nicht,woher diese Zahl kommt, auf welchen Prämissen sie beruht und welche Interessen mit dieser Angabe verfolgt werden.
Ein großes Problem bei der Beurteilung ist das stark verzögerte und wenig transparente Reporting der Wien Energie.
Die letzten eingermaßen “robusten” Angaben zu den WE-Derivaten stammen aus dem Finanzbericht des Mutterkonzerns Stadtwerke für das Jahr 2021
(wobei man getrost annehmen darf, dass z.B. die Wiener Friedhöfe nicht in großem Stil an den Futures-Märkten aktiv waren ).
Die dort erfassten offenen Termingeschäfte zeigen mit Stand 31.12.2021 für heuer einen Liquiditätsbedarf von 2,8 Mrd. Euro an,
was angesichts der Strompreisentwicklung seither noch massiv eskaliert sein könnte
(abgesehen davon, dass sich die “Wetten auf einen sinkenden Strompreis” durch die WE durchaus vergrößert haben könnten – man weiß es derzeit nicht).
2,8 Milliarden wären um ca. 50 Prozent höher als die 1,9 Milliarden Eigenkapital des Unternehmens (das erstens relativ gering und zweitens nur schwer in Cash umzuwandeln ist).
Zweitens: Die staatseigene Verbund AG, der größte Stromerzeuger des Landes, scheint aufs schnelle Hinschauen im Derivatgeschäft eine deutlich “glücklichere Hand” gehabt zu haben als die WE
(um das einmal “so leichthin” zu formulieren).
Dazu kommt, dass die Nachrichten aus dem börsenotierten Verbund viel “frischer” und (vielleicht auch verlässlicher) wie jene aus dem Reich der Stadtwerke sind.
Der Verbund weist für Ende 2021 eine Energiederivate-Position von (aus dem Kopf) + 240 Mio. Euro aus, wogegen die Wien Energie damals an den Terminmärkten mit kumuliert etwa 460 Mio. Euro im Minus war.
Im Halbjahr 2022 zeigte die “„Bewertung und Realisierung von Energiederivaten“ im Verbund vernachlässigenswerte plus 35 Mio. (wobei sich dieser Posten allein im 2. Quartal um minus 140 Mio. rasant verschlechterte).
Wie viel davon cashwirksam war, geht aus den Angaben des Verbund nicht hervor,
ein Cash-Bedarf in Milliardenhöhe ist daraus aber (noch?) nicht abzuleiten.
Die Risikomanager des Verbund konnten bei ihren Derivatgeschäften übrigens die künftige Entwicklung der Strom- und Gaspreise ebensowenig vorhersehen wie die Verantwortlichen bei der Wien Energie.
Nun kann es, drittens, aber sein, dass auch das Derivatbuch des Verbund noch zur Katastrophe werden kann (während sich jenes der WE weiter verschlechtert).
Das wäre möglicherweise dann der Fall, wenn der Strompreis weiter eskaliert (und die belastenden Positionen nicht geschlossen wurden).
Dieses Szenario ist letztlich das “Basis-Szenario” dieses Bloggers, der den Strompreisauftrieb weniger auf den Ukraine-Krieg und mehr auf “Peak Dense Energie” speziell im Gasbereich zurückführt.
Welche Auswirkung die absehbare staatliche Deckelung der Strompreise für Endkunden auf die Derivatbücher haben wird, wage ich nicht einzuschätzen.
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