Eine Inspektion der vorhandenen relativ unverdächtigen Datenbestände zeigt, dass “Europa” vor allem wegen der US-LNG-Exporte den vergangenen milden Winter “durchtauchen”, pro futuro sein Schicksal aber “nicht wenden” konnte. Die Flut der roten Zahlen bei den AGSI-Injections im Sommer 2023, die künftige Lieferungen repräsentieren, zeigt schon vor Beginn der neuen Heizsaison, dass die “Russen-Lücke” bei Erdgas schon mal auf die lange Bank geschoben werden kann, dass diese aber NICHT einfach verschwindet.
Vorbemerkung: Im Gegensatz zu Rohstoffhändlern ist die Versorgung von Gesellschaften mit Energie auf lange Frist ausgerichtet. Sie verändert sich in Jahrzehnten, wenn nicht gar erst nach Generationen, sodass die Bewegungen,, die die europäischen Speichernutzer jetzt berichten, eigentlich wie eine Aufnahme im Zeitraffer wirken. Die Meinung, dass Kontrakte, weil deren Erfüllung ohnedies erst später erfolgt, irrelevant seien, ist jedenfalls ziemlich ignorant.
Wie hier der Schluss-Tabelle zu entnehmen ist, gab es im vergangenen “erweiterten Sommer” in AGSI-Europa um fast 32 Prozent weniger (künftige) Gas-Einschüsse
und je weiter nach hinten der Betrachtungszeitraum rutscht, desto grimmiger wird das Bild.
Nimmt man die vier Monate ab 1. Juli her, steigt im Jahresabstand der Rückgang der Injections auf über 35 Prozent (von 469 auf 304 TWh in diesem Zeitraum).
Das kann damit zu tun haben, dass als Vergleichsbasis die Monate April, Mai und (zur Hälfte) der Juni 2022 wegfallen,
als trotz angeblich “unprovozierten Angriffskriegs” weitgehend noch Business as Usual herrschte.
(Doch eigentlich müsste das genaue Gegenteil der Fall sein,
weil im – zweiten, kürzeren – Vergleichszeitraum 2022, beginnend in den Monaten unmittelbar vor dem Anschlag, sowieso nur mehr ein paar hundert Gigawattstunden über die Nordstream getröpfelt waren).
Die kontrahierten Injections des Sommers 2023 lagen
- nicht nur niedriger als jene der Vergleichsperiode des “Corona-Jahres” 2020 (612,2 TWh),
- sondern auch des diesem folgenden “ersten Erholungsjahres” 2021 (651,8 TWh), dem die wirklich knappen Frühjahrsmonate 2022 folgten
(die Speicher erfordern anscheinend eine gewisse Mindestbefüllung um steuerbar zu bleiben).
Wenn man also – wie dieser Blogger das tut – davon ausgeht, dass im AGSI verzeichnete Kaufverträge den “Flow” der kommenden (Winter-)Monate abbilden,
ist für die (West)Europäer zu hoffen, dass dieser Winter ähnlich mild und kurz ausfällt wie jener von 2022/23.
Fast hat es den Anschein, als ob sich jene Kräfte, die vor einem Jahr (rettend?) eingesprungen waren, vom europäischen “Markt” zurück gezogen haben (vielleicht ist auch nur der aktuelle Preis zu niedrig),
und dass sich die ursprüngliche “Russen-Lücke” zur Gänze und “in voller Pracht” erneut eingestellt hat
(Ausnahme: Ungarn, das – wie bekannt – eine Sonderbeziehung zu Moskau hat und am Ende einer neuen Pipeline namens Turkstream sitzt; aber die Anrainerstaaten des Balkan und sogar Ungarn sind im Vergleich zu städtischen Ballungszentren in Russland sowieso nur kleinere Verbraucher).
Dies obwohl man meinen könnte, dass es Flüssiggas im Verein mit Witterung und Deindustrialisierung in Europa gelungen ist, die Hälfte der originalen “Russen-Lücke” 2022/23 (über) zu kompensieren.
Exkurs: Bisheriger Schlüsselfaktor US-Exporte
Ausweislich der EI/BP-Statistik 2023, Seite 37 sowie der BP Statistical Review 2022, Seite 36 ist es Europa gelungen,
von 2021 auf 2022 um 62 Mrd. Kubikmeter mehr LNG zu importieren.
Dies entspricht in etwa drei Viertel der Minderlieferungen von russischem Pipelinegas (die faktisch freilich nur in der zweiten Jahreshälfte 2022 anfielen – siehe die entsprechenden Tabellen der EI/BP-Statistiken 2022 und 2023).
Zwei Drittel der besagten LNG-Mehrlieferungen 2022 stammten aus den USA, die vergangenes Jahr 70 bis 75 Milliarden jener insgesamt 170 Mrd m3 LNG stellten, die in Europa regasifiziert und konsumiert wurden.
Anlass, sich diesen Schlüsselfaktor näher anzuschauen.
US-LNG-Ausfuhren wiesen 2022 kein so stürmisches Wachstum mehr auf wie 2021, was von der Explosion in Freeport TX mit verursacht sein dürfte.
Aber die LNG-Exporte nach Europa hatten sich schon davor binnen Jahresfrist von 3,3 Mrd. Kubikfuß pro Tag auf 6, 8 bcf per day verdoppelt, siehe die EIA-Aussendungen hier und hier.
Das scheint sich zwar im ersten Halbjahr fortgesetzt zu haben,
aber das ist wohl Folge alter Verträge, die nicht oder nur zum kleineren Teil in die Periode von 1.April bis zum 31. Oktober fallen.
Die für den kommenden Winter anstehenden Lieferungen werden vmtl. in den hier und weiter oben analysierten Injections im Sommer 2023 sichtbar.
Leider geht aus dem AGSI nicht hervor, wo die direkten Verursacher des oben thematisierten “grimmigen Bildes” zu suchen sind.
Es könnten theoretisch auch verbleibende regionale Lieferanten von Pipelinegas sein, etwa Norwegen (ca. 115 Mrd. m3) oder Algerien (insgesamt jährlich etwa 45 Mrd. Kubikmeter).
Aber das ist nicht unbedingt wahrscheinlich.
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