Eine den Kapitalmärkten gewidmete deutschsprachige Website hat soeben einen Artikel über russisches Erdgas in Österreich gebracht, der eigentlich im Ordner Nachrichten aus Schlumpfhausen abzuheften wäre - gäbe es da keinen besonderen journalistischen Drall, der nur Böswilligkeit oder Ignoranz entspringen kann. Da die Story im Wesentlichen eine bearbeitete Übernahme einer Bloomberg-Meldung ist, darf man raten, wo Böswilligkeit und/oder Ignoranz wirklich daheim sind (dieser Blogger hat die zugrundeliegende Bloomberg-Meldung nicht zur Hand). So wie die Finanzmarktwelt das schreibt, ist es wohl NYC bzw. London.
Vorbemerkung: Eigentlich will dieser Blogger die ganze Zeit schon über Gaza schreiben, aber immer wieder tauchen andere Dinge auf, die ihn/mich “triggern” (ungern geb ich’s zu)
- zuletzt eben die Erdgasgeschichte von Bloomberg.
Widerrrede hat eh keinen (unmittelbaren) Sinn, wie u.a. meine Lebensgefährtin geltend macht. Aber ich kann nicht anders.Nichtsdestotrotz Dank an G.!
Mit der Branche und den Größenordnungen nicht vertraute, womöglich flüchtige Leser des fmw-Artikels müssen jedenfalls den Eindruck gewinnen,
dass hier ein Großdealer Konterbande nach Westeuropa verhökert und damit das Schlachten in der Ukraine verlängert.
Österreich, heißt es sinngemäß, werde heute von russischem Erdgas regelrecht “überschwemmt” und leite den nicht selbst benötigten Rest mit Gewinn ans westeuropäische Ausland weiter.
Die erste Frage, die ein ernst zu nehmender Journo sich hier stellen müsste, lautet:
Was ist die fragliche Größenordnung, rechtfertigt diese die krassen Formulierungen im Text oder handelt es sich nicht etwa um einen “Wertungsexzess”
- eine umso dringlichere Frage, als in besagtem Artikeltext kaum Zahlen und Daten vorkommen (was allein einen “Anfangsverdacht” erregen müsste).
Freundlicherweise gibt es etwa in der Mitte einen Chart, aus dem hervor geht, dass in der zweiten Novemberhälfte 2023 pro Tag jeweils 400 bis 500 GWh nach “Europa” (?) gegangen, wovon etwa 250 GWh über Österreich geflossen sind.
Das sind, Pardon, Lulu-Quantitäten – wenigstens in europäischem Maßstab.
Ausweislich des Einheiten-Konverters der niederländischen Gasunie sind 250 GWh/d rund 30 Mio. Kubikmeter täglich, was etwa 11 Mrd m3 pro Jahr entspricht (sofern man z.B. gg./wg. Saisonalität einfach mit 360 multiplizieren darf).
Die gesamten nach “Europa” exportierten russischen Gasmengen durch die Ukraine machten gemäß obiger Rechnung in einem Jahr etwa 18 Mrd. m3 aus, wobei
- vom “nicht-österreichischen Rest” ein guter Teil nach Ungarn fließt und
- von den über die östliche Alpenrepublik fließenden Mengen etwa 6 Mrd. m3 für den hiesigen Eigenbedarf verwendet werden (Industrie, Elektrizität, Haushalte; gesamter österreichischer Jahresverbrauch: etwa 9 Mrd. Kubik).
Damit kann man davon ausgehen, dass über Ungarn und Österreich pro Jahr deutlich weniger als 10 Mrd. Kubik russisches Gas nach Westeuropa inkl. UK gehen, die über die Ukraine kommen (freilich gibt es noch ein wenig “LNG” und “Turkstream”).
Zum Vergleich:
- Der gesamte Großraum Europa (inkl. UK und Türkei) hat im vergangenen Jahr knapp 500 Mrd. Kubik Erdgas verbraucht (EI/BP, Statistical Review 2023, siehe hier, S. 32 ) und
- Deutschland hat vor den “Sanktionen” am 1.1,2022 4.647 GWh Gas importiert, wovon 1.639 GWh aus Russland stammten, siehe hier. Das wären “annualisiert” 173 bzw. 61 Mrd. Kubik. Vor den Selbstmord-Sanktionen hat Europa zuletzt 167 Mrd m3 russisches Pipeline-Gas bezogen (EI/BP, Statistical Review 2022, siehe hier, S. 37)
Es bedarf hoffentlich keiner speziellen Argumentation, dass “weniger als 10 Mrd. m3″ den Tatbestand einer “vernachlässigbaren Größe” erfüllt.
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Das Gleiche gilt für russisches Flüssiggas, über das vor kurzem sogar die FT pontifiziert hat.
Mit oder ohne “Transshipments” aus EU-Häfen – die Mengen sind enden wollend.
Im letzten Jahr vor den “Sanktionen” hat die RF 17,4 Mrd. m3 LNG nach Europa geliefert, 2022 waren es schon 19,6 Mrd.
Schenkt man der FT Glauben, werden es heuer noch mehr, wohl wegen einer neuen “Fazilität” im Hohen Norden. Von Jänner bis September 2023 sollen die Russen – nicht von den “Sanktionen” erfasste – (regasifizierte) 17,8 Mrd m3 nach Europa geliefert haben,
was heuer im Gesamtjahr auf – sagen wir – 24 bis 25 Mrd. Kubik hinausläuft.
Das lässt sich beispielsweise mit den 170 Mrd m3 vergleichen, die die EU vergangenes Jahr an LNG importiert hat, wovon 72 Milliarden aus den USA stammten, siehe EI/BP, Statistical Review 2023, hier, S. 37.
Im gleichen Jahr haben die Russen freilich gut 80 Mrd. m3 PP-Gas-Exporte nach Europa verloren, was etwa eine Halbierung gegenüber 2021 bedeutet – siehe die entsprechenden Seiten der “Statistical Reviews” 2022 und 2023.
Dessenungeachtet scheinen einige Figuren damit nicht zufrieden zu sein wie z.B. der “EU-Botschafter” in Wien, der Sedlmaier oder ähnlich heißt.
Und auch die Journaille lässt sich eine Menge einreden.
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