In den vergangenen 24 Stunden hat eine erschröckliche Nachricht die Runde gemacht, die sich auf den zweiten Blick eher als Beschwichtigungsmeldung herausstellt: dass nämlich 13 Prozent der 1,1 Millionen in Deutschland registrierten Flüchtlinge verschwunden seien. Wie, was – nur ? 1,1 Millionen sind offiziell eingereist, aber nur 440.000 haben einen Asylantrag gestellt ! Und was, bitte, ist mit den Hunderttausenden, die man nicht aus den Augen verlieren konnte, weil sie für die Statistik gar nicht eingereist sind?
Der Ursprung der Meldung findet sich hier, in einer story der Süddeutschen, die (angeblich) auf der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch das deutsche Innenministerium beruht. Dort heißt es, dass nach den Zahlen des sogenannten Easy-Systems 1,1 Millionen erfasst worden seien, dass aber 13 Prozent nicht in den ihnen zugewiesenen Unterkunft angekommen seien. Das Berliner Ministerium erkläre das erstens mit Weiterreise in andere Staaten sowie, zweitens, mit “Untertauchen in die Illegalität”.
Die Süddeutsche rechnet darauf hin die 13 Prozent hoch und kommt auf “mehr als 130.000 Menschen”, die verschwunden seien (in der ominösen Anfragebeantwortung wird diese Zahl nicht genannt).
Das ist, um einen Lieblingsterminus aus Quaksprech zu borgen, eine nicht belastbare Zahl.
Einigermaßen belastbar sind dagegen die 1,1 Millionen des Easy-Systems und auch die 441.899 Erstanträge beim BAMF, siehe hier.
Macht einen Unterschied von mehr als 600.000.
Einverstanden, ein Teil von denen mag in andere Länder nördlich und westlich weitergereist sein (diese Leute durften eine solche Absicht bei der Einreise nach Deutschland keinesfalls kundtun) – aber nur ein kleinerer Teil der fehlenden Flüchtlinge ist in solchen Ländern überhaupt angekommen. Ich habe das vergangenen November schon einmal angedeutet, siehe hier:
Und mit 600.000 ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht, denn die 1,1 Millionen des Easy-Systems sind nur, was die deutschen Behörden offiziell gesehen und die Unterkunftsplätze, die sie zugewiesen haben.
Wir hatten vergangenes Jahr in Deutschland aber einen langen Herbst der Anarchie und manche sagen, dass dieser noch nicht zu Ende ist.
Anfang Oktober 2015 waren offiziellen Schätzungen zufolge 290.000 Einreisende gar nicht registriert - und diese Estimation ist sicher keine Übertreibung.
Das bedeutet, dass 1,5 Millionen ein-/durchreisende Flüchtlinge eine eher konservative Annahme sind – und dass eher eine Million statt 600.000 (geschweige denn 130.000 Flüchtlinge) unbekannten Aufenthalts sind.
Prost, Mahlzeit Europa.
Deutschland scheint ein Land zu sein, in dem die Journalisten keine Fragen stellen und die Polizisten ihre Arbeit nicht tun. Hätte nie im Leben gedacht, dass ich so etwas einmal schreiben würde.
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