Erdo und das Kartell der Devoten

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Etruskische Wandmalerei, Tarquinia

Die Braunen Nasen der Union veranstalten am kommenden Donnerstag einen Gipfel mit der Türkei um sich wieder einmal nach Herzenslust demütigen zu lassen, so wie in Antalya. Die Rechnung für die SM-Eskapaden lassen unsere Politicos ihren Völkern zustellen – notfalls halt nur Deutschland & Co.

Wird nicht billig. Aber ordentlich versohlt zu werden kostet was, das weiß jede(r) von diesen BDSM-Fritzen.

Die relevante Perversität dabei ist freilich keine sexuelle, sondern eine politische. Sie wurzelt darin, dass unsere Braunen Nasen, die u.a. gewählt und dafür bezahlt wurden, den Schutz der jeweiligen Grenzen zu organisieren, alles andere lieber tun als das. Derzeit üben sie sich im Kuhhandel, nach dem Motto:

Tausche einen unorganisierten Flüchtling gegen einen organisierten Immigranten und weil uns g’rad danach ist, legen wir noch sechs Milliarden und eine visafreie Einreise drauf, für alle türkischen Staatsbürger, die das gerne hätten.

Die normalen Deutschen, Österreicher und Schweden haben das gefälligst hinzunehmen, “denn s’ist Zeit, dass auch die Europäer was für die Opfer des Kriegs in Syrien tun”, nicht wahr ?

Schließlich haben sie, haben wir dieses verfluchte Blutbad ja auch mit verursacht.

Moralische Grübeleien 

Haben “wir” wirklich ?

Nun – wenn, dann waren es “wir Amerikaner”, “wir Engländer” und - maximal - “wir Franzosen”. Wir Deutsche”, “wir Österreicher” und “wir Schweden” haben in diesem Fall höchstens zugelassen, dass unsere geltungsssüchtigen Politicos herumwuseln und dabei mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Das sind zwar durch die Bank seltsame Figuren, aber in Sachen Syrien waren sie schlimmstenfalls Beitragstäter der dritten Reihe. Wir, das Volk, sind ihnen dabei nicht in den Arm gefallen. Das mag eine entfernte Mitverantwortung begründen, nicht aber jene angeblichenVerpflichtungen, denen die Leute jetzt gerecht werden müssen, angeblich.

Aber warum, bitteschön, sollten sich jetzt speziell Deutsche, Österreicher und Schweden bei der Aufnahme von Migranten hervortun ?

Weil sie bessere Menschen sind ? Oder vielleicht, weil die Flüchtlinge der Ansicht sind, dass in diesen Ländern die Sozialleistungen optimal sind ? Oder nur, weil ein paar lokale Jung & Naiv Ultras, eine Handvoll Trotzkisten sowie einige gekaufte Politicos meinen, diese Verpflichtungen seien alternativlos und ohne Obergrenze !?

Der politisch-moralische Fall Libyen liegt etwas anders – weil dort auch “Engländer” und “Franzosen” riesigen Mist gebaut und für die Konsequenzen eigentlich in die Pflicht genommen werden müssten, oder genauer: die Völker müssten für ihre Regierungen in die Pflicht genommen werden. 

Denn Völker, heißt’s oft, haften wohl oder übel für die Untaten ihrer Führer - und das ist eine selektive moralische Wahrheit, die nur in wenigen Ländern akzeptiert wird. Das hat meist damit zu tun, dass diese Länder einen Krieg verloren haben und/oder lange besetzt waren.

Es ist eine Gedankenfigur, die vielleicht in Deutschland unbestritten ist – weniger in Frankreich und England, deren Führungsfiguren sich nicht verpflichtet fühlen, ihre Wähler den menschlichen und politischen Schaden mitragen zu lassen, den sie oder ihre Vorgänger verursacht haben.

Barack Obama hat ja soeben klargestellt, wer seiner Meinung nach für die Katastrophe in Libyen hauptverantwortlich ist: England und Frankreich.

Das ist der ziemlich durchsichtige Versuch, sich selbst und seine damalige Außenministerin sowie “seine” Dienste und die US-amerikanische Kriegspartei aus der Verantwortung zu nehmen. Und es ist auch nicht so, dass die Europäer, wie Obama behauptet, (militärisch) zu wenig gemacht hätten. Sie haben immerhin die Voraussetzungen für das Wiederaufleben des Faustrechts geschaffen.

Aber ganz unrecht hat der US-Präsident nicht. Sarkozy und Cameron waren wesentlich daran beteiligt, Libyen zu zerstören, Gaddafi zu beseitigen und die Islamisten an die Macht zu holen (gemeinsam mit “der EU” und den Amerikanern selbst).

Und das ist der Grund, warum es Frankreich und Großbritannien heute eigentlich gut anstehen würde, in Sachen (echte) Flüchtlinge aus Libyen mehr zu tun.

Machen sie aber nicht und wahrscheinlich wird hinter vorgehaltener Hand argumentiert, dass es real ja gar nicht um die Zerschlagung Libyens, sondern um eine verdammte Völkerwanderung gehe.

Dieses Argument hat vieles für sich. Wenn es zutrifft, gilt es aber auch für deutsche, schwedische und österreichische Regierungschefs und Minister. Mauern bauen mag a lá longue selten geholfen haben, à brève échéance aber vielleicht schon.

Die Türkei und Syrien 

Um mit meinen moralischen Grübeleien fortzufahren: Der türkische Präsident, der die EU in Antalya “gewarnt” hat, that up to 15,000 migrants could wash up dead on Greek shores, ist der letzte, der irgendwelche moralischen Ansprüche anmelden sollte, denn:

  • sein Land hat stärker noch als Jordanien, Israel und der Libanon dazu beigetragen, Zehn-, wahrscheinlich Hunderttausende ausländische Kämpfer auf syrisches Staatsgebiet zu schleusen: in diesem Fall sunnitisch-islamistische Anti-Assad-Kämpfer. Die stellen einen guten Teil jener Leute, die von unserer kontrollierten Presse “Opposition” genannt werden.
  • Die Türkei hat die Rollen des Ruheraums, des Ausbildungslagers, des Logistikkzentrums und des Umschlag-/Marktplatzes für diese terroristischen Gruppen gespielt und das war nicht nur den Geheimdiensten, sondern auch den Journalisten und sogar der Bevölkerung dies- und jenseits der Grenze bekannt. Die Russen haben mit ihren Luftfotos von den Tankwagenkolonnen nur hinaustrompetet, was dort alle schon seit Jahren wussten.
  • Die Türkei war, sagt der US-amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh, der Knotenpunkt für die rat line, eine CIA-Operation, über die Dschihadis in Syrien mit Waffen aus den Arsenalen des gestürzten libyschen Diktators Gaddafi versorgt wurden. Es ist auszuschließen, dass eine solche Operation ohne Mithilfe des türkischen Geheimdiensts MIT bewerkstelligt werden konnte.
  • Die Türkei, sagt Hersh, war 2013 auch an der Durchführung eines “false flag” Gasangriffs in Damaskus beteiligt, mit dem die USA zu einem Frontalangriff auf Assad verleitet werden sollten.

Man erinnert sich: es handelt sich um jenen Gasangriff in Ost-Ghouta mit dem der syrische Machthaber die von den USA gezogene red line überschritten haben soll, den Berichten der Kriegspartei zufolge. Ghouta, wo 1.400 Menschen starben, waren kleinere Giftgaseinsätze vorangegangen, die vermutlich ebenfalls durch militante Assad-Gegner begangen wurden.

Hersh schildert ein Abendessen im Weißen Haus im Mai 2013, zwei Monate vor der Ghouta-Attacke; ein Dinner, an dem Premier Erdogan, sein damaliger Außenminister Ahmet Davutoğlu und MIT-Chef Hakan Fidan teilgenommen haben. Gemäß der Hersh-Schilderung versuchten die Türken dabei vergeblich, Obama davon zu überzeugen, dass Assad dessen rote Linie schon überschritten habe. Obama habe am Schluss nur auf den türkischen Geheimdienstler gedeutet und gesagt: “Wir wissen, was sie mit den Radikalen in Syrien anrichten.”

Ankara dementiert jede Involvierung in den Giftgasanschlag von Ghouta vehement – und Hersh kann mit dieser seiner Darstellung natürlich falsch liegen. Hersh ist eine Journalistenlegende, aber er irrt sich immer wieder

In den vergangenen Jahren hatte es manchmal den Anschein, als würde unter der Oberfläche der elaborierten Obama-kritischen Geschichten Hershs eine verborgene, günstigere Botschaft liegen.

Zum Beispiel:  “Osama bin Laden wurde 2011 zwar unter fragwürdigen Umständen ums Leben gebracht, aber besagte außergerichtliche Exekution hat tatsächlich stattgefunden” oder: “Der Präsident hat alle Vorbereitungen getroffen, Assad aus dem Amt zu bomben, aber als er zur Überzeugung gelangte, dass man ihn täuschen wollte, hat er trotz der hohen politischen Kosten die Bremse gezogen.” So etwas riecht streng nach limited hang Outs.

The red line and the rat line spielt sich auf einem so hohen Level von Geheimwissen ab, dass es faktisch unmöglich ist, die Geschichte zu veri- oder falsifizieren – unabhängig davon, ob die Elemente von Hershs Geschichte nun glaubwürdig sind oder nicht.

Aber die Wirkung der angeblichen Geheimoperationen war vor Ort zu beobachten und einzuschätzen. Und da kann kein Zweifel daran bestehen, dass die türkische Regierung auf vielfältige Weise den Krieg im Nachbarland Syrien angefacht hat. Derselbe Erdogan, der den Braunen Nasen jetzt damit droht, die dabei produzierten Flüchtlinge in Busse nach Europa zu setzen.

Wer hier mitspielt, empfindet Lust an der Unterwerfung – dabei bleib’ ich.

Literatur: Fisk, Sengupta, Syria: Descent into the Abyss, 2014

Tim Anderson, The dirty war on Syria, 2016

Foto: Wikimedia Commons, AlMare

Unabhängiger Journalist

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