Europas Berufspolitiker ohne ordentlichen Job haben Hohn und Spott über ihren englischen Freund Nigel Farage ausgegossen, weil dieser als Chef der von ihm gegründeten United Kingdom Independence Party zurück getreten ist. Feig sei das, hieß es. Doch vielleicht wird man das automatisch, wenn sich der linke Hinterreifen des eigenen Autos einmal selbstständig gemacht hat. NB: Analogie zu einem hypothetischen Parallelfall in Russland.
Vor allem dann, wenn man post factum erfährt, dass die Radmuttern aller vier Reifen des eigenen Wagens locker gewesen sind – wie am 21. Oktober 2015 geschehen, als Farage mit seinem privaten Volvo auf einer französischen Autobahn verunglückte.
Der Unfall ereignete sich in einem Baustellenbereich. Es war das Glück des MEP, dass er langsam fuhr, dass er daher keinen körperlichen Schaden erlitt und dass er sich mit einem Sprung über eine Fahrspurbegrenzung aus Beton in Sicherheit bringen konnte.
Obwohl Farage darauf verzichtete, den Vorfall zur Anzeige zu bringen und er bis heute nicht von einem Attentat sprechen will, kann wenig Zweifel bestehen, dass ein solcher Versuch unternommen wurde. Darum kommt niemand herum, der sich genauer mit der Faktenlage befasst.
Für die englische (und ein bisschen auch die französische) Öffentlichkeit begann die story erst zweieinhalb Monate danach, am 2. Jänner 2016, als die britische Daily Mail über den Vorfall berichtete.
Die Boulevardzeitung schrieb damals, Farage habe ihr gegenüber von einem Sabotageakt und einem Mordversuch gesprochen – was, wie Farage sagt, nicht gestimmt habe – die französische Polizei habe einen solchen Sabotageakt vermutet. Darüber und über die Entstehung der Geschichte lässt sich der Politiker hier in einer englischen Radioshow aus:
Drei Tage nach der Mail berichtet die linksliberale französische Tageszeitung Libération über den Vorfall und schreibt u.a., dass sowohl die französische Polizei als auch die beigezogene Autowerkstätte ihr gegenüber dementiert hätten, je von einem Mordversuch gesprochen zu haben. Im gleichen Bericht wird jedoch die Aussage des Engländers bestätigt, dass
- die Muttern aller vier Reifen gelockert gewesen waren sowie dass
- der Mechaniker das als “bizarr” empfunden habe: ” Ich habe so etwas noch nie gesehen”.
In den darauf folgenden Tagen, berichten mehrere englische Zeitungen das Dementi der französischen Behörden und in den folgenden, immer sporadischer werdenden Mainstream-Geschichten in Frankreich und England – sowie in einigen Blogs – bekommt die Geschichte den Spin: Farage hat gelogen (Farage selbst behauptet bis heute, dass die französische Polizei diesen Verdacht geäußert habe. Es sei aber ein Fehler gewesen, mit der Geschichte konfrontiert, überhaupt einen Kommentar abgegeben zu haben).
Im deutschen Sprachraum fand die Story praktisch überhaupt nicht statt, wenn man von diesem mainstreamkritischen Blog absieht, der die erste Story der Daily Mail übernommen hat.
Unter dem Strich bleibt übrig, dass die verbliebenen Reifen von Farages Wagen nachweislich nur mehr lose auf den Radnaben saßen und und dass es daher nur schwer möglich ist, nicht von einer absichtlichen Manipulation auszugehen.
Allerhöchstens kommt noch der unbeholfen wirkende Erklärungsversuch des französischen Mechanikers in Betracht, dass womöglich eine (andere) Werkstatt die Radmuttern schlecht angezogen habe – wie wahrscheinlich es ist, dass die Muttern aller vier Reifen schlecht angezogen wurden, soll sich jeder selber beantworten
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Mit diesem nun acht Monate zurückliegenden Ereignis sowie dem Wissen um zahlreiche aktuelle Todesdrohungen im Hinterkopf, wäre es eigentlich angebracht, Vorhalte wie Feigheit etc. noch einmal zu überdenken und eventuell zu revidieren.
Natürlich geschieht das nicht.
Wie überall nachzulesen ist, bezeichnet man ihn am Kontinent lieber als “sich davon schleichenden Zündler” (Othmar Karas) oder “Oberratte” (Christoph Waltz).
Speziell bei der ersten Charakterisierung sollte nicht darauf vergessen werden, dass die Ratte unsere MEPpets immer wieder vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen: die Kollegen aus dem Europaparlament hassen Farage wie die Pest.
Von dem geschilderten Fall und einigen anderen ausgehend, ist es nur fair zu behaupten, dass Parapolitik auch in der zeitgenössischen Europäischen Union ihren Platz hat.
Parapolitik findet also nicht nur in Kolumbien oder Brasilien statt, wo oppositionelle Politiker oder auch “nur” Straßenkinder umgebracht werden, nicht nur in den USA, nicht nur im Deutschland der Übergangsjahre zum Nationalsozialismus und auch nicht nur in Gladio-Europa.
Sie findet auch im heutigen Europa statt. Vielleicht nicht so intensiv wie in Lateinamerika, aber so vielfältig wie sonstwo kaum.
Parapolitik bedeutet gefälschte Wahlen, (quasi)staatliche Zahlungen an Zeitungen für das Nichtveröffentlichen von Artikeln – und ab und an eben auch den einen oder anderen (versuchten) Staatsmord.
Bild: GFD, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Nachbemerkung, 6. Juli 2016, 7.00 Uhr:
1.) Dass keine strafrechtliche Untersuchung in Frankreich eröffnet wurde, bedeutet wenig – und schon gar nicht, dass kein Anschlag verübt wurde. Die französischen Behörden hätten von Amts wegen ermitteln müssen, wenn sie offiziell in Kenntnis gesetzt worden wären, dass vermutlich ein Verbrechen vorliegt. So ein Verfahren hätte aber nicht das Geringste gebracht. Farage wusste/weiß das.
2.) Es ist richtig, dass aus der Tatsache, dass es eine Sabotage gab, nicht automatisch folgt, dass eine bestimmte Gruppe von politischen Feinden dahintersteckt. Insofern ist die Aussage, dass es sich um EU-Parapolitik gehandelt hat, eine nicht bewiesene These.
Aber man stelle sich einmal vor, etwas Analoges wäre in der Russischen Föderation in einem öffentlichen Klima passiert, das ähnlich hetzerisch gegenüber dem “Verunfallten” gewesen wäre. Jeder westeuropäische Landbote hätte berichtet, dass Putin und seine Handlanger verantwortlich seien und jeder einzelne Leser hätte das plausibel gefunden.
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