Der Publizist Ulrich Teusch hat ein Buch über die rapide Entfremdung zwischen den Medien und deren Konsumenten geschrieben. In ihm finden sich zahlreiche zutreffende Feststellungen über die Auslassungen und Verdrehungen des Mainstreams – der Lückenpresse, wie er diesen nennt. Leider ist sein Text selbst ein Beispiel, welche Blindheit von einseitiger Lückenprosa erzeugt werden kann. Eine Buchbesprechung und ein Vorwurf.
Teuschs vergangene Woche veröffentlichter Titel beinhaltet, für jedermann ersichtlich, ein Wortspiel mit “Lügenpresse”, dem zum Unwort des Jahres 2015 erklärten Kampfbegriff, der den fatalen Hang der Massenmedien zu allzu konformistischer Berichterstattung bezeichnet.
Der Autor, der selbst einem deutschen öffentlich-rechtlichen Sender zuliefert, nimmt zu diesem Schlagwort eine überraschend ambivalente, irgendwie permissive Haltung ein (für die professionellen Journos innerhalb des Systems ist es schlicht indiskutabel, ein absolutes “no go”).
Teusch hält Lügenpresse zwar für analytisch ungenau und vor allem für eine Beleidigung der ehrlich nach Wahrheit Strebenden, bringt der dahinter steckenden populären Wahrnehmung aber trotzdem großes Verständnis entgegen.
Der “Mainstream des Mainstreams”, sagt er, erzeugt sich ständig wiederholende, im eigenen Saft schmorende ideologische Narrative, die ausschließlich den politischen und wirtschaftlichen Eliten zum Vorteil gereichten. Die Masse der Leser, Seher und Hörer ließe sich durch die dabei entstehenden G’schichterln aber nicht mehr täuschen.
Dass Medien von vornherein Lückenpresse seien, sei nicht vermeidbar, weil es ohne Auswahl/Reduktion eben nicht gehe – das Problem sei jedoch, dass es sich überall um dieselben Lücken, die gleiche überschießende Berichterstattung und dieselben biases handle. Es gehe in keinem Fall um ein sich selbst korrigierndes Phänomen.
Weil der Mainstream sich in vielen essentiellen Fragen als relativ geschlossene, interessengeleitete Formation präsentiert, laufen ihm große Teile seiner Kunden davon. Aber statt auf die neue Lage zu reagieren, macht er einfach so weiter wie bisher; er ändert nichts an seiner Grundorientierung – oder er darf es nicht, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert. Also werden ihm noch mehr Kunden davonlaufen. Die Lage ist geradezu paradox.” (S.160)
Die einzige Überlebensmöglichkeit wäre die Öffnung nach außen, um der alternativen Medienkonkurrenz das Wasser abzugraben – was, wie Teusch glaubt – aber nicht stattfinden wird.
Das macht dem Autor im Grund genommen nichts aus, weil er kein besonderer Freund der reichweitenstarken Medien “ganz in der Mitte” ist.
Der, wie er ihn charakterisiert, Mainstream außerhalb des Mainstreams des Mainstreams ist ihm ein größeres Anliegen.
Dort, glaubt Teusch, finden sich noch die Refugien der guten Publizistik aus echtem Schrot und Korn, des authentischen Dings, und manchmal sogar richtige Perlen – die freilich selten jene Anerkennung fänden, die sie verdienen würden.
Diesen, sagen wir: Mauerblümchen-Hauptstrom lokalisiert der Autor z.B. in den Kulturprogrammen öffentlich-rechtlicher Sender oder in nicht speziell profitorientierten Printmedien.
Praktiken und Missbräuche
Seine Hauptbeweisstücke bezieht Teusch fast ausschließlich aus der außenpolitischen Berichterstattung, also in dem – in Deutschland stärker als hier, in Österreich, ausgeprägten – Hang, stets das Gute im Westen und das Böse im Osten zu sehen.
Die Stichwörter sind hier z. B. Transatlantik-Netzwerke, Russland/Putin, Ukraine und Syrien, siehe zu diesen Themen z.B. die Propagandschau (die sich übrigens mit besonderer Hingabe den Öffentlich-Rechtlichen widmet).
Das sind starke Momente in diesem 224 Seiten umfassenden Band.
Verdienste erwirbt sich Teusch auch um das Verstehen der in den Medien wirkenden Mechanismen. Er kennt den Gegenstand, über den er schreibt, ziemlich genau – unzweifelhaft besser als so mancher seiner theoretisch orientierten Kollegen an einer Uni.
Ohne bombastisches Fachvokabular bemühen zu müssen, kann der Autor seinen Lesern Konzepte wie “Rudel-Berichterstattung”, “sozialisierende Wirkung von Redaktionen”, “journalistische Doppelmoral” oder “Alpha-Journalisten” nahebringen – ebenso wie z.B. ein moralisches Dilemma, in dem sich Journalisten fast immer befinden.
Dabei stellt sich der seltsame Terminus “Verantwortungsverschwörung” ein.
Hier greift Teusch nicht auf das Beispiel eines laufenden Bankruns durch Einleger zurück (an den ein gelernter Wirtschafts-Journo zuerst denken würde).
Nein, der Autor bringt das Beispiel eines Lokalredakteurs, eines in kulturellen Dingen unzweifelhaft urteilsfähigen Mannes, der auschließlich positive Besprechungen der Aufführungen der lokalen Bühne brachte – selbst wenn die Darbietung schlecht war.
Das tat er nicht etwa, weil er den Theaterdirektor gut kannte (das auch) - sondern weil ein kommerzieller Misserfolg die Bühne um ihre Existenz gebracht hätte.
Erhellend ist auch Teuschs Beispiel, wie ein bisschen Reaktion und Kontextualisierung, ein paar Worte mehr oder weniger, die Lesart einer Meldung ändern können, einer Beispielsmeldung über den Beschluss von NATO-Verteidigungsministern, 4.000 Mann nach Polen, Lettland, Estland und Litauen zu entsenden.
Welchen Unterschied macht es, Moskau zu Wort kommen und diesen Beschluss scharf kritisieren zu lassen?
Und was verändert sich für den Leser, wenn Moskau die Aktion erneut kritisiert oder wenn die Stationierung gar Aktivitäten der NATO an Russlands Westgrenze genannt wird?
Der Laie erhält über ein nur scheinbar banales Beispiel einen Einblick in die Gestaltungsmöglichkeiten, die selbst Redakteuren zur Verfügung stehen, die sich im Beruf eines restringierten Codes bedienen müsen.
Spannend auch der Abschnitt “Die Belangbaren”, in dem Teusch die (bezweifelbare) These vertritt, dass es in der Branche letztlich keine “Impuniät”gibt – wer aus der Reihe tanzt, zahlt dafür.
Das legt er mit einer langen Liste von Beispielen nahe, in denen Journalisten für ihre Berufsethik oder auch nur ihr korrektes Arbeiten einen hohen Preis entrichten mussten.
Die Bandbreite reicht von der simplen Entlassung über den mehr oder weniger bewussten Karriereverzicht bis zur Ächtung.
Ein klassisches Beispiel ist in diesem Zusammenhang Gary Webb von der Regionalzeitung San José Mercury News, der 1996 eine Serie verfasste, in der er erstmals zeigte, dass die – zehn Jahre zurückliegende - Finanzierung der nicaraguanischen Contras aus Drogenverkäufen in den USA stammte, während er unausgesprochen, aber unmissverständlich auf die Verstrickung der CIA hinwies.
Statt dass auf seine Dark Alliance aufgesprungen worden wäre – wie Webb erwartet hatte – wurde die Serie von offenbar neidischen und wohl auch dazu “ermunterten” Kollegen-Konkurrenten in den überregionalen Zeitungen in der Luft zerrissen, erzählt Teusch. Deren (halb wahres) Hauptargument war, dass die Faktenbasis der Serie nicht neu gewesen sei.
Der Herausgeber des Mercury hielt dem Druck nicht stand. Er distanzierte sich und Webb wurde erst versetzt und schließlich gefeuert. Er sollte nie mehr in die Branche zurückkehren. 2004 nahm er sich verarmt das Leben.
Es hat dem Mann nichts mehr genutzt, dass seine story in der Zwischenzeit von einem internen CIA-Bericht sowie einem Kongress-Komitee bestätigt wurde.
Die Moral der G’schicht im ORF
Der ORF-Hörfunk ist eines der wenigen Medien, die die Neuerscheinung bisher thematisiert haben, in einem auf Ö1 gesendeten Interview.
Wie in seinem Buch sang Teusch auch in diesem Zwiegespräch das Hohelied des konkurrenzlos großen Informationsangebots, der – wie man es in der Fachsprache ausdrückt – historisch größten medialen Außenpluralität. Meinte Teusch:
Prinzipiell stehen die Informationsmöglichkeiten zur Verfügung. Das wird auch den Mainstream zusätzlich unter Druck setzen. Wenn er immer noch glaubt, er könnte die eine oder andere Meldung unterschlagen, weil sie in ein bestimmtes Narrativ nicht reinpasst, ist es heute in Sekundenschnelle möglich, diese Meldung doch zu verbreiten und das führt natürlich dann auch wieder zu wachsendem Misstrauen.”
Das schmeckte den Frager nur bedingt – side stream oder main main stream hin oder her. Dem Interviewer muss die noch immer privilegierte und weitgehend unangefochtene Alleinstellung seines Arbeitgebers eingefallen sein. Er gab zu bedenken, dass
besonders rechtspopulistische Parteien über soziale Medien Links zu alternativen Onlinemedien verbreiten, wo dann ungeniert Verschwörungstheorien oder auch Lügen verbreitet werden.”
Ungeniert Lügen verbreiten - das würde einem seriösen Sender wie dem Österreichischen Rundfunk natürlich niemals einfallen. Das sollte eigentlich auch der Herr Teusch wissen, der auf Seite 158 seines Buchs schreibt:
In Österreich hat der ORF kaum eine Gelegenheit ausgelassen, das rechte Schreckgespenst, den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, zu diskreditieren; vom politischen Standpunkt betrachtet, kann ich das verstehen, vom journalistischen nicht.”
Gauchistische Orthodoxie
Auch Teusch hängt einem Bekenntnis an, das man in Ermangelung eines besseren Begriffs linke Rechtgläubigkeit nennen könnte (die Rechts-/Links-Schubladen helfen, da bin ich mir ziemlich sicher, nicht wirklich weiter).
Sein Glaube scheint freilich nicht extremistisch zu sein, denn der Mann besteht nicht auf dem unbedingten Vorrang seines persönlichen Credos oder gar dessen alleiniger Geltung gegenüber von und vor allen anderen Regeln.
Deswegen erlaubte sich der Kasseler in seinem Buch noch einen weiteren Ausritt. Er kritisiert das Vorgehen zweier angeblich seriöser Journalisten in einem Interview mit einem AfD-Politiker:
Nicht Gauland, mit dem mich politisch nichts verbindet, hat hier einen Skandal verursacht, sondern es waren die beiden verantwortlichen Journalisten und ihre Zeitung. Sie zerrten eine in einem Hintergrundgespräch gefallene Aussage, die man durch zwei, drei sachliche Nachfragen jeglicher Brisanz hätte entkleiden können, in die Öffentlichkeit und stellten ihren Gesprächspartner an den Pranger: »Gauland beleidigt Boateng«. So machen Mainstreamjournalisten Mainstreampolitik.” (S. 122/123)
Das und sein ORF-/Hofer-Sager bleiben in der Lückenpresse aber die raren Ausnahmen.
Teusch ist dem orthodoxen Gauchismus seines Milieus – der auch tiefe Wurzeln in seiner eigenen Lebensgeschichte haben mag – verbunden.
Er bleibt ihm treu, indem er davon absieht Dinge zu thematisieren, die angesichts der Themenstellung seines Buchs eigentlich unverzichtbar sind, speziell in Deutschland, dem Kernland der sogenannten Flüchtlingskrise. Gemeint sind u.a.
- der Kölner Silvester und artverwandte Geschehnisse, über die entweder zu spät, falsch oder überhaupt nicht berichtet wurde/wird.
- der ebenso professionelle wie zynische Einsatz von Pressefotografie zur moralischen Erpressung von Politikern einer Staatengemeinschaft, deren Öffentlichkeit besonders naiv und deren Medien besonders anfällig für emotionale Kurzschlüsse sind;
- sowie die jämmerliche Rolle, die die traditionellen Medien bei diesem Großthema allgemein spielen. Sofern eigenständig recherchiert wird, dann nur in eine Richtung sowie mit dem Vorsatz, die Lage der Neuankömmlinge als besonders drückend darzustellen.
Tabu scheinen dagegen Fragen wie z.B. die reale Zusammensetzung der Migranten (Geschlecht, Ethnos/Staat), die weitergehende Finanzierung der Asylanten aus den Steuern/Beiträgen der produktiven Bevölkerung, oder wie weit es sich bei der Flüchtlingskrise um eine gesteuerte/erzwungene Wanderungsbewegung handelt (derlei findet sich seit Monaten etwa in diesem Blog, z.B. hier, hier und hier);
- damit zusammenhängend steht die publizistische Behandlung der Alternative für Deutschland (AfD), in der noch bis vor kurzem geltende Regeln sauberen Arbeitens weggefegt wurden. Hier geht es üblicherweise auch weder um Kritik noch um eine an sich gesunde Skepsis gegenüber einem neuen Phänomen, sondern um die bewusste Dämonisierung einer unter den Gegebenheiten von 2015/16 entstehenden neuen liberalkonservativen Partei.
Wer sich in diesem Deutschland über Rudeljournalismus, Glaubwürdigkeitsverlust und doppelte Standards in den Maninstream-Berichten verbreitert, das Thema angebliche Rechtspopulisten und deren verzerrende Darstellung in den Hauptmedien aber nur im Vorübergehen streift, hat selbst ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Dieses Urteil lässt sich Teusch nicht ersparen – so gut das Buch ist und so interessant seine Beispiele von Jeremy Corbyn und Bernie Sanders sein mögen.
Ulrich Teusch, Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kennen. Frankfurt/Main 2016, 224 Seiten, 18 Euro
Hier sind noch Teuschs Blog, ein Interview im Branchendienst kress sowie die Perspektive des Contra-Magazins.
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