Menschenrechte und Souveränität: Emma Larking gegen JL Harouel

Declaration_of_the_Rights_of_Man_and_of_the_Citizen_in_1789_50pcSind die Leute, die nach einer Wanderung um den halben Erdball an europäischen Grenzen auftauchen, Flüchtlinge, die sich in den Mantel eines heiligen Rechts hüllen können? Oder sind es Wanderer, die ihr Reiseziel womöglich kolonisieren wollen? Hinrichtung_Ludwig_des_XVI_70pcEine junge Australierin und ein älterer französischer Rechtshistoriker erteilen nur scheinbar konträre Antworten. Beide sehen in den Menschenrechten ein Instrument der Umverteilung. NB zu Wertungsexzessen und Invektiven.

Sie bewerten das nur gegensätzlich. Gemeinsam scheint ihrer Analyse auch, dass sie die Rechte und die Souveränität für letztlich unvereinbar halten.

In den Quellen, auf die Emma Larking und Jean-Louis Harouel verweisen, ist beides verankert: Die Grundrechte der Menschen, die vor 200 Jahren noch eher als Bürgerrechte verstanden wurden, sowie die nationale Souveränität, die heute mit dem (meist “demokratischen”) Selbstbestimmungsrecht der Völker gleichgesetzt wird, der Freiheit von Fremdherrschaft.

Die human rights von heute werden in einem eigenen Text ausgeführt, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die die UNO-Vollversammlung im Dezember 1948 verabschiedet hat. Dort finden sich so selbstverständliche Dinge, wie dass

  • jede(r) frei und gleich an Würde und Rechten geboren ist und dass daher
  • niemand in Sklaverei gehalten werden darf.

Aber auch:

  • Jede(r) hat ein Recht auf Erholung und Freizeit (Artikel 24),
  • sowie eines auf Teilhabe am kulturellen Leben (Art.27) und
  • eines “auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können” (Art.28)

Diese Deklaration, die keine Völkerrechtsquelle darstellt, wird vom libertären Autor Frank van Dun – der z.B. für Gewaltenteilung sehr wohl Sympathie empfindet – etwas spöttisch so zusammengefasst:

One way to summarize the UD (Universial Declaration) is by saying that people have a right to live in a welfare state without having qualms about its unprecedented peacetime powers of social control and mobilization.”

Und zwar in einem demokratischen Rechts- und Wohlfahrtsstaat innerhalb einer globalen Friedensordnung, um van Duns Charakterisierung noch ein wenig zu präzisieren.

Ein redistributiver Hebel

Emma Larking von der Australian National University nimmt in ihrem 2014 erschienenen Refugees and the Myth of Human Rights. Life Outside the Pale of the Law an, dass dem Gegenstand ihres Buchs,  also praktisch allen Flüchtlingen das Recht zustehe, von den, wie sie es formuliert, wohlhabenden liberalen Staaten aufgenommen zu werden.

Begründen tut sie das mit Artikel 1 der UNO-Deklaration (sie ist nicht die einzige, die so argumentiert, sie dient nur als Beispiel).

Sie bezeichnet die Menschenrechte als gefährlichen Mythos und meint damit, dass diese in der Realität nicht umgesetzt würden. Beispielsweise bei der Grenzsicherung, wie sie von den reichen Staaten vorgenommen werde. Diese sei nicht mit deren in der Deklaration (angeblich) übernommenen Verpflichtungen vereinbar.

Wer ist nun die Gruppe, der Larking einen spiegelbildlichen Anspruch einräumt?

Den Flüchtlingsbegriff, mit dem sie arbeitet, findet sie im Oxford English Dictionary. Die dortige Begrifflichkeit geht deutlich über die von der UN-Flüchtlingsorganisation verwendete hinaus, selbst über deren breitesten Terminus (“people of concern”).

Erst recht ist das für jene internationale Vereinbarung der Fall, die die Unterzeichnerstaaten verpflichtet Anträge auf Asyl zu prüfen.

Only a relatively small proportion of these people fall within the definition of a refugee outlined in the United Nations Convention Relating to the Status of Refugees (‘the Refugee Convention’).”

Larkings Flüchtlinge sind alle, die die Heimat verlassen (müssen), weil “ihr” Staat unfähig oder unwillens ist für Bedingungen zu sorgen, die eine anständige Lebensführung erlauben.

Deshalb auch der – von einem anderen Autor übernommene – Rückgriff auf ein Lexikon, das über den aktuellen Sprachgebrauch Auskunft gibt (“‘driven from … home to seek refuge, esp. in a foreign country, from war, religious persecution, political troubles, natural disaster, etc.”).

Weil die wohlhabenden liberalen Demokratien Einwanderung unterbinden würden, bleibe den Flüchtlingen nichts anderes übrig, als das militarisierte Grenzregime notfalls illegal zu überwinden. Es sei jedenfalls

misguided to think that refugees can be deterred – as I have said, it will always be the case that for many the costs of remaining where they are outweigh the risks of leaving”,

schreibt die Autorin, räumt im gleichen Atemzug aber ein (eigene Hervorhebung):

There is little doubt that more open access generally would lead to a significant increase in the numbers of people moving to wealthy liberal democracies.”

Davon kann speziell Canberra ein Lied singen. Hier ist der Zickzackkurs beschrieben, den australische Regierungen in der vergangenen 15 Jahren gefahren sind. Jede “Öffnung” schlug sich mit einer gewissen Verzögerung in den Ankünften von boat people nieder.

Ideell knüpft Frau Larking bei Hannah Arendt und den erst innerhalb Deutschlands entrechteten, später oft staatenlosen und ungeschützten jüdischen Emigranten an. Mit ihnen wird die Lage der heutigen Flüchtlinge in den wohlhabenden liberalen Demokratien charakterisiert: Diese lebten, behauptet die Autorin, “outside the pale of the law”, außerhalb der Grenzen des Rechts.

Danach widmet sie sich den leeren Versprechen, die John Locke und Immanuel Kant in Sachen Menschenrechte abgegeben haben sollen. Ähnlich wie in der Frage der Entmutigung potenzieller Migranten macht sie aber auch hier am Absatz kehrt, indem sie zu Protokoll gibt (eigene Hervorhebung):

In Chapter 6 I argue that Kant, like Locke, in fact characterises justice, law and right as internal to the political community or the state. Chapter 6 also argues that Kant accords a privileged role, hitherto ignored by Kantian scholars, to the nation.”

Doch heute, fährt sie fort, habe sich die Ausgangslage geändert, denn man lebe in einer globalen Gemeinschaft. Um Verpflichtungen der reichen Staaten aus der Deklaration von 1948 durchsetzbar zu machen, müsse eine Konvention über ein globales Bürgerrecht verabschiedet werden.

Diese Verpflichtungen sind umfangreich, obwohl sie im vorliegenden Text nur wenig spezifiziert werden. Sie bestehen etwa in multilateralen Ansiedlungsvereinbarungen, in denen sich die reichen liberalen Staaten das resettlement der Flüchtlinge untereinander aufteilen. Oder in der Übernahme von Verpflichtungen in Sachen globale Verteilungsgerechtigkeit.

Konkreter wird’s nicht, aber das ist auch gar nicht notwendig – jedenfalls nicht für jemanden, dem das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und den EU wenigstens oberflächlich bekannt ist, siehe dazu die Stunde der Hochverräter sowie Die Hochverräter und ihre Pinscher halten dicht.

Was hier als Punkt vier der Vereinbarung angeführt wird (“Voluntary Humanitarian Admission Scheme”), ist ein Exempel für die von Larking erwähnten Ansiedlungsvereinbarungen.

Die EU hat am 18. März 2016 zugesagt, für jeden in die Türkei zurückgeschickten Migranten einen echten Syrer zwecks Neuansiedlung zu übernehmen.

Der Stand der Umsetzung dieser Abmachung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt, ebensowenig wie die Quoten die die einzelnen EU-Länder “freiwillig” übernehmen müssen.

Bekannt ist nur, dass die beteiligten Regierungen die Details von Beginn an vor ihrer Öffentlichkeit verborgen haben, dass die traditionellen Medien sich nicht um das Thema kümmern und dass die Geheimpolitik zu Lasten der europäischen Völker bis zum heutigen Tag fortgesetzt wird.

Radikale Menschenrechts-Schelte

Solch zwielichtiges Verhalten hat zu einer bisher beispiellosen Vertrauenskrise zwischen Regierungen und Regierten, aber auch zu massiven Zweifeln an den ideellen Grundlagen des eigenen Gemeinwesen geführt.

Ein Symptom dafür ist ein Buch des mittlerweile emeritierten französischen Rechtsgeschichteprofessors Jean-Louis Harouel, das im vergangenen Juli erschienen ist. Es heißt Les droits de l’homme contre le peuple, Menschenrechte gegen das Volk.

Das Traktat ist eine Absage an das Allerheiligste der westlichen politischen Philosophie der Jetztzeit, ohne Jargon oder irgendwelche akademischen Schnörkel.

Harouel vermutet, dass in Frankreich – wie in so gut wie jedem europäischen Staat – ein Gegen-Volk geschaffen werden soll, ein

contre-peuple en rivalité pour la possession du pays avec le peuple légitime”,

also eines, das mit dem legitimen Volk um den Besitz des Landes konkurriert.

Konkret meint er Entchristianisierung und Entsäkularisierung Frankreichs gleichzeitig (was nur scheinbar paradox ist). Dies geschehe über Islamisierung und Scharia.

Bei ihrer Entstehung, doziert er, hätten die Menschen- (bzw. Bürger-)Rechte die Funktion gehabt, das Individuum gegen die Willkür der Mächtigen zu schützen. Das habe sich mittlerweile völlig ins Gegenteil verkehrt (folgend immer eigene Übersetzungen):

Es ist nicht mehr das vitale Bedürfnis dieses Volks, gegen seine Führer verteidigt, sondern von seinen Führern gegen die Menschenrechte verteidigt zu werden.”

Aus den Menschenrechten von vor 200 Jahren, schimpft er, sei eine säkuläre, demente Religion, ein pervertierter Kult geworden. Les droits del’homme hätten sich in ein todbringendes millenaristisches Glaubensystem verwandelt, das es

anderen Völkern erlaubt, sich auf unserem Boden durchzusetzen und ihre Interessen über unsere triumphieren zu lassen.”

Bereits heute sei Frankreich in ein spezielles religöses Strafrecht regrediert.

Meinungsäußerungen, die mit den Dogmen der offiziellen säkulären Religion nicht vereinbar sind, sind die neuen religiösen Verbrechen.”

Um weiterer Islamisierung zu wehren, müsse der Staat den migratorischen Fluss zu brechen und dabei unterscheiden, diskriminieren.

Es dürfe keinen materiellen Vorteil aus der Immigration mehr geben, Familienzusammenführungen seien abzuschaffen; ebenso wie das Anrecht eines Neugeborenen auf die Staatsbürgerschaft, wenn es das Licht der Welt auf französischem Boden erblickt hat.

Bei Einwanderungsgenehmigungen, Einbürgerungen illegaler Einwanderer sowie sonstigen Einbürgerungen muss Frankreich souverän, frei sein, auf seinem Boden nur Personen willkommen zu heißen, die dafür geeignet erscheinen. (…)

Klar ist auch, dass alle Landsleute, die sich im Namen der Heiligkeit der Menschenrechte an dieser für ihr Volk destruktiven Mechanik (…) beteiligen, Kollaborateure sind. Zur Zeit der deutschen Besetzung nannte man diese Personen collabos. (…) Ein guter Teil der collabos waren Idealisten. Sie waren ganz einfach Idealisten einer für Frankreich unheilvollen Sache, so wie es heute die Immigrationisten sind.”

***

Das ist die Sprache des Aufruhrs, des Regimewechsels von unten und der Volksgerichte. Es ist die Rhetorik einer Person, die im ancien régime, vielleicht sogar in diesem Leben, nichts mehr zu verlieren hat.

Es ist eine neu gefundene radikale Sprache von jemandem, der ein Berufsleben lang über Stadtverschönerungen im 18. Jahrhundert oder die rechtlichen Grundlagen von Bischofsernennungen geschrieben hat;

Dieser Jemand ist ein Mann vom Fach, in dessen Heimat die Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte den Status eines ideellen Nationaldenkmals genießt.

Literatur:

Emma Larking, Refugees and the Myth of Human Rights. Life Outside the Pale of the Law. 2014

Frank van Dun, Human Dignity: Reason or Desire? Natural Rights versus Human Rights. 2001

Jean-Louis Harouel, Les droits de l’homme contre le peuple. 2016

Bild: Jean-Jacques-François Le Barbier, Georg Heinrich Sieveking [Public domain], via Wikimedia Commons

Nachbemerkung, 8.11.2016, 8.00 Uhr: Das hier ist weder eine wissenschaftliche Veranstaltung, noch eine von politisch korrekten Juristen. Daher darf auch geschimpft und “beleidigt” werden. Ich bemühe mich nur, die Invektive, die ich gebrauche, “sachgerecht”, das heißt mit Bezug zum Kontext zu verwenden (“Übertreibungen” sind okay).

In diesem Sinn habe ich kein Problem mit dem Begriff “Hochverräter”, auch wenn noch keine einschlägige Verurteilung vorliegt. Oh, und wenn z.B. jemand aus Aghanistan hier um Asyl ansucht, erlaube ich mir zu schreiben, er sei um die halbe Welt gereist.

Unabhängiger Journalist

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