Die heutigen Migranten, die von der Presse pauschal zu refugees ernannt werden, haben kaum etwas mit den Flüchtlingen der Genfer Konvention gemeinsam. Der heute verwendete Flüchtlingsbegriff entstand aus der klammheimlichen Erweiterung des ursprünglichen Konzepts durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR).
Die mitteleuropäischen Signatarstaaten haben die Neuinterpretation der Flüchtlingsagentur zwar nie unterschrieben, diese aber stillschweigend anerkannt – unter anderem, weil ihre Organe laufend Entscheidungen auf Basis der UNO-Doktrin treffen. Gemeint sind hier beispielsweise das österreichische BFA und das deutsche BAMF.
Der sauberste Ausweg aus dieser verzwickten Lage wäre eine Revision/Kündigung des ursprünglichen Vertrags, jenes Abkommens, das zum Schauplatz der nachträglichen Erweiterungen geworden ist.
Genau das scheinen unsere Politicos aber nicht zu wollen. Aus irgendeinem Grund ziehen sie es vor, offen gegen die Bestimmungen einer rechtsverbindlichen internationalen Konvention zu verstoßen – ein Umstand, der selbst für juristische Laien erkennbar ist. Sie setzen damit das Anliegen, für das sie angeblich eintreten, ins Unrecht, zumindest formaljuristisch.
Warum unsere Politicos so agieren, soll weiter unten diskutiert werden. Ihr Verhalten basiert m.E auf einem dialektischen Hintergedanken.
Damit soll nicht behauptet werden, dass der juristisch sauberste Weg auch der leichteste wäre. Eine Aufkündigung der GFK wäre kein Klacks. Sie würde unter den heutigen Bedingungen sehr viel sehr schlechte Presse machen.
In der Sprache der Machtpolitik würde man so ein Vorgehen wohl als nukleare Option bezeichnen und damit signalisieren, dass es sich um das “letzte Mittel im Verteidigungsfall” handelt. Anders als in der wirklichen Welt darf aber sehr wohl auf ein Leben nach Ausübung dieser nuklearen Option gehofft werden.
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Ohne einen echten Schnitt gibt es dagegen kein Leben danach, jedenfalls nicht zu den Bedingungen des sogenannten Sozialstaats. Das liegt in der Natur der Sache und des internationalen Rechts, das heute auf die sogenannten Flüchtlinge angewendet wird.
Warum?
Hauptsächlich wegen des in der Genfer Konvention enthaltenen Diskriminierungsverbots. Damit wird eine Ungleichbehandlung von Staatsbürgern des Signatarstaats und Konventionsflüchtlingen untersagt und dieses Verbot geht quer durch den Gemüsegarten: von Bildung und Erziehung über den Arbeitsmarktzugang bis hin zu den “Sozialleistungen”.
Ein Beispiel für Letzteres ist der Artikel 23 der GFK. Dort heißt es:
Öffentliche Fürsorge Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren.”
Jeder, der nur ein Quäntchen an praktischem Verstand hat, kann sofort sehen, dass sich hier ein eklatanter Widerspruch auftut, einer zwischen der endlichen Finanzkraft der Zahler/Beiträger und einer grenzenlosen, fast unendlichen, jedenfalls aber um Potenzen höheren “Nachfrage” durch Fürsorgeinteressenten.
Das ist die sehr einfache Bedeutung des berühmten Sagers von Milton Friedman (der bei dieser Gelegenheit übrigens eine Lanze für die illegale Immigration gebrochen hat): “Du kannst einen Sozialstaat haben, oder offene Grenzen – aber nicht beides gleichzeitig.” Das originale quote geht so, siehe hier:
Because it is one thing to have free immigration to jobs. It is another thing to have free immigration to welfare. And you cannot have both. If you have a welfare state, if you have a state in which every resident is promises (sic) a certain minimal level of income, or a minimum level of subsistence, regardless of whether he works or not, produces it or not. Then it really is an impossible thing.“
Um so etwas zu kapieren, bedarf es keines Nobelpreisträgers. Das versteht auch das gemeine Volk. Das verstehen sogar unsere Politicos, spätestens seit dem Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise 2015.
Warum also klammern sich diese wie wild an die Genfer Konvention und scheinen höchst interessiert, “ihren” Staat – für alle sichtbar – ins Unrecht setzen?
Doch zuerst noch ein paar Sätze zum ursprünglichen sowie zum verbogenen Flüchtlingsbegriff von heute.
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Hier sind ein paar Informationen zur Konvention von 1951 (1954) bzw. zur unmittelbaren Nachfolgerin, dem Protokoll von 1967.
Es ist völlig klar, auf welche Personengruppen die historischen Abkommen gemünzt sind: auf Emigranten aus den faschistischen und danach auf die aus den kommunistischen Staaten; auf Menschen also, die von totalitären Regimen aus politischen, rassischen u.ä. Gründen verfolgt wurden. Erklärt Wikipedia:
Anerkannte Flüchtlinge im Sinne der Konvention sind solche, die verfolgt werden wegen
- Rasse
- Religion
- Nationalität
- Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
- politischer Überzeugung.”
Schneller Vorlauf in die Gegenwart. Das ist, was das Hochkommissariat 2002 zur “zeitgemäßen” Definition des Flüchtlings zu sagen hatte, siehe hier:
Auch in Kriegs- und Konfliktsituationen können Menschen gezwungen sein, aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention zu flüchten (…) Es steht außer Zweifel, daß Personen, die im Zuge eines Krieges oder Konflikts verfolgt werden oder von Verfolgung bedroht sind, grundsätzlich als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention von 1951 und des Protokolls von 1967 angesehen werden sollten.”
Das Hochkommissariat etabliert damit die Rechtsvermutung, dass Flüchtlinge aus (Bürger)Kriegen Konventionsflüchtlinge sind (diese Vermutung wird dann im Einzelfall durch GFK-kompatible Verfolgungserzählungen bestätigt).
Das ist ein veritabler juristischer Sprengsatz gerade für die welfare states Mitteleuropas, die ihren Staatsbürgern (unter anderem) eine Garantie der Finanzierung minimalen Überlebens gegeben haben (“Bedarfsorientierte Mindestsicherung”). Sozialgarantien dieser Art sollen nach dem Willen des UNHCR für alle erfolgreichen Asylwerber gelten, unabhängig davon, ob diese zum Entstehen der “Garantiefonds” beigetragen haben (haben sie zu 99,9 Prozent nicht) oder ob sie von den Financiers als Teil der Solidargemeinschaft anerkannt werden.
Dieses Dilemma ist auch den Behörden/Gerichten bekannt, die konkret über die Zuerkennung eines Asylstatus entscheiden, es beeinflusst deren Entscheidungen aber nicht.
Das hat rechtliche und moralische Gründe in ihrer alltäglichen Praxis, unter anderem:
- In der Praxis sind viele Asylwerber für die zu erwartende Befragungsituation trainiert. Sie wissen, wie und was sie zu antworten haben. Die aktuelle Migration ist professionell organisiert und gecoacht – nicht nur mit Bewerbungstrainings (hier wird über ein Handbuch mit Tipps und Tricks für den arabischen Migranten berichtet).
- In der Praxis ist es für die Entscheider kaum möglich, auf die Gewährung des Asylstatus zugeschneiderte Verfolgungslegenden zu dekonstruieren – selbst dann, wenn sprachliche und kulturelle Kenntnisse vorhanden sind und der Wille korrekt zu entscheiden gegeben ist.
- In der Praxis ist ferner die tödliche Gefahr, in der sich die Sozialsysteme der Asylgeberländer befinden, nicht bekannt – oder wird unterschätzt.
Kurz: die Beamten sehen sich vor der Wahl, armen Teufeln, die mit unüberprüfbaren Geschichten, aber einem Empfehlungsschreiben der UNO an den Landesgrenzen aufkreuzen, den Zutritt zu einer angeblich überreichen Gesellschaft zu gewähren – oder ihnen diesen Zutritt zu versagen. Hand auf’s Herz: Wie würden Sie entscheiden?
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Bei unseren Politicos ist der Informationsstand über die Lage der sozialen Sicherungssysteme und die mittelfristige Zukunft der Wirtschaft besser (zumindest an oberer Stelle); ungleich besser als die von ihren eigenen Schoßhündchen fehlinformierte Öffentlichkeit, sind die Politiker über die jüngsten Antragszahlen (auch zu Mindestsicherung und Familienbeihilfe) unterrichtet. Und sie wissen, dass die Volkswirtschaft unter den gegenwärtigen (selbst gestalteten) Rahmenbedingungen nicht die Kraft zu selbsttragendem Wachstum aufbringen kann.
Diesen Politicos ist bewusst, dass
- ein Großteil der Migranten entweder keine Absicht oder nicht die Voraussetzungen hat, sich dem Arbeitsmarkt/Erwerbsleben vor Ort zu stellen sowie dass
- der vorhandene Produktivapparat diese Leute selbst dann nicht absorbieren könnte, wenn dies der Fall wäre.
In dieser Situation geben unsere sogenannten Volksvertreter Phrasen von sich (“Zäune sind auch keine Lösung”) – oder sie suggerieren, dass sie dem Problem durch Grenzmanagement oder symbolische Handlungen auf regionaler Ebene zu Leib rücken könnten.
Damit will man Zeit, Zeit im Amt gewinnen. Die Politicos glauben, ein weiteres Mal ihren unruhig gewordenen Souverän, das Staatsvolk, einlullen zu können, wissen aber, dass ihre Maßnahmen
- nicht ausreichend und trotzdem
- auf Basis des aktuellen Internationalen Rechts gesetzwidrig sind (“GFK-Artikel 23″).
Ihre Hoffnung (und sichere Erwartung) besteht offensichtlich darin, rechtzeitig Unrecht zu bekommen, rechtzeitig um die eigene politische Haut zu retten. Bei Eintreten einer internationalen oder europäischen Verurteilung glauben sie sagen zu können: Seht her, wir haben alles probiert, aber die Rechtslage lässt es nicht zu. Wir müssen ( = ihr Beitragszahler müsst) damit leben.
Das ist allzu durchsichtig.
Statt endlos um das Problem herumzutänzeln, könnte man es auch in Angriff nehmen, indem man auf eine Neukodifizierung des Flüchtlingsschutzes hinarbeitet, eine, die die eigenen Staatsgrundlagen nicht in die Luft sprengt. Und indem man bis dahin aus der GFK aussteigt oder diese suspendiert.
Zum Weiterlesen: Wiener Memorandum 2015.
Foto: Dutch Ministry of Foreign Affairs, UNHCR bij Timmermans, CC BY-SA 2.0, Wikimedia Commons
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