Demonetarisierung in Indien: Ein Schlag ins trübe Wasser

cover_mehraDer indische Premierminister Modi, der kürzlich wieder Allgemeine Wahlen gewonnen hat,  hat vor zweieinhalb Jahren überraschend zwei Banknoten für ungültig erklären lassen, um Schwarz- und Falschgeld aus dem Verkehr zu ziehen und Steuerhinterziehern, Korruptionisten & Terroristen das Wasser abzugraben.Ein soeben erschienes Buch zeichnet die Maßnahme nun als reinen Populismus und völligen Fehlschlag. Eine Lektion zu Staatsgeld & Etatismus, nicht nur in Indien.

Dieser Blogger hat hier schon einmal über den Schildbürgerstreich geschrieben und die Wirtschaftsjournalistin Puja Mehra reichert nun das ein Jahr post factum gezeichnete Bild in ihrem gerade erschienenen Buch noch einmal mit Details an.

Für Mehra sind die zurück liegenden zehn Jahre ein Verlorenes Jahrzehnt, für das der indische Nationalkongress UND die seit 2014 regierende Parteienallianz um die Bharatiya Janata Party (BJP) verantwortlich sind.

Augenfällig wird das durch ein Foto am Umschlagbild, das den früheren Premier Manmohan Singh und Narendra Modi bei einer offiziellen Veranstaltung zeigt.

Der oberste Justizbeamte der BJP-Regierung meinte nach der Demonetariserung zwar, dass die Schwarzgeld-Horter nun nicht einmal mehr genügend Bares hätten um dieses, wie bisher in den Pyjamas versteckt, ins Bett mitzunehmen – aber das war angeblich die Fantasie eines einzelnen Politicos.

Statt erhoffter Billionen, die mangels ausreichender Erklärung nicht eingetauscht werden konnten, flossen mehr als 99 Prozent der entwerteten Rupien an die Zentralbank zurück.

Weniger als ein Prozent des anullierten Gelds verfiel, aus welchen Gründen immer.

Dafür wurden in den langen Schlangen, die in den Folgetagen vor Geldautomaten und Banken entstanden, hundert Leute zu Tode getrampelt, während das “Rückgrat der Wirtschaft”, der informelle Sektor, wo fast 90 Prozent arbeiten, stark getroffen wurde.

Der Notenumlauf ging zunächst um fast 50 Prozent zurück, was von manchen Ökonomen als Erfolg gewertet wurde.

Aber das blieb nicht lange so.

Nur zwei Jahre später war schon wieder mehr Cash unterwegs als am Vorabend der Demonetarisierung, die 500 und 1.000-Rupien-Scheine betroffen hatte, “große Banknoten” im Wert von umgerechnet 7 und 14 Euro.

Die außer Kraft gesetzten gesetzlichen Zahlungsmittel mussten um nicht zu verfallen innerhalb von 50 Tagen auf Konten eingezahlt oder bei der Bank direkt in neue Scheine eingetauscht werden.

Später rationalisierte der North Block die Aktion dahingehend, dass man die Leute eigentlich an Giralgeld habe gewöhnen wollen – was, sollte das tatsächlich ein Ziel gewesen sein, nur zum kleineren Teil funktioniert hat.

Viele der mit Regierungshilfe eröffneten neuen Konten entpuppten sich als statistische Artefakte ohne Geldbewegungen und die Zentralbank stellte im vergangenen Jahr überhaupt ihre monatliche Berichterstattung über digitale Transaktionen ein.

Trotzdem verfing die ursprüngliche Korruptions-Erzählung der BJP bei einem Teil des Elektorats sehr wohl, was sich u.a. am Wahlsieg der BJP im bevölkerungsreichen Uttar Pradesh ein paar Monate später, Anfang 2017 zeigte. 

Auch in den Zeitungen wurde großteils jubiliert (welche Wirkung die Aktion auf die Mittelschicht hatte, der man eigentlich das Goldkaufen abgewöhnen wollte, sei hier dahingestellt).

Für die Mehra jedenfalls ist die bizarre Demonetarisierung nur eine von zwei ökonomischen Kardinalsünden der Regierung Modi.

Die andere trägt den Namen GST und wurde ursprünglich von der Kongresspartei “erfunden”, deren Präsident heute Rahul Gandhi ist, der Urenkel von Jawaharlal Nehru, der Enkel von Indira und Sohn von Rajiv Gandhi.

Eigentlich ging es um die Einführung einer republikweit einheitlichen Umsatzsteuer, mit der Dutzende Verbrauchssteuern kleinerer Körperschaften ersetzt werden sollten (wurden), für alle Beteiligten aufkommensneutral, versteht sich.

Das war ein politisierter und enorm komplexer Prozess mit Dutzenden “Stakeholdern”, dem sich die BJP und Modi ständig widersetzt hatten, als Letzterer noch “Ministerpräsident” von Gujarat gewesen war.

Jetzt, als Regierungschef in New Delhi, führte Modi das säkuläre Projekt zum Abschluss und das Ergebnis war – gelinde gesagt – “suboptimal”;

widersprüchlich, unübersichtlich, ungerecht und super-kompliziert, wie die Mehra meint; jedenfalls dazu angetan, wirtschaftliche Aktivität zu unterdrücken und im Zweifelsfall lieber keine als eine unversteuerte informelle Tätigkeit zu haben.

GST turned out to be a half-baked reform. The rather well-conceived bankruptcy code would be sought to be softened within two years of its introduction. After a series of unsuccessful experiments for unearthing black money, the Modi government would finally opt for demonetization, a bizarre move that betrayed a complete disregard for the dignity of ordinary and entirely honest Indians.”

Linkswende der Rechts-Popos

Modi und die NDA-Regierung, meint die Autorin, hätten Reformansätze, mit denen sie ursprünglich angetreten waren, nach spätestens zwei Jahren aufgegeben und durch Populismus und billige Effekthascherei ersetzt, speziell was das Finanzsystem betreffe.

Das habe sich schon gezeigt, als die neue Regierungskoalition vor einer sinnvollen Bankenreform zurückgeschreckt sei und sich geweigert habe, mit faulen Krediten in den Bilanzen aufzuräumen

- und auch, als man dazu übergegangen sei, die früheren Wachstumstreiber private Investitionen und Exporte durch staatliche Infrastrukturausgaben zu ersetzen, natürlich inadäquat finanziert.

Der “rechte” Hindu-Politiker, der die historische Figur Nehru eigentlich nicht mag, sei auf eine quasi-sozialistische “nehruvianische Wachtsumsstrategie” eingeschwenkt.

Geld- und zentralbankpolitisch haben Modi & Co. binnen vier Jahren bereits zwei RBI-Gouverneure “verbraucht” – einen, der sich erst gar nicht um eine zweite Amtszeit bemühte und einen zweiten, der im Dezember 2018 vorzeitig zurück getreten ist.

Der Kampf um die Reserve Bank of India, dessen wahre Konturen bestenfalls unvollständig und verspätet durchgesickert sind, ging natürlich um “Zinsen & easy money” und damit in Zusammenhang stehende “Ordnungspolitik” sowie um “nicht ausreichende Dividenden”, die das Institut an dan Eigentümer Staat ausschütten muss.

Enttäuschung herrschte bei der Regierung schon bei der Gewinnausschüttung nach der Entmonetarisierung, von der man sich offenbar Wunder versprochen hatte – jedenfalls eine fette Sonderdividende, ermöglicht durch die erwaretete Anullierung von Billionen Rupien, die ja Verbindlichkeiten der Zentralbank darstellen.

Stattdessen halbierte die RBI ihre Ausschüttung – mit der Begündung, dass die Druckkosten für die neuen Banknoten höher ausgefallen seien als erwartet.

RBI-Gouverneur Urjit Patel hat nach Mehra-Darstellung intern zwar von der Demonetarisierungs-Aktion abgeraten, diese aber demütig mitgetragen als sie doch erfolgt ist – und danach in Kauf genommen, dass in den Medien die RBI für das Disaster verantwortlich gemacht wurde.  

Ein Etappensieg Modis

Inzwischen hat die Regierung den Kampf um die Zentralbank definitiv gewonnen und ist darüber hinaus im April umd Mai 2019 mit einem großen Wahlsieg “belohnt worden” (der wegen des Mehrheitswahlrechts noch größer aussieht als er tatsächlich war).

Die Kongress-Partei, die nach der Unabhängigkeit 1947 über Jahrzehnte die Macht in den Händen gehalten hatte, wurde nach dieser Perspektive geradezu am Boden zerstört. Sie erreichte nicht einmal 10 Prozent der Sitze in der Lok Sabha, was Voraussetzung für den Status einer offiziellen Opposition wäre.

Ethno- und Nationalpopulist Modi hat dagegen triumphiert – für die nächsten fünf Jahre.

Über diesen Zeitraum kann Delhi womöglich weiter darauf verweisen, dass die Volkswirtschaft mit rekordverdächtigen 7, 8 Prozent jährlich wächst – egal, was die eine oder andere Journalistin davon hält und ob sie von einer verlorenen Dekade spricht.

Puja Mehra, The Lost Decade (2008-18): How India’s Growth Story Devolved into Growth Without a Story.2019

Unabhängiger Journalist

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